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07.08.20 / Transgender In England werden immer mehr Kinder zu Transsexuellen erklärt und früh mit Hormonen behandelt. Dagegen regt sich nun Widerstand / Geschlechtsumwandlung wie am Fließband / Der Kulturkampf um die umstrittenen Methoden des Gender Identity Development Service

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32 vom 07. August 2020

Transgender In England werden immer mehr Kinder zu Transsexuellen erklärt und früh mit Hormonen behandelt. Dagegen regt sich nun Widerstand
Geschlechtsumwandlung wie am Fließband
Der Kulturkampf um die umstrittenen Methoden des Gender Identity Development Service

Von Claudia Hansen

Das Schicksal von Keira Bell, einer jungen dunkelhäutigen Frau, hat viele Briten bewegt, und es wirft unangenehme Fragen zum Thema Transsexualität auf. Als Teenager fühlte sich Keira Bell unwohl mit ihrem biologischen Geschlecht. Sie war erst 15 Jahre alt, als ihr im staatlichen Krankenhaus Tavistock Centre in Nord-London eine medizinische Behandlung angeboten wurde. Nach „ungefähr drei Sitzungen“, so erinnert sich Bell, wurde schon eine Hormontherapie begonnen, die mit sogenannten Pubertätsblockern die Ausbildung der weiblichen äußeren Geschlechtsmerkmale stoppte.

Keira Bell wurde zu einem Mann umgeformt, erst mit Hormonen, später sogar operativ. Heute hat sie eine tiefe Stimme, Bartstoppeln sowie männliche Geschlechtsteile. Und sie ist kreuzunglücklich damit. Denn Keira Bell fühlt sich nicht (mehr) als Mann, sondern als Frau. Die heute 23-Jährige lässt sich derzeit zurückoperieren. Sie hat eine Klage eingereicht beim Hohen Gericht in London gegen das Tavistock Krankenhaus und den dortigen Gender Identity Development Service (GIDS), den auf Transsexuellenbehandlungen bei Kindern und Jugendlichen spezialisierten Dienst des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS.

„Man hätte mir sagen sollen, ich soll warten“, sagt Bell heute, eine intensive Psychotherapie wäre besser gewesen. Sie sei als 15-Jährige viel zu schnell in Richtung der „Geschlechts-Transition“ geschoben worden. „Ich bin ärgerlich über die ganze Situation, wie sich die Dinge herausstellten für mich nach dem medizinischen Pfad, auf den ich gesetzt wurde“, sagte sie jüngst dem Fernsehsender Sky News. Sie versuche nun, das System zu ändern, um es für Kinder und Minderjährige besser zu machen. Auch eine ehemalige Tavistock-Krankenschwester klagt vor dem High Court und will erreichen, dass bei Kindern unter 18 keine Hormontherapien mehr durchgeführt werden.

Dramatisch ansteigende Fallzahlen

Seit einiger Zeit wird in Großbritannien scharf darüber diskutiert, ob die Gender-Lobbyverbände und das staatliche Tavistock Centre nicht weit über das Ziel hinausgeschossen sind bei ihrer Behandlung von Kindern und jungen Leuten mit „Gender-Identitätsstörungen“ (Gender Dysphoria). Es fällt auf, wie steil die Fallzahlen in die Höhe gestiegen sind. Innerhalb eines Jahrzehnts sind sie beim Tavistock Centre um fast 3000 Prozent gestiegen. Im Jahre 2009 wurden nur 97 Kinder im Alter zwischen drei und 18 Jahren an die Klinik überwiesen. Im Geschäftsjahr 2018/19 waren es schon 2590 Fälle aus ganz Großbritannien, davon mehr als zwei Drittel Mädchen und knapp ein Drittel Jungen, die zum jeweils anderen Geschlecht „transitionieren“ sollten. Es sind Geschlechtsumwandlungen oder Geschlechtsanpassungen, wie die Befürworter sagen, fast schon wie am Fließband. 

Kritiker sagen, dass die „Transition“, die Umwandlung, viel zu schnell und leichtfertig beschlossen werde und dass psychisch labile, in ihrer Geschlechtsidentität unsichere Kinder und Jugendliche regelrecht in diese Richtung ermuntert und gedrängt würden. Bei einigen der „Gender Dysphoria“-Patienten spielt Autismus eine Rolle. Manche Kritiker sehen auch einen regelrechten Zeitgeisttrend und Gruppendruck, besonders unter unsicheren Mädchen. Feministische Kritikerinnen verweisen auf das seltsame Missverhältnis der Zahlen von Mädchen und Jungen; fast drei Viertel der Fälle von angeblichen Transsexuellen sind inzwischen Mädchen. Bei den Mädchen gab es seit 2009 mehr als 5000 Prozent Anstieg der Fallzahlen. Manche Kritiker argwöhnen, dass lesbische Mädchen heutzutage dazu verleitet würden, zu glauben, sie seien im falschen Körper gefangen und hätten in Wahrheit eine männliche Gender-Identität. Ein paar Feministinnen sind inzwischen zu Trans-Kritikerinnen geworden.

Auch innerhalb des Tavistock gibt es Kritiker und Abweichler. Der NHS-Trägerverein gab eine Untersuchung in Auftrag. Die BBC zitierte aus der Befragung des Personals teils sehr kritische Stimmen. Eine hohe Fluktuation beim Krankenhauspersonal zeugt von den internen Problemen. Etwa 40 Klinikärzte und Krankenhausmitarbeiter hätten das Zentrum innerhalb von drei Jahren verlassen, hieß es. Eine Quelle wurde anonym zitiert mit den Worten: „Lasst uns beten, dass ich mich irre, aber wenn ich mich nicht irre, dann sind viele verletzliche Kinder hier sehr schlecht behandelt worden und werden mit potenziell lebenslangen Schäden hier herausgehen.“ Schon im Sommer 2019 hatte die frühere Tavistock-Ärztin Kirsty Entwistle in einem offenen Brief geschrieben, dass sie in der Klinik junge Leute aufgrund eines oft dubiosen Befundes lebenslangen medizinischen Veränderungen unterzögen.

Druck auf Mitarbeiter

Aus dem Bericht ging hervor, dass skeptische Mitarbeiter dazu gedrängt wurden, den Mund zu halten. Marcus Evans, einer der Vorstände der für Tavistock zuständigen NHS-Stiftung, trat aus Protest nach dem Bericht zurück. Trotz aller Kritik lässt der staatliche Gesundheitsdienst NHS England das Tavistock-System aber kaum verändert weiterlaufen. Grundsätzliche Gegner werden regelmäßig als „transphob“ gebrandmarkt. 

Ihnen steht eine mächtige Lobby der LGBT-Bewegung (Lesbian, Gay, Bi- and Transsexual) gegenüber. Die Befürworter der Praxis der „Gender-Transition“ verweisen auf einen Bericht der einschlägigen LGBT-Lobbyorganisation Stonewall, für den 3398 Transgender-Patienten des GIDS in den Jahren 2016 und 2017 befragt wurden. Weniger als ein Prozent sollen im Nachhinein Bedauern über ihre Entscheidung geäußert oder sie sogar rückgängig gemacht haben. Allerdings gibt es inzwischen doch Hinweise darauf, dass die Zahlen steigen. In einem Bericht von Sky News im vergangenen Jahr erzählte Charlie Evans von „Hunderten“ Geschlechtsumgewandelten, die dies bedauerten. Evans, 28 Jahre alt, wurde als Mädchen geboren, ließ sich als knapp Volljährige zum Mann umwandeln und machte dann die „De-Transition“ zurück zur Frau.

Um das Thema „Transsexuelle“ tobt inzwischen ein Kulturkampf, der in Großbritannien und Amerika mit besonderer Schärfe ausgetragen wird. Eine breite Front von „Progressiven“ macht Druck für medizinische Gender-Therapien schon bei Kindern. Sie werden in England unterstützt von Lobbyorganisationen wie dem 1995 gegründeten Verein „Mermaids“ (Meerjungfrauen), der auf (tatsächlich oder vermeintlich) transsexuelle Kinder und Jugendliche abzielt. Die Organisation hat gute Kontakte in die Politik, vor allem zur politischen Linken, und auch in die Unternehmenswelt. Mermaids erhielt – trotz Protesten – von der Nationalen Lotterie eine halbe Million Pfund, der Kaffeehauskonzern Starbucks unterstützt sie mit LGBT-Kampagnen und finanziell mit sechsstelligen Summen, etwa durch den Verkauf von speziellen Mermaids-Keksen.

Aus der Wissenschaft gibt es inzwischen ernstzunehmende Warnungen vor den sogenannten „Pubertätsblockern“, mit denen die Tavistock-Ärzte Kinder mit „Gender-Dysphorie“, also gestörter Geschlechtsidentität, behandeln. Der Oxford-Professor Michael Biggs kam in einer Untersuchung zum Ergebnis, dass die Pubertätsblocker die „Gender-Dysphorie“ verstärken und zu einem signifikanten Anstieg von Selbstmordgedanken bei den behandelten Patienten führen. Der ebenfalls in Oxford forschende Mediziner Carl Henegan nannte Pubertätsblocker für Kinder und Jugendliche ein „unreguliertes Experiment“, dessen Langzeitfolgen nicht bekannt seien.

Dominanz der „Progressiven“

Die „progressive“ Seite im Gender-Kulturkampf, die dieses Experiment befürwortet, scheint indes übermächtig zu sein. Konservative Kritiker sind stark in die Defensive geraten. Gegen kritische Feministinnen wie die Schriftstellerin J.K. Rowling erhob sich ein Sturm der Entrüstung und Beschimpfungen, nachdem die Harry-Potter-Erfinderin es mehrfach gewagt hat, sich kritisch zur Gender-Transition von Kindern und zu „Transfrauen“ zu äußern. Rowlings Twitter-Wortmeldungen zogen einen Tsunami an Transphobie-Vorwürfen und Beleidigungen nach sich. „Transfrauen“ sind biologische Männer, meist noch mit männlichen Geschlechtsteilen, die sich als Frauen identifizieren und bezeichnen. Rowling hat die Sorge geäußert, dass gemeinsame Umkleideräume und Duschen für „Transfrauen“ und Frauen Letztere gefährden könnten. 

Für viele Linke und Progressive ist die Unterstützung von „Transfrauen“ und „Transmännern“ zu einem geradezu obsessiven Kampagnenfeld geworden, die britische Labour-Partei hat sich im letzten Wahlkampf stark damit beschäftigt. Auch Bürgerrechtsbewegungen wie Amnesty International widmen sich zunehmend dem Kampf für die sogenannten Trans-Rechte, während Präsident Donald Trump „Transgender“ aus dem US-Militär fernhalten will.

Konservative Gegenstimmen hört man in Europa eher selten. Zu ihnen zählen etwa der britische Journalist und Schriftsteller Douglas Murray, Autor des Buchs „Der Wahnsinn der Massen“, oder der Satiriker Andrew Doyle (Schöpfer der super-progressiven Kunstfigur „Titania McGrath“). Am Frauentag Mitte Juli forderte die Tory-Abgeordnete Jackie Doyle-Price in einer Parlamentsrede, man müsse sich der „gefährlichen“ Ideologie der Trans-Lobby entgegenstellen, die schon Mädchen im Alter von nur zehn Jahren mit Hormon-Blockern behandeln wolle. 

Kampf um die Schulen

Der Kulturkampf um die Transsexuellen wird zunehmend in den Schulen geführt. Einige englische Schulbehörden schreiben inzwischen gemeinsame Umkleiden für „Transfrauen“ (also biologische Männer) und biologische Mädchen vor. Dagegen klagte eine 13-jährige Schülerin aus der Grafschaft Oxfordshire dieses Jahres vor dem High Court. Ihre Klage hatte faktisch Erfolg, denn der Kreistag hat die Transgender-Vorschriften wieder abgeschafft. Doch an vielen anderen Schulen sind LGBT-Unterstützungspläne Pflichtprogramm.

Allgemein bekommt die LGBT- und auch die Transgender-Bewegung in den britischen Medien große Unterstützung, vor allem links der Mitte, aber nicht nur. Der staatliche britische Rundfunk BBC gab jüngst all seinen 20.000 Mitarbeitern den Rat, in E-Mails ihre Pronomen („er/ihm“, „sie/ihr“ oder „nicht-binär“) dazuzuschreiben, damit Trans-Kollegen, die dies tun, sich nicht diskriminiert fühlten, berichtete die „Times“. Laut einer internen Umfrage soll es allein bei der BBC rund 400 transsexuelle und „nicht-binäre“ Mitarbeiter geben. Nicht-Binäre identifizieren sich weder als Mann noch als Frau. Laut umstrittenen vagen Schätzungen soll es im ganzen Land mehrere hunderttausend transsexuelle oder nicht-binäre Menschen geben. Es könnte jedoch auch sein, dass diese Zahlen stark aufgeblasen sind.

Der nächste Streit droht, wenn die Regierung von Boris Johnson in Kürze die Überarbeitung des Gender Recognition Act von 2004 vorstellt. LGBT-Gruppen haben schon Massenpetitionen gestartet und Demonstrationen in London, Manchester, Bristol und Leeds abgehalten. In der linken Presse wie dem „Guardian“ und in Szenepublikationen wie „PinkNews“ erscheinen schrille Artikel. Sie fordern, dass die Regierung bei der Selbstdeklarierung der Gender-Identität keinerlei Einschränkungen vornimmt, auch nicht für Kinder und Jugendliche. Minderjährige sollen also auch gegen den Willen ihrer Eltern „transitionieren“ dürfen. Hinter den Kulissen wird offenbar um die Gesetzesnovelle gerungen, für die die Frauen- und Gleichheitsministerin Liz Truss zuständig ist. Johnson hat nun abermals eine Verschiebung auf den Sommer verkündet.





Psychoanalyse und Geschlechtsumwandlung

Die Tavistock Klinik ist ein Zen-trum für psychoanalytische Therapie des britischen National Health Service (NHS). Sie wurde 1920 von dem Psychiater Hugh Crichton-

Miller gegründet und entwickelte sich schnell zu einem Kompetenzzentrum für die traumatischen 

Effekte der Kriegsneurose. 1966 entstand die Gender Identity Clinic (Geschlechtsidentitäts-Klinik), die sich mit allen Fragen rund um das Geschlecht befasst. Stark in der 

Kritik steht der Gender Identity 

Development Service (GIDS), der Kinder und Jugendliche in der 

Entwicklung ihrer Geschlechts-

identität betreut und dabei – so 

die Vorwürfe – viel zu früh mit der Geschlechtsumwandlung beginnt.