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31.07.20 / Eine Partei am Scheideweg / Nach der Bestätigung des Ausschlusses des brandenburgischen Landesvorsitzenden Kalbitz steht die AfD vor einer Richtungsentscheidung. Deren Ausgang könnte auch Auswirkungen auf künftige Regierungsbildungen haben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31 vom 31. Juli 2020

Eine Partei am Scheideweg
Nach der Bestätigung des Ausschlusses des brandenburgischen Landesvorsitzenden Kalbitz steht die AfD vor einer Richtungsentscheidung. Deren Ausgang könnte auch Auswirkungen auf künftige Regierungsbildungen haben
Klaus-Peter Schöppner

Die Gründung und Etablierung der Alternative für Deutschland (AfD) ist die größte Veränderung der deutschen Parteienlandschaft in den vergangenen Jahrzehnten. Nach einer erfolgreichen Anfangsphase, in der es für die Partei scheinbar nur bergauf ging, wurde zuletzt immer stärker offenbar, dass sich in ihr zwei Lager gegenüberstehen, die wenig zusammenpassen: die bürgerlichen Wirtschaftsliberalen und Wertkonservativen auf der einen Seite und die Mitglieder des völkischen rechtsnationalen „Flügels“ auf der anderen. Nachdem es lange Zeit so aussah, als ob die Rechtsnationalen immer weiter an Boden gewinnen – wichtige bürgerliche Gründerfiguren wie der Ökonom Bernd Lucke oder der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel haben die Partei längst verlassen – musste nun der „Flügel“ mit dem Ausschluss des brandenburgischen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz eine empfindliche Niederlage einstecken. 

Der Ausgang des innerparteilichen Machtkampfes entscheidet nicht nur über den künftigen Weg der AfD, sondern mittel- und langfristig auch über mögliche Optionen zur Regierungsbildung für die anderen Parteien. Dieser Aspekt kommt in der medialen Berichterstattung kaum bis gar nicht vor. Ausgeblendet wird auch die Frage, welchen Wählergruppen die AfD ihren bisherigen Aufstieg verdankt. Dabei ist dies nicht nur für die Partei selbst und deren strategische Überlegungen von Interesse, sondern auch für die etablierten Parteien – so sie denn die an die AfD verlorenen Wähler zurückgewinnen wollen. Zudem stellt sich – da derzeit alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland ausschließen – die Frage, unter welchen Umständen diese Ablehnung eventuell aufgegeben und die AfD regierungsfähig werden könnte. 

Die Erfolge der Ostverbände

Bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im vergangenen Jahr wurde die AfD mit 23,5, 27,5 und 23,4 Prozent jeweils zweitstärkste Kraft. Da die dortigen Landesverbände vom „Flügel“ und dessen sozial-populistischer Programmatik geprägt sind, in die immer wieder auch völkische Äußerungen einfließen, wurden diese Ergebnisse von den Anhängern des „Flügels“ als Bestätigung dafür gesehen, dass ihre Ausrichtung für die Partei besonders erfolgversprechend sei. Außenstehende und politische Konkurrenten wiederum interpretierten den Erfolg der AfD im Osten als Zeichen einer nach wie vor tiefsitzenden Frustration der „Einheitsverlierer“ zwischen Rügen und Thüringer Wald, deren Sprachrohr nicht mehr – wie in den ersten 20 Jahren nach 1990 – die Linkspartei sei, sondern nun eben die „Alternative“. 

Zweifellos ist die AfD im Osten besonders stark. Ebenso klar ist, dass sie ihre Wähler dort eher bei den sozialen Randgruppen oder in ländlichen Regionen findet, wo ganze Infrastrukturen zusammengebrochen sind und sich die Versorgungslage durch lange Fahrtwege in die Städte keineswegs verbessert hat. Richtig ist zudem, dass sich viele „Ossis“ auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung benachteiligt fühlen, und zwar weniger materiell, sondern eher mental. Noch immer sieht es für viele so aus, als hätten lediglich das Ost-Ampelmännchen und der grüne Rechtsabbiegerpfeil Eingang in den gesamtdeutschen Alltag gefunden. Die Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft werden noch immer mit „Westlern“ besetzt, und dafür wird – so das Gefühl – immer noch Dankbarkeit und Unterwürfigkeit erwartet. Und obwohl viele Regionen inzwischen blühen und in Bereichen wie Bildung und sogar bei manchen Indu-strien Vorreiter mit attraktiven Metropolen geworden sind, wird über den Osten oft nur im Zusammenhang mit Pegida, Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit berichtet. Kein Wunder, dass eine Protestpartei wie die AfD hier großen Zuspruch findet.  

Natürlich lebt die AfD gerade im Osten auch von der Angst um den Arbeitsplatz und den sozialen Status: Während diese im Westen vornehmlich das sogenannte „Präkariat“ trifft, können sich im Osten auch gehobene Berufsgruppen ihres zwischendurch erarbeiteten Wohlstands keineswegs sicher sein. Zu brüchig sind noch immer die zarten wirtschaftlichen Erfolge und zu gering die Rücklagen für schwere Zeiten. Alle diese Wahlgründe haben einen gemeinsamen Nenner: den subjektiven Glauben, nicht wirklich von Politik, Parteien und Politikern vertreten zu werden. 75 Prozent der Ostdeutschen meinen, ohne Einfluss zu sein, und dass zuerst einmal West-Interessen zählen. 

Diese multiple Unzufriedenheit Ost haben die AfD-Landesverbände in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen professionell genutzt. Bezogen auf den innerparteilichen Richtungsstreit haben die Erfolge der östlichen Landesverbände jedoch keine Aussagekraft, da diese weniger mit der programmatischen Ausrichtung des „Flügels“ zu tun haben als vielmehr mit einem Gefühl, das auch eine „bürgerlichere“ AfD ansprechen könnte. 

Frust über falsche Themen

Auch im Westen der Bundesrepublik hat die AfD bei den Wahlen der letzten Jahre fast immer zweistellige Ergebnisse eingefahren. Auch hier gibt es ein breites Gefühl, dass sich „die Politik“ zu wenig um wichtige Themen wie Kriminalität, Altersarmut, Wohnungsnot, Landflucht und die Folgen der Digitalisierung kümmert und sich die Regierenden stattdessen vornehmlich mit vermeintlichen „Wohlfühlthemen“ wie Gender-Mainstreaming, Homo-Ehe, Inklusion und Tierwohl befassen. 

Das alles gepaart mit Denkverboten: Über Kernenergie wird nicht ergebnisoffen diskutiert, obwohl um uns herum weiterhin AKWs neu gebaut werden. Das Ende der Kohle wird betrieben, auch wenn Bürger und Industrie inzwischen weltweit fast die höchsten Stromkosten zahlen. Der Diesel-Motor soll verdammt werden, obwohl Batterieantriebe auch nicht umweltfreundlicher sind. In den Debatten über die innere Sicherheit soll die Nationalität der Täter keine Rolle spielen, dafür bekommen die Behörden die Kriminalität der Clans und Banden kaum in den Griff. Und obwohl eine schweigende Mehrheit Begriffe wie „Heimat“, „Werte“ oder „Leitkultur“ durchaus schätzt, sollen diese nicht mehr benutzt werden dürfen. 

So wurde die AfD attraktiv in allen gesellschaftlichen Schichten. Es sind eben nicht nur die finanziell Unterprivilegierten, die bei dieser Partei ihr Kreuz setzen, sondern auch Angehörige des Mittelstands. Menschen, die das Gefühl haben, dass nicht mehr klassische Tugenden und Motive wie Fleiß, Arbeit und Bildung die Zukunft bestimmen, sondern plötzlich Kreativität, Ideen, Flexibilität, Diversität. Menschen, die auch in einer sich wandelnden Welt an ihren Traditionen und Wertmaßstäben festhalten wollen. Die Wahl der AfD ist also weniger sozialer als vielmehr inhaltlicher Protest: gegen die Aufgabe von Traditionen, gegen globale Märkte und deren neue Eliten, auch gegen eine zu starke Dominanz Brüssels und nicht zuletzt gegen eine kulturelle Ausweitung in Richtung „Diversity“.  

Für diese unverstandenen Traditionalisten, die öffentlich kaum mehr Gehör und in der Politik kaum mehr Fürsprecher finden, sind insbesondere die Grünen der erklärte Gegner. Wobei die Grünen für sie noch zu verkraften wären. Richtig zugesetzt hat ihnen vor allem die „Sozialdemokratisierungswende“ der CDU, aus deren Mitglieder- und Wählerschaft die meisten AfD-Anhänger stammen. Durch die Energiewende, die Abschaffung der Wehrpflicht, die geänderte Haltung der Union in der Migrationspolitik sowie auch in der Familienpolitik wurden viele Konservative heimatlos. 

Perspektiven für die Parteienlandschaft

Als neue politische Kraft hat die AfD zunächst eine klare Abgrenzung gegenüber den von ihr so genannten „Altparteien“ betrieben. Um möglichst schnell zu wachsen, wurden lange Zeit auch völkische Rechtsaußen als Mitglieder aufgenommen und teilweise sogar an der Parteispitze hingenommen. In der Folge wurden die politischen Auseinandersetzungen emotionaler und rauer. Durch die verbalen Ausfälle einiger AfD-Politiker (zum Beispiel „Masseneinwanderung heißt auch Messereinwanderung“) auf der einen Seite und pauschale Diskreditierungen („Alle sind Nazis“) auf der Seite der politischen Gegner ist ein Meinungsklima entstanden, in dem es immer schwerer wird, Diskussionen dialogfähig zu führen. 

Dabei zeigen insbesondere die Wahlerfolge, dass die AfD keineswegs vorrangig von Wählern an den politischen Rändern gewählt wird, sondern von breiten Schichten einer verunsicherten gesellschaftlichen Mitte. Insofern wird sich das „Problem“ AfD für die etablierten Parteien keineswegs durch Aussitzen oder Ausgrenzen lösen, sondern nur über ein Verständnis den bürgerlichen Traditionalisten gegenüber – und durch entsprechende Integrationsangebote. Wer die Wähler der AfD zurückgewinnen will, muss ihnen und ihren Themen einen Platz im gesellschaftlichen Diskurs einräumen. Und die Fragen aufarbeiten, wie und wodurch sich gesellschaftliche Werte verändern, wie man unterschiedliche Lebenskonzepte koordinieren und integrieren kann, was zu verändern und was zu bewahren ist. 

Die AfD freilich muss klären, ob sie diesen Prozess mitgestalten oder in einer Daueropposition verharren will, bei der sie ohne Chance auf politische Gestaltung bliebe. Eine demokratisch verankerte „Meuthen-AfD“ könnte irgendwann – angesichts der unsicheren Mehrheitsverhältnisse in Deutschland vielleicht schon bald – den Weg in eine Regierung finden. Dafür müsste sie jedoch bereit sein, sich vom rechtsnationalen „Flügel“ zu trennen. Selbst auf die Gefahr einer Halbierung der Wählerstimmen hin könnte sie – entweder als Mehrheitsbeschafferin oder als konservatives Korrektiv einer für viele zu weit nach links gedrifteten CDU – im Zweifel mehr bewirken als in der jetzigen Situation, wo sie zwar in manchen Bundesländern 25 Prozent holt, aber angesichts der Abgrenzung der anderen Parteien keinerlei Gestaltungsmöglichkeit hat. 

Der FDP und den Grünen ist es immer wieder gelungen, als liberales oder ökologisches Korrektiv der Regierungspolitik erfolgreich zu sein. Das könnte auch einer koalitionsfähigen, demokratisch verankerten AfD als „konservativer Wächterin“ der Union gelingen. 

Klaus-Peter Schöppner ist seit 2014 Geschäftsführender Gesellschafter des Meinungsforschungsinstituts Mentefactum. Von 1990 bis 2013 war er Geschäftsführer von TNS Emnid. 

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