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07.08.20 / Wirecard-Betrug / Wer hat wann etwas von den Ungereimtheiten gewusst? / Mitglieder der Bundesregierung und die BaFin entziehen sich elegant der Verantwortung für ihre undurchsichtigen Verwicklungen in den Finanzskandal

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32 vom 07. August 2020

Wirecard-Betrug
Wer hat wann etwas von den Ungereimtheiten gewusst?
Mitglieder der Bundesregierung und die BaFin entziehen sich elegant der Verantwortung für ihre undurchsichtigen Verwicklungen in den Finanzskandal
Wolfgang Kaufmann

Wer in der Bundesregierung wusste wann was? Diese Frage rückt nun ins Zentrum des Skandals um den börsennotierten bayerischen Zahlungsdienstleister Wirecard. 

Der hatte seinen Anfang genommen, als die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) am 4. Juni Anzeige wegen des Verdachts der Marktmanipulation stellte, nachdem bereits ab 2008 immer wieder entsprechende Vorwürfe laut geworden waren. Kurz darauf musste die Führung des Dax-Unternehmens kleinlaut eingestehen, dass die in der Bilanz für 2019 aufgeführten Barmittel von 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf zwei philippinischen Treuhandkonten lagen, „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existieren“. Das war das Ergebnis einer Prüfung durch das heute nur noch EY heißende Unternehmen Ernst & Young, das seit 2009 die Bilanzen für 

Wirecard erstellte. Darüber hinaus besteht der Verdacht weiterer „Luftbuchungen“ in Höhe von rund einer Milliarde Euro, mit denen die Wirecard-Vermögenssituation zusätzlich geschönt werden sollte, um so leichter an Bankkredite zu gelangen und den Aktienkurs nach oben zu treiben. Jedenfalls eröffnete die Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen „gewerbsmäßigen Bandenbetruges“ gemäß Paragraf 263 Strafgesetzbuch und erließ Haftbefehl gegen führende Manager des Konzerns, der am 25. Juni als erstes Dax-Unternehmen überhaupt Insolvenz anmelden musste.

Drei Wochen später wurde bekannt, dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) schon seit dem 19. Februar vorigen Jahres von Ermittlungen der ihm unterstehenden BaFin gegen Wirecard wusste, ohne aber die Behörde anzuhalten, den Manipulationsvorwürfen so konsequent und zügig wie möglich nachzugehen. So beauftragte diese zwar die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) mit der Durchleuchtung des Finanzgebarens von Wirecard, ließ aber zu, dass sich dort 16 Monate lang nur ein einziger Mitarbeiter mit der Angelegenheit befasste. Außerdem hielt es die BaFin für opportun, gemeinsam mit Wirecard gegen den „Financial Times“-Journalisten Dan McCrum, der den Bilanzbetrug aufgedeckt hatte, juristisch vorzugehen. 

Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) macht keine gute Figur in der Angelegenheit. Immerhin obliegt ihm die Oberaufsicht über die privaten Wirtschaftsprüfer von EY. Die Frage steht im Raum, wie es sein konnte, dass die Prüfer geschlagene zehn Jahre benötigten, um zu bemerken, wie löcherig die Bilanzen von Wirecard waren. Diese Frage stellt sich umso mehr, als ja bereits 2008 über Unregelmäßigkeiten berichtet worden ist. Anscheinend hat Altmaier hier seine Kontrollpflichten verletzt.

Zu all dem mussten Scholz und Altmaier am 29. Juli vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in einer Sondersitzung zum Thema „Aktueller Sachstand zu den Vorkommnissen bei der Wirecard AG“ Rede und Antwort stehen. Dabei kam jedoch nichts substanziell Neues heraus.

Gänzlich unbehelligt blieb Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), obwohl sie noch im Spätsommer 2019 bei ihrem Staatsbesuch in China recht beflissen Lobbyarbeit für Wirecard betrieben hatte. Wie aus einer inzwischen publik gewordenen Mail von Lars-Hendrik Röller, dem Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Energiepolitik im Bundeskanzleramt, vom 8. September vorigen Jahres hervorgeht, setzte sich Merkel trotz der bereits laufenden Untersuchungen der BaFin für das Unternehmen ein, das nach China expandieren wollte, und versprach anschließend „weitere Flankierung“. Deshalb fordern die Vertreter der Oppositionsparteien im Finanzausschuss nun auch die Vorladung Röllers. 

Nach dessen Befragung wäre dann die Einberufung eines Untersuchungsausschusses mit den Stimmen von FDP, AfD, Grünen und Linken grundsätzlich möglich. Allerdings sind manche Parlamentarier noch unschlüssig, ob sie bei der Aufklärung des Betrugsfalles, durch den Tausende Anleger ihr Geld verloren, mit der AfD kooperieren sollten. 

Doch selbst wenn es zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kommt, ist fraglich, ob er alle Hintergründe des Wirecard-Skandals zu erhellen vermag. Massive Verschleierungsversuche von Merkel, Altmaier und Scholz sowie deren Mitarbeitern sind nicht auszuschließen. Keiner der drei wird gerne öffentlich eingestehen wollen, in der Causa Wirecard grob fahrlässig gehandelt oder gar – das wäre die Alternative – das betrügerische Dax-Unternehmen vorsätzlich geschützt zu haben.