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31.07.20 / Der Wochenrückblick / Der Dammbruch der Nullen / Warum wir die Billion näher kennenlernen sollten und ein historisches Ereignis nicht lange hält

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31 vom 31. Juli 2020

Der Wochenrückblick
Der Dammbruch der Nullen
Warum wir die Billion näher kennenlernen sollten und ein historisches Ereignis nicht lange hält
Klaus J. Groth

Die billigste Münze ist das große Wort. Dagegen ist Bitcoin Kleingeld, selbiger machte sich schon aus der Portokasse von Wirecard windig davon. Das große Wort wertet alles auf, auch Falschgeld. Wir haben uns schleichend daran gewöhnen müssen, dass große Projekte nicht mehr mit Ausgaben über mehrere Millionen kalkuliert werden, die Milliarden haben sie abgelöst. 

Und nun taucht eine neue Größe auf, die Billion. Die war lange nicht mehr in unserem Alltag vorhanden. Da muss mancher erst einmal nachsehen, wie viele Nullen so eine Billion hat. Also, sie bringt es auf stattliche zwölf Nullen. Weil nämlich so eine Billion aus 1000 Milliarden besteht. Angesichts dieser unglaublichen Zahl sind die vier Nächte, welche die Regierungschefs der Europäischen Union hindurch gepokert haben, doch gar nicht so lange. 

Im Gegenteil, wenn man bedenkt, was es da alles zu verteilen gab, dann wirkt das ganze Paket wie mit der heißen Nadel gestrickt. Verteilen Sie mal in so kurzer Zeit die mit spitzem Bleistift gerechneten 1824,3 Milliarden Euro. Und alle waren zufrieden mit dem, was sie einsacken konnten. Manche jubelten, so wie Italien. Aber nur leise, zu deutlich gezeigte Freude wäre peinlich gewesen. 

Damit wir beim nächsten Haushaltspoker nicht wieder kalt von unbekannten Zahlen erwischt werden, können wir uns schon mal vorbereiten. Als Nächstes kommt die Billiarde, das ist eine Zahl mit 15 Nullen. Die sieht so aus: 1.000.000.000.000.000. Und so lässt sich das fortsetzen bis zur Trillion. Falls Sie von der keine Vorstellung haben: Eine Trillion sind 1000 Billiarden. Eine Billiarde sind 1000 Billionen. Und mit der Billion freunden wir uns ja gerade an. Überhaupt sollte man vor großen Zahlen keine Angst haben, auch die bekommt man klein. Auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 reichte eine Billion gerade aus, um das Briefporto zu bezahlen.

Allzu lange hielten sich die Regierungschefs auf dem Gipfel der vielen Nullen nicht mit dem Zahlensalat auf. Viel besser gefiel ihnen das große Wort, die erwähnte billige Münze. Die Prägung der Münze lautete „Historisch“. Nahezu alle Beteiligten schwärmten davon, Zeugen eines historischen Gipfels gewesen zu sein. So viel Historie muss man erst einmal sacken lassen. So wie Corona eingestuft wurde als die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, so wurde der jüngste Gipfel in Brüssel als historische Wegmarke deklariert. 

Wer sich unter dem belanglosen Stichwort „Historische Ereignisse“ auf die Suche macht, der findet eine Fülle verblüffender Beispiele. Ohne auch nur annähernden Anspruch auf Vollständigkeit, ein paar davon: Bau der Pyramiden von Gizeh (etwa 2500 vor Christus), Einweihung des Kolosseums in Rom mit einer über 100 Tage dauernden Feier (80 Jahre nach Christus), das Reich der Maya verabschiedete sich aus der Geschichte (etwa im Jahr 870), die skandinavischen Rurikiden eroberten Kiew und legten den Grundstein zum Russischen Reich (ebenfalls so um 880), die Kreuzfahrer verloren ihre letzte Bastion in Syrien (1291), die europäischen Mächte, voran Portugal und Spanien, begannen fremde Territorien zu erobern und ein Kolonialreich aufzubauen (ab 1415) und so weiter und so fort bis zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, bis zur ersten Landung auf dem Mond und dem Fall der Berliner Mauer. 

Von einem Brüsseler Gipfel, der Billionen im Schleudergang verteilte, steht da nichts. Allerdings wird auf ein anderes Ereignis hingewiesen, das für das Ergebnis von Brüssel enorm bedeutsam ist. So um das Jahr 400 begann man in Indien eine Zahl zu verwenden, die bis dahin nicht vorhanden war: die Null. Indiens Mathematiker nannten sie „sunya“, das bedeutet Leere. Irgendwie passend! 

Die erste Null brachten dann die Araber nach Spanien, von dort machte sie Karriere. Das alles sollte man wissen, wenn sich die Herrschaft der Nullen weiter ausdehnt. Allzu viele Gedanken sollten wir uns ohnehin nicht um das historische Ereignis des EU-Krisengipfels machen. Es war noch keine 24 Stunden alt, da mäkelte das EU-Parlament und begann das Ergebnis zu zerpflücken. Ganz ohne Respekt vor der außerordentlichen Leistung der nächtlichen Streithähne. 

In einer schnelllebigen Zeit wird das Verfallsdatum eines historischen Ereignisses eben immer rascher erreicht, manchmal schon, bevor es in trockenen Tüchern ist. 

Wenn wir schon dabei sind, das Füllhorn übergroßer Güte auszuschütten, dann ist uns Europa nicht groß genug. Die ganze Welt sollte teilhaben. Mehr geht zurzeit leider nicht. Sollte sich das einmal ändern – nach den USA und China beteiligen sich nun auch die Vereinigten Arabischen Emirate an der Mission Mars –, werden wir den Roten Planeten selbstverständlich in unsere Fürsorge einbeziehen. Wahrscheinlich haben die Bertelsmann-Stiftung und der Paritätische Wohlfahrtsverband die Statistiken schon in der Schublade: Jedes fünfte Kind auf dem Mars lebt in Armut. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird verweigert. Wie, die Marsmenschen kennen kein Geld? Macht nichts, von solcher Kleinigkeit wird sich kein Armutsforscher seine schöne Statistik kaputt machen lassen.

Aber wie gesagt, noch ist der Mars fern. Und ehe wir dorthin kommen, sind die Chinesen längst dort. Den Mars werden wir ihnen ebenso gerne überlassen, wie wir ihnen Afrika überließen. Dort haben wir ihre Anwesenheit erst entdeckt, nachdem die afrikanischen Staaten sich bei den Chinesen mit Krediten eindeckten, gegen welche die EU-Billionen ein Klacks sind. Für diese Kredite durften die Afrikaner dann Straßen bauen, selbstverständlich unter chinesischer Aufsicht und mit chinesischen Maschinen. 

Oder Kohlekraftwerke. Das ist auch so eine pfiffige Idee der Chinesen. Als sie mit den Dreckschleudern die Luft über dem Reich der Mitte so verpestet hatten, dass es selbst den klaglosen Chinesen stank, steuerte die weise Führung um: weg von der Kohle. Damit hatte sie dann allerdings ein Problem: Wohin mit der chinesischen Kohle? Schließlich ist das Land der weltweit größte Produzent von Kohle. 

Die Lösung: China gab Kredite, mit diesen Krediten wurden weltweit Kohlekraftwerke gebaut. Befeuert werden diese Kraftwerke mit – na, was wohl? – Kohle aus China. Netter Nebeneffekt: Nun verpestet Chinas Kohle die Luft in Südostasien und Afrika, in Peking kann man durchatmen. So viel zur Lieferkette auf chinesische Art. 

Als hätten sie noch nie etwas davon gehört, was der Mitbewerber auf dem Weltmarkt da treibt, versuchen der deutsche Minister für Arbeit und sein Kollege für Entwicklung ein Lieferkettengesetz durchzuboxen. Deutsche Unternehmen soll es in die Verantwortung für Arbeitsbedingungen im Kongo oder Bangladesch nehmen. 

Allein der Name „Lieferkettengesetz“ ist ein Monstrum. Hätte man nicht das „Gute-Kita-Gesetz“ zum Vorbild nehmen können? Vielleicht „Schöner-arbeiten-Gesetz“? Der Näherin in Bangladesch und dem Kind in der Kobaltgrube im Kongo hätte das bestimmt besser gefallen.