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14.08.20 / sozialistische einheitspartei / Wie die SED ihre eigenen Leute verjagte / Die Akten zu den Parteiausschlussverfahren spiegeln die große Unzufriedenheit selbst vieler Genossen mit den Verhältnissen wider

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33 vom 14. August 2020

sozialistische einheitspartei
Wie die SED ihre eigenen Leute verjagte
Die Akten zu den Parteiausschlussverfahren spiegeln die große Unzufriedenheit selbst vieler Genossen mit den Verhältnissen wider
Heidrun Budde

Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) hatte zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR rund 2,4 Millionen Mitglieder. Nach ihrem Selbstverständnis war diese Partei „der bewußte und organisierte Vortrupp der deutschen Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes“, und Mitglied zu sein „eine große Ehre“. Im Statut ist zu lesen: „Sie ist die stärkste, wahrhaft demokratische, fortschrittliche und führende Kraft von allen Parteien Deutschlands.“ Die Akten zeigen heute auf, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklafften. 

Die Motive zum Parteieintritt waren sehr unterschiedlich. Die SED-Mitgliedschaft war für die berufliche Karriere ausgesprochen hilfreich, aber auch andere eher pragmatische Gründe führten zu diesem Schritt. So äußerte Felix D. im Rahmen seines Parteiausschlussverfahrens: „In meiner Freizeit habe ich keine Zeit für Parteiarbeit, schmeißt mich raus. Ich habe gedacht, durch den Eintritt eine Wohnung zu bekommen.“ Die Mangelware Wohnung wurde über betriebliche Vergabekommissionen verteilt, und dieser Mann hatte vergeblich auf eine bevorzugte Behandlung gehofft. Auch Thomas M. wurde enttäuscht. 1986 wurde er wegen „Verlassen des Klassenstandpunktes“ aus der SED ausgeschlossen. In der Begründung heißt es: „Die Politik stellt er in Zweifel und verleumdet sie. Er selbst erklärte in den geführten Auseinandersetzungen: ,ich habe keine Lust mehr in der Partei zu sein, ich bin ja nur eingetreten, um Leitungsfunktionen zu erhalten.‘“ 

„Verlassen des Klassenstandpunktes“

Einmal in die SED eingetreten, hatten sich die Mitglieder bedingungslos der vorgegebenen Ideologie zu unterwerfen. Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit führten zu einem Rechtfertigungszwang vor der Parteigruppe. Die Mitglieder konnten faktisch nicht austreten, weil jene, die sich an einer weiteren Parteimitgliedschaft desinteressiert zeigten, vorher ausgeschlossen wurden, was in aller Regel mit diversen persönlichen Nachteilen verbunden war. Im Statut heißt es dazu: „Der Ausschluß wie jede andere Parteistrafe ist dem Betreffenden unter Angabe der Begründung mündlich mitzuteilen und die Kenntnisnahme von ihm unterschriftlich zu bestätigen.“ Das Mitglied bekam kein Schriftstück in die Hand, und einen Rechtsweg gegen diese Entscheidung gab es schon gar nicht. Die schriftlichen Beschlüsse über die Parteistrafen wurden als „Vertrauliche Verschlußsache“ im Panzerschrank der Parteileitungen verwahrt und sind heute zugänglich.

„Parteifeindliches Verhalten“ 

So weist beispielsweise eine Analyse der Bezirkskontrollkommission der SED Ro-stock für das Jahr 1979 aus, dass insgesamt 851 Parteiverfahren durchgeführt wurden. Bemerkenswert ist, dass die meisten Verfahren mit 357 gegen Arbeiter eingeleitet wurden, wobei 212 mit dem Ausschluss endeten. Die SED als angeblich „organisierter Vortrupp der Arbeiterklasse“ musste zur Kenntnis nehmen, dass die Berufsgruppe der Arbeiter am ehesten rebellierte, was in dieser Analyse allerdings nicht thematisiert wurde. 

Die Gründe des Aufbegehrens waren oft banale Alltagssorgen der Mangelwirtschaft. So ist in der Ausschlussakte von Hans H. zu lesen, dass er seine Unterschrift unter die Willenserklärung des Nationalrates der DDR für die Friedensinitiative der Sowjetunion 1980 „von der Belieferung mit Hausbrandkohlen abhängig“ gemacht habe. Die SED schloss ihn daraufhin wegen „parteifeindlichen Verhaltens“ aus. 

Herr S. ärgerte sich 1986 über die katastrophalen Wohnbedingungen und drohte damit, deshalb einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik zu stellen. Die SED schloss ihn wegen „unparteilichem Verhalten“ aus. 

Frau R. kritisierte 1986 die sehr schlechte Versorgungslage, was in der Ausschlussakte so festgehalten wurde: „Genn. R. argumentierte in einer Erklärung, daß sie keine positive Meinung zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklung habe (Kritik gegen Intershops, Exquisitläden und einem angeblich sehr schlechten Angebot in den normalen Läden, die Gehälter seien der Entwicklung angeblich nicht angepasst). Obwohl sie im gesamten Zeitraum nicht am Parteileben teilnahm, urteilt sie, daß ihr die Veranstaltungen nichts geben. Die Argumente der Genn. R. sind Meinungen, die davon zeugen, dass sie sich weder in der Parteipresse, Rundfunk/Fernsehen noch im Parteikollektiv bei erfahrenen Genossen um Aufklärung zu unklaren Fragen bemüht hat. (…) Das Verhalten der Genn. R. hat gezeigt, daß sie sich ideologisch von der Partei entfernt hat. Dieses ist ein grober Verstoß gegen das Statut unserer Partei, den die Parteileitung und die Genossen unserer Grundorganisation nicht akzeptieren.“ Sie wurde wegen „Verletzung der Partei- und Staatsdisziplin“ aus der SED ausgeschlossen. 

„Unparteiliches Verhalten“ 

Diese Bespiele machen sicherlich deutlich, wie sehr sich die Politbürokratie von den alltäglichen Sorgen der Bürger entfernt hatte. Die einfachen SED-Parteimitglieder lebten nicht in einer gut bewachten Bonzensiedlung mit Sondereinkaufsmöglichkeiten, sondern sie waren tagtäglich mit der Mangelwirtschaft konfrontiert und erkannten immer mehr die Verlogenheit des Systems. Die SED-Parteispitze weigerte sich hingegen hartnäckig, die tatsächlichen Ursachen des politischen Ungehorsams zur Kenntnis zu nehmen. In der Analyse der Parteiverfahren von 1979 ist zu lesen: 

„Verletzung der Partei- und Staatsdisziplin“ 

„Die Analyse der Parteiverfahren läßt erkennen, daß die zunehmende imperialistische Propaganda, besonders über Massenmedien, nicht ohne Wirkung blieb und bei einzelnen Genossen Gehör fand. Wenn es sich auch nicht immer um bewußt feindliche Handlungen handelt, gibt es doch eine Reihe Beispiele für Aufweichungserscheinungen, Verlassen des Klassenstandpunktes, Verletzung der Klassenwachsamkeit, liberales und prinzipienloses Verhalten. Dabei konnte der Gegner jene Genossen beeinflussen, wo es Ansatzpunkte gibt. Das sind hauptsächlich Genossen, die in ihrem Klassenstandpunkt nicht gefestigt sind, ständig ideologisch schwanken, fortwährend vor dem Gegner knieweich werden, sich am Volkseigentum vergreifen und das Ansehen der Partei und des Staates schädigten. Als Methoden des Gegners zeigen sich hemmungslose Lügenpropaganda, Verbreitung von Falschmeldungen, Halbwahrheiten und Gerüchte sowie gegen unsere Partei und die DDR gerichteten politischen Witze. Vielfältige Diskussionen, so z. B. zur Preispolitik und der verstärkte Abkauf bestimmter Waren, zeigten, daß es dem Gegner zeitweilig gelungen ist, in dieser Frage Teile der Bevölkerung unsicher zu machen.“ 

Kritik am politischen System wurde immer wieder mit den gleichen Phrasen vom angeblichen „Klassengegner“ abgeblockt. Diese ständige Realitätsverweigerung führte schließlich zehn Jahre später dazu, dass Hundertausende auf die Straße gingen und der SED-Herrschaft ein Ende bereiteten.