26.04.2024

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07.08.20 / Hans-Jochen Vogel / Wie aus einer anderen Zeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32 vom 07. August 2020

Hans-Jochen Vogel
Wie aus einer anderen Zeit
Erik Lommatzsch

Dass aber die Einheit kommen wird, wenn die Menschen in Deutschland sie wollen, dessen bin ich sicher.“ Dies waren die Schlussworte der Rede von Helmut Kohl als Kanzler im Deutschen Bundestag, in der er am 28. November 1989 sein „Zehn-Punkte-Programm“ präsentierte. Die Kameras, die das Ereignis festhielten, schwenkten während des sich anschließenden Beifalls ins Plenum. Deutlich sichtbare Zustimmung zu den Vorstellungen Kohls kam auch aus den Reihen der Opposition. Der mit demonstrativ anerkennendem Nicken applaudierende SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel ist dabei vielen im Gedächtnis geblieben. 

Zeitzeuge der Bonner Republik

Vogel, der auf eine lange politische Laufbahn zurückblicken konnte, ist Ende Juli im Alter von 94 Jahren gestorben. Neben den Spitzenämtern in den Reihen der Sozialdemokratie war er unter anderem langjähriger Oberbürgermeister von München, Regierender Bürgermeister von Berlin und Bauminister unter Willy Brandt. In seine Amtszeit als Justizminister im Kabinett von Helmut Schmidt fiel die Schleyer-Entführung im Herbst 1977, als sich der Staat den Linksterroristen der RAF gegenüber unnachgiebig zeigte. 1983 war er Kanzlerkandidat seiner Partei. Nachdem er seine Führungsfunktionen schon zuvor abgegeben hatte, kandidierte er 1994 nicht noch einmal für den Bundestag.

Unabhängig davon, ob man dem gern als „Oberlehrer“ titulierten Vogel und den von ihm vertretenen politischen Positionen Sympathien entgegenbrachte oder nicht, so wird mit der Nachricht von seinem Tod und den damit zwangsläufig ausgelösten Erinnerungen deutlich vor Augen geführt, dass er in einer Epoche deutscher Geschichte wirkte, die der Vergangenheit angehört. Dass er einen Politikertypus verkörperte, der in dieser Form nicht mehr zu finden ist. Dass er eine Zeit mitgestaltete, in der Gesten und Sätze möglich oder gar selbstverständlich waren, die heute nahezu unvorstellbar sind.

Vom Ziel der deutschen Einheit war die SPD seinerzeit immer weiter abgerückt. Einen diesbezüglichen Tiefpunkt der Parteigeschichte stellt das im August 1987 gemeinsam mit der SED veröffentlichte Papier dar. Noch Anfang Oktober 1989 hatte Vogel geäußert, die „Ablehnung des leichtfertigen und illusionären Wiedervereinigungsgeredes“ finde auch außerhalb der Partei immer mehr Zustimmung. Immerhin korrigierte er derartige Irrtümer, wenn auch sehr spät, öffentlich, etwa mittels der Reaktion auf die Rede Kohls oder eigener, ähnlich lautender Vorschläge.

In unserer Gegenwart wäre so etwas kaum denkbar. Gar nicht gelingen will das bei Formulierungen wie „Mein Ziel bleibt – wenn die geschichtliche Stunde es zulässt – die Einheit unserer Nation“, die nicht nur aufgrund ihres konkreten Inhalts in historisch weiter Ferne zu liegen scheinen. Oder gar: „Gott segne unser deutsches Vaterland!“ Beides wurde von Helmut Kohl bei seiner Ansprache vor der Ruine der – inzwischen wiederaufgebauten – Frauenkirche in Dresden am 19. Dezember 1989 ausgerufen. Immerhin sagte Bundespräsident Horst Köhler noch 2006 anlässlich des Staatsaktes für seinen Vorgänger: „Johannes Rau hat sich um unser Vaterland verdient gemacht.“ Offenbar ein rhetorischer Ausläufer. Wer würde solche Dinge heute aussprechen? Vor allem: Über wen sollten sie gesagt werden? In einer Atmosphäre, in der man schon zusammenzuckt, wenn allein das Wort „Deutschland“ fällt, in Erwartung des – sinnfreien, aber unhinterfragten – Gegenschwalls „rechts“, „rechtsextrem“, „rassistisch“ und so weiter? Ganz zu schweigen von Begriffen wie „Nation“ und „Vaterland“. 

Repräsentanten einer anderen Welt

Die Zuschreibung „einer der letzten …“ sei gestorben, sollte in jedem Zusammenhang vorsichtig eingesetzt werden. Auf Hans-Jochen Vogel trifft sie sicher zu, ebenso wie sie etwa auf Kohl, Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Genscher oder Richard von Weizsäcker zutraf. Sie waren „letzte“ Politiker nicht nur aus einer anderen Generation, aus der „alten“ Bundesrepublik und den ersten Jahren nach der deutschen Einheit, sondern eigentlich schon aus einer anderen Welt.