Seit Kurzem gilt erneut eine Waffenruhe in der Ostukraine, nachdem der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij bei seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin angerufen hat. Bei dem Gespräch soll Selenskij auch ein neues Treffen im sogenannten Normandie-Format unter Beteiligung Deutschlands und Frankreichs angeregt haben. An der festgefahrenen Situation wird das kaum etwas ändern. Ranghohe ukrainische Amtspersonen und auch Selenskij selbst hatten in der Vergangenheit das Minsker Abkommen für die Ukraine als „unannehmbar“ erklärt und Änderungen verlangt. Für den 25. Oktober hat Kiew nun turnusmäßige Kommunalwahlen angesetzt, die jedoch in den Separatistengebieten nicht stattfinden sollen. Moskau wertet das als Verstoß gegen das Abkommen. In Selenskijs Anruf sieht der Kreml den Wunsch, Unterstützung aus Moskau zu erhalten.
In der Ukraine sinkt der Stern des ehemaligen Fernsehstars derzeit. Die anfängliche Euphorie der an permanente politische Ränkespiele und wirtschaftliche Instabilität gewöhnten Bevölkerung ist einem Misstrauen gegenüber der Regierung und deren Wahlversprechen gewichen.
Zu den Erfolgen des jungen Präsidenten und seiner größtenteils aus unerfahrenen Künstlern und Ex-Sportlern bestehenden Regierungsmannschaft zählen zweifelsohne die Aufhebung der Immunität für Politiker und die Stärkung des Antikorruptionsgerichts. Viele seiner Entscheidungen hängen aber von äußeren Einflüssen ab. So ist die Aufhebung des Verkaufsverbots für Ackerland einer Forderung des Internationalen Währungsfonds geschuldet, der von der Rücknahme die Auszahlung weiterer Kredite an die Ukraine abhängig machte. Bei den Ukrainern ist diese Entscheidung äußerst unpopulär.
Da es in seiner Partei „Diener des Volkes“ zunehmend auseinanderstrebende Richtungen gibt, ist Selenskij bei Reformbestrebungen auf die Unterstützung der Opposition angewiesen. Im März bildete er die Regierung um. Reformorientierte Politiker mussten ihren Hut nehmen. Selenskij wird angekreidet, dass kaum noch unabhängige Personen auf die frei gewordenen Posten aufrückten. In dieser ohnehin angespannten Lage wächst zudem der Einfluss der Oligarchen, deren Herrschaft Selenskij eigentlich beenden wollte. Nun wird ihm zur Last gelegt, dass er sich sogar noch als Mittler zwischen den Oligarcheninteressen gebe. Vor allem Rinat Achmetow und Igor Kolomojskij, der als Präsidentenmacher gilt, sind wieder im Gespräch. Beobachter vermuten, dass die Präsidentenpartei bei den Kommnalwahlen kräftig verlieren wird. MRK