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07.08.20 / Persönlichkeiten – ein selbstbewußtes Energiebündel / Motorflugpionier Hans Grade / Der „Vater des deutschen Motorfluges“ und Erbauer von Motorrädern und Kleinwagen kam aus Köslin

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32 vom 07. August 2020

Persönlichkeiten – ein selbstbewußtes Energiebündel
Motorflugpionier Hans Grade
Der „Vater des deutschen Motorfluges“ und Erbauer von Motorrädern und Kleinwagen kam aus Köslin
Detlef Schwenkler

Vor hundertzehn Jahren hat es in Deutschland bedeutende technische und organisatorische Fortschritte im Bereich des beginnenden Luftverkehrs gegeben. Die erste Flugzeugfabrik wurde fertiggestellt, die erste Fliegerschule eingerichtet und der erste „Überlandflug“ absolviert, von Bork (ab 1938 Borkheide) in Brandenburg nach Berlin-Johannisthal. Hinter allem steckte das technische Multitalent Johannes Gustav Paul „Hans“ Grade (17.05.1879 – 22.10.1946) aus Köslin – der „Vater des deutschen Motorfluges“. 

„Das Werk Hans Grades war typisch für die Zeit vor fünfzig Jahren. Ein Mann als Ideenträger, Konstrukteur, Handwerksmeister und Erfinder – und dann Einflieger und gleichzeitig Flugschüler ohne Lehrer!“ So beschreibt es treffend der „Deutsche Aero-Club“ in einem Bericht seiner Hauszeitschrift vom August 1957 über die deutschen Flugpioniere von 1910 bis 1914, die sich „Alte Adler“ nannten. 

Bereits zwei Jahre vorher hatte Hans Grade sich vermutlich als erster Deutscher mit seinem selbst konstruierten Motorflugzeug bis zu acht Meter in die Luft erhoben und war sechzig Meter weit geflogen. Für die Starts und Landungen errichtete er 1909 den dafür erforderlichen ersten deutschen Flugplatz. 1911 konstruierte und baute er das erste deutsche Wasserflugzeug. In seiner Fliegerschule in Bork bildete er vom Frühjahr 1910 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges rund 350 Flieger aus. 1912 beförderte er die erste deutsche Luftpost.

Zunächst baute er jedoch in Köslin sein Abitur, und zwar am 09.09.1899 ab 09:00 Uhr in demselben Gymnasium, in dem lange vor ihm Rudolf Virchow (1821- 1902) schwitzte. Bereits als Fünfzehnjähriger hatte Hans brennendes Interesse an den Flugversuchen Otto Lilienthals gezeigt und begonnen, Gleitmodelle zu basteln. Dass er sie vom Dach seines Elternhauses startete, erregte für ihn unverständlicherweise bei seinen Eltern keinerlei Begeisterung. Während seines Studiums an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg von 1900 bis 1904 konstruierte der junge Grade Motoren, ihr Röhren bedeutete für ihn die schönste Musik. 

Während der Semesterferien, die er stets in Köslin verbrachte, entwickelte er 1903 sein eigenes Motorrad, das er „Pronti“ (klar zum Gefecht) nannte. Später als Ingenieur wollte er größere Krafträder bauen. Ein Magdeburger Freund bot ihm Hilfe an, und so gründeten sie 1905 die erfolgreiche „Grade Motorenwerke GmbH, Magdeburg“. Durch diesen Ortswechsel ging leider der Bezug auf seine pommersche Herkunft verloren – ein Umstand, den ungezählte berühmte aus Pommern stammende Persönlichkeiten mit ihm teilen. Nach etlichen Stürzen stieg Hans Grade 1907 in sein erstes Auto um, selbstverständlich ausgerüstet mit einem von ihm selbst eingebauten Grade-Motor.

Nach seinem einjährigen Militärdienst, bei dem er sich mehr mit der Konstruktion von Fluggeräten („Flugzeug“ soll Otto Lilienthal seine Utensilien für die Flugübungen genannt haben) als mit Militärfragen beschäftigt hatte, vollendete er einen Dreidecker von acht Meter Spannweite mit einem Sechszylinder-Zweitaktmotor von 36 PS. Außer den Rädern, der Batterie, den Zündkerzen und der Zündspule war alles von ihm selbst produziert. Nach zahlreichen Fehlversuchen gelang ihm am 28. Oktober 1908 der erwähnte kurze Motorflug, und zwar auf dem Krakauer Anger bei Magdeburg.

Ein Jahr später gewann er in Berlin-Johannisthal den mit 40.000 Mark dotierten „Lanz-Preis der Lüfte“, den Dr. Ing. Karl Lanz zur Förderung des deutschen Flugwesens gestiftet hatte. Und von nun an wurde es gefördert. Hans Grade hatte nämlich die entscheidenden Bedingungen zur Erringung des Preises alleine erfüllt: Das Fluggerät musste mit deutschem Material von einem Deutschen gebaut und in mindestens zehn Metern Höhe über eine Strecke von zweimal einem Kilometer eine Acht in den Himmel schreibend geflogen sein. Dieser Triumph gab der Fliegerei überall im Reich gewaltigen Auftrieb. Aber nicht nur dort. 1910 war sein Eindecker „Libelle“ das erste Motorflugzeug überhaupt, das sich über den japanischen Inseln in die Luft erhob. Vermutlich ist dies heute mehr Japanern als Deutschen bekannt.

Während der großen Gewerbe-, Industrie- und Landwirtschaftsausstellung (der „Weltausstellung“) vom 25. Mai bis zum 11. August 1912 in Köslin nahm Grade souverän an dem „Ersten Pommerschen Rundflug“ teil. Im selben Jahr verlieh ihm Kaiser Wilhelm II. den Kronenorden 4. Klasse.

Auch der Kinofilm holte Hans Grade mehrmals. 1914 rettete er als erster deutscher fliegender Pilot in dem Stummfilm „Der Flug in die Sonne“ die Hauptdarstellerin Tilla Durieux vom Dach eines brennenden Turmes, später war er der Stuntman für Harry Piel. In dem verfilmten Roman „Das Ziel in den Wolken“ spielte er 1937 sich selbst.

Ab dem Sommer 1914 war es zunächst vorbei mit der deutschen Privatfliegerei. Ein böser Schlag gerade auch für unseren Grade! Doch was tat er? Zur Überbrückung konstruierte er den ersten deutschen Kleinwagen und baute ab 1919 seine „Autos für jedermann“. Das erste Modell war ein Zweisitzer mit einem Einzylindermotor von 800 Kubikzentimetern, ein luftgekühlter Zweitakter schon vor DKW(!). 1924 war der bereits vorher als „Volkswagen“ beworbene „Kleine Grade“, das „Flugzeug mit gestutzten Flügeln“, das meist gebaute deutsche Mini-Auto. Dann überholten ihn das Hanomag-„Kommissbrot“ und der Opel-„Laubfrosch“. Alle „Grades“ waren, obwohl sie etliche patentierte Neuerungen besaßen, äußerst robust und, wie es hieß, „von jedem Dorfschmied zu reparieren“. Hans Grade hat also auch seinen festen Platz in der Geschichte des deutschen Automobils.

1939 erschien seine Biografie „Spiel und Lebensziel“ mit einer Widmung von Ernst Udet. Ihrem Verfasser Rolf Italiaander schrieb er ins Gästebuch: „Der Flieger ist ein Krieger und schont sich nicht. Ein Leben ohne Streben, das lohnt sich nicht.“ 

Nach Kriegsende haben die Besatzer ihn gedemütigt und die deutschen Kommunisten ihn enteignet. Welch schäbiges und unwürdiges Verhalten gegenüber diesem außergewöhnlichen Mann.

Die Luftwaffe hat einen Airbus A310 nach ihm benannt. Zuvor führte eine Boeing 707 der Flugbereitschaft („Präsidentenmaschine“) seinen Namen, drei weitere Maschinen wurden nach weiteren deutschen Flugpionieren genannt. Der Güstrower Flugsportverein nennt sich „Aero Club von Güstrow Hans Grade e.V“. Die Deutsche Bundespost hat in den Jahren 1978 und 1991 Sondermarken über Flugpioniere herausgegeben, auf denen auch seine „Libelle“ erscheint. 

 

Heimatkreis Köslin