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31.07.20 / Frankreichs Politik / „Die Kunst des manipulativen Schaumschlagens“ / Der Buchautor und EU-Diplomat Albrecht Rothacher erklärt das hierarchische politische System Frankreichs anhand der Präsidenten von Charles de Gaulle bis Emmanuel Macron

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31 vom 31. Juli 2020

Frankreichs Politik
„Die Kunst des manipulativen Schaumschlagens“
Der Buchautor und EU-Diplomat Albrecht Rothacher erklärt das hierarchische politische System Frankreichs anhand der Präsidenten von Charles de Gaulle bis Emmanuel Macron
Wolfgang Thüne

Es ist eine riesige Sisyphusarbeit, die sich Albrecht Rothacher gemacht hat, auf originelle Art und Weise uns Deutschen die französische politische Geschichte nahezubringen. Das Buch „Das Unglück der Macht“ ist übersichtlich gegliedert in die zwei Teile „Menschen und Apparat“ und „Biografien“. 

Das sehr hierarchisierte und disziplinierte französische System abgehobener Spitzenpolitiker und hochqualifizierter Elitebeamter funktioniere mit all seinen Stärken, aber auch mit sehr vielen Schwächen. Die Direktwahl des Präsidenten sei populär, der Unterbau der Macht werde von Absolventen der Pariser Elite-Uni ENA dominiert, einer Art republikanischer Amtsadel. Ursächlich sei ein mandarinartiges, vielfach vernetztes Machtkartell in Staat und Wirtschaft am Ruder, das sich für überlegen und unfehlbar halte. Dank de Gaulle lebe der Bonapartismus, der „Tradition des heiligen Frankreichs“ verpflichtet, fort. Der Allmacht des Präsidenten entspreche die Ohnmacht des Parlaments. So sei der Premier für die schlechten Nachrichten zuständig und werde für alle Fehler haftbar gemacht.

Präsidenten waren Charles de Gaulle, die „inszenierte Inkarnation Frankreichs“, Georges Pompidou, der „konservative Modernisierer“, Valéry Giscard d’Estaing, der „Mensch, der König sein wollte“, François Mitterand, die „sozialistische Sphinx“, 

Jaques Chirac, „Bonhomie und die Klaviatur der Macht“, Nicolas Sarkozy, der „Mann, der schneller als sein Schatten lief“, François Hollande, ein „normaler Präsident mit gebrochenen Versprechen“, und Emmanuel Macron, vom „kleinen Prinzen zum entzauberten Jupiter“. 

Rothacher stellt die Frage, warum der politische Betrieb als so intrigenhaft, verlogen und unehrenhaft wahrgenommen wird. Politiker rangierten nur knapp vor Kinderschändern oder Drogenhändlern. Sie alle beherrschten die „Kunst des manipulativen Schaumschlagens“. Macron habe in seinem Wahlkampf 2017 ein „Meisterwerk an Wohlfühl-Unverbindlichkeiten“ abgeliefert. Die offiziellen Budgets des Élysée, die der Nationalversammlung vorgelegt wurden, seien „reiner Schwindel und fauler Zauber“ gewesen.  

Interessant ist auch das Eheleben der Präsidenten. Waren de Gaulle und Pompidou noch getreue monogame Gatten, so begann mit Giscard die Phase der verheirateten, aber pathologisch untreuen Ehemänner. Der Autor fragt sich: „Wie konnten aus netten, hübschen und intelligenten jungen Frauen aus gutem Hause, die nach zahlreich vorhandenen Bilddokumenten und Zeitzeugnissen fröhliche und lebenslustige Menschen waren, nach Jahren und Jahrzehnten an der Seite der Politiklaufbahnen ihrer Gatten zumeist verbitterte, unglückliche und despotisch agierende Kreaturen werden, die in ihrem Umfeld häufig Furcht und Schrecken verbreiteten?“ 

Zum Schluss geht Rothacher auf einige Aspekte zu Mitterand und Deutschland ein. Er werde als „von kaltem Ehrgeiz und ungeniertem Machtstreben beseelt“ dargestellt und habe „als zynisch, selbstbewusst, einzelgängerisch, chronisch unpünktlich“ gegolten. Nach acht Jahren an der Macht habe er sich als „Dieu“ (Gott)anreden lassen. Vom Mauerfall am 9. November 1989 wurde Mitterrand überrascht. 

Fünf Tage später avisierte er eine Koalition der Sowjetunion und Großbritannien und forderte eine „Europäische Konföderation“. Das war die Vision von de Gaulle aus dem Jahr 1965, doch sie enthielt die deutsche Wiedervereinigung. Dem Händchenhalten mit Kohl in Verdun zum Trotz drohte er, dass er wieder „wie 1914 und 1941 eine Franko-Britisch-Russische Allianz“ schmieden werde. Er besuchte Gorbatschow und sogar Modrow in Ost-Berlin. Er bestand auf die Anerkennung „der Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze“ und gab erst Ruhe, als er seine Forderungen durchhatte. Schließlich nötigte er Kohl die „Europäische Währungsunion“ wie den Euro ab. 

Macron hat gesagt, dass die „direkte Demokratie durch ihn als die Inkarnation des empirischen Volkswillens praktiziert würde“. Kein Diktator hätte  diesen Unsinn je schöner formulieren können. Der narzisstische Glaube an sich selbst ersetze jedoch auch bei Macron keine kohärente Vision für die Zukunft Frankreichs und Europas. Der ewig lächelnde Kandidat ist zuerst „Franzose“.

Albrecht Rothacher: „Das Unglück der Macht. Frankreichs Präsidenten von de Gaulle bis Macron“, Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2020, gebunden, 613 Seiten, 49 Euro