„Aufstand von unten“
Der Kapitalismus sei in eine neue Phase eingetreten, meint Shoshana Zuboff, emeritierte Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der renommierten US-amerikanischen Harvard University in Cambridge (Massachusetts), in ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“. Letzterer resultiere aus technologischen Entwicklungen, die bisher undenkbare Konzentrationen von Reichtum, Wissen und Macht sowie die Außerkraftsetzung vieler zentraler Menschenrechte erlaubten.
Wie dieser Überwachungskapitalismus à la Google, Facebook und Co. entstehen konnte, ist ebenso ein Thema von Zuboff wie dessen umfassende Dominanz und die entweder kläglich-naive oder machiavellistische Haltung der Politik dazu. Als Quintessenz aus ihren Ausführungen fordert die Autorin von uns allen, den „antidemokratischen Moloch“ des Überwachungskapitalismus und die permanenten Bemühungen, um eine Verhaltensmodifizierung der Bevölkerung zu sabotieren.
Leider führt Zuboff aber nicht weiter aus, was das im Konkreten bedeuten soll. Insofern weist das theoretisch äußerst reflektierte Buch ein entscheidendes Manko auf: Praktische Ratschläge für den „Aufstand von unten“ angesichts des „Putsches von oben“ muss sich der Leser am Ende doch woanders holen.Wolfgang Kaufmann
Shoshana Zuboff: „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“, Campus Verlag, Frankfurt/New York 2019, gebunden, 727 Seiten, 29,95 Euro
Endlich ein Nationalstaat
Zum Thema Reichsgründung ist in der Reihe „Wissen“ des Beck Verlags ein Band des Leitenden Wissenschaftlers im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, Michael Epkenhans, erschienen.
Die Deutschen hatten das Ziel der Freiheitskämpfer von 1813, der Demonstranten am Hambacher Schloss 1832 und der Revolutionäre von 1848/49 endlich erreicht. Die Proklamation des Deutschen Reichs unter Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) fand im Spiegelsaal des Schlosses Versailles statt. Denselben Saal wählten die Franzosen, als sie 1919 der deutschen Delegation den Frieden diktierten.
Epkenhans zeichnet minutiös den steinigen Weg nach, den die Gründung eines einheitlichen Nationalstaats nahm und ordnet das Geschehen in die deutsche und europäische Geschichte ein. Abschließend widmet er sich der „Reichsgründung in der Erinnerung“. An Gedenkfeiern sei abzulesen, wie der Mythos der Reichsgründung längst verblasst ist. Eine bewegende Zeitgeschichte, prägnant auf 128 Seiten dargelegt. Helga Walter-Joswig
Michael Epkenhans: Die Reichsgründung 1870/71“, C.H. Beck Verlag, München 2020, broschiert, 128 Seiten, 9,95 Euro