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28.08.20 / ThyssenKrupp / Tafelsilber-Verkauf bringt nur eine Atempause / Die Veräußerung der Aufzugsspalte löst nicht die grundsätzlichen, strukturellen Probleme von Deutschlands größtem Stahlhersteller

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35 vom 28. August 2020

ThyssenKrupp
Tafelsilber-Verkauf bringt nur eine Atempause
Die Veräußerung der Aufzugsspalte löst nicht die grundsätzlichen, strukturellen Probleme von Deutschlands größtem Stahlhersteller
Norman Hanert

Der Verkauf der Aufzugssparte sollte für Thyssenkrupp ein Befreiungsschlag zur Sicherung der Zukunft sein. Obwohl der Konzern für seine bisherige Ertragsperle einen hohen Milliardenbetrag erhält, steht dem Mischkonzern nun eine schwierige Etappe bevor.

Im Zuge der Corona-Pandemie musste Konzernchefin Martina Merz tiefrote Zahlen bekanntgeben. Ohne das mittlerweile verkaufte Aufzugsgeschäft fuhr Thyssenkrupp in den Monaten April bis Juni einen Nettoverlust von 819 Millionen Euro ein. Der Industrie- und Stahlkonzern rechnet inzwischen damit, dass allein das Stahlgeschäft bis zum Ende des Jahres einen Verlust von einer Milliarde Euro verursachen wird. Zum Stichtag 30. Juni waren die Nettofinanzschulden von Thyssenkrupp im Vergleich zum Vorjahr um zwei Drittel auf knapp 8,5 Milliarden Euro angestiegen. Erstmals musste der Konzern sogar ein negatives Eigenkapital von neun Millionen Euro ausweisen.

Zwar wird Thyssenkrupp das gesamte Geschäftsjahr mit einer deutlich besseren Bilanz abschließen können. Investoren haben im Juli Thyssenkrupp die Aufzugssparte abgekauft. Die dafür gezahlten 17,2 Milliarden Euro wird der Essener Konzern im laufenden vierten Geschäftsquartal verbuchen. Damit wird das Unternehmen schlagartig wieder ein positives Eigenkapital vorweisen können.

Problemfall Stahlerzeugung

Aber trotz des Milliardenerlöses greifen Wirtschaftskommentatoren mit Blick auf Thyssenkrupp auf Formulierungen wie „Endspiel“ zurück und warnen, dass von dem Traditionskonzern am Ende nicht mehr viel übrig bleiben könnte. Hintergrund ist die Sorge, dass der Verkaufserlös für die Aufzugssparte wegen Schulden, Pensionslasten und pandemiebedingten Umsatzeinbrüchen schnell aufgebraucht ist und am Ende zu wenig Geld für den geplanten Neustart bleibt.

Nachdem der Mischkonzern bereits 2012 seine Edelstahlsparte zu Geld gemacht hatte, ist mit dem Aufzugsgeschäft nun eine weitere Ertragsperle weg. Der Anlagenbau gilt generell als margenschwaches Geschäft, auch die Aktivitäten als Autozulieferer sind derzeit schwierig. Bereits im Mai signalisierte Konzernchefin Merz, dass sie für das Stahlgeschäft und die Marinesparte eine externe Lösung favorisiere, das heißt eine Fusion oder einen Verkauf.

Insbesondere das Stahlgeschäft reißt derzeit tiefe Löcher in die Bilanz. Hersteller aus China und der Türkei überschwemmen mit Billigangeboten den Markt in Europa. Zugleich schwächelt die Nachfrage nach Stahl von Seiten der Autobauer. Noch vor der Corona-Krise hatte US-Präsident Donald Trump einen Zoll von 25 Prozent auf Stahlimporte in die USA verhängt. Vor allem China hat in den letzten Jahrzehnten riesige Kapazitäten zur Stahlproduktion aufgebaut. Nun drücken chinesische Hersteller in großem Stil ihre Überschussmengen zu niedrigen Preisen in den Weltmarkt.

IG Metall will Staatsbeteiligung

In dieser ohnehin schwierigen Lage will die EU der europäischen Stahlindustrie im Zuge ihrer „Klimapolitik“ noch hohe Zusatzkosten aufbürden. Nach dem Willen der EU-Kommission soll die Stahlerzeugung in der EU bis 2050 „klimaneutral“ werden. Ganz konkret geht es darum, bei der Stahlerzeugung Kokskohle durch Wasserstoff aus „erneuerbaren Energien“ zu ersetzten. Der Haken dabei sind die Kosten. Allein für die deutsche Stahlherstellung werden die Umrüstungskosten auf 30 Milliarden Euro beziffert. EU-weit könnten auf die Stahlhersteller rund 100 Milliarden Euro zukommen. Angesichts solcher Zahlen erhofft sich die Stahlindustrie finanzielle Hilfe durch den „Green Deal“ der EU. Bislang noch offen ist, wie sich der „klimaneutral“ erzeugte Stahl aus der EU auf dem Weltmarkt gegen die Billigproduzenten aus China und Indien behaupten soll. Auf absehbare Zeit werden die mit Kokskohle betriebenen Hochöfen nämlich mit Abstand die billigste Art der Stahlherstellung sein.

Thyssenkrupp lotet beim Problemfall Stahlerzeugung derzeit die verschiedensten Optionen aus. Falls unter den jetzigen Krisenbedingungen überhaupt ein Käufer zu finden ist, müsste Thyssenkrupp vermutlich als Mitgift einen Großteil der Pensionslasten übernehmen. Ein erster Versuch des Konzerns, seine Stahlsparte mit Tata Steel Europa zusammenzulegen, war bereits vergangenes Jahr wegen Bedenken der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager abgebrochen worden. Derzeit werden häufig der schwedische Stahlkonzern SSAB und der chinesische Hersteller Baosteel als mögliche Fusionspartner genannt.

Die IG Metall brachte inzwischen eine deutsche Lösung ins Gespräch: eine Fusion mit Salzgitter oder Saarstahl unter Führung von Thyssenkrupp und einer Beteiligung des Bundes.