25.04.2024

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04.09.20 / Zwischenruf / Kleine Flaggenkunde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36 vom 04. September 2020

Zwischenruf
Kleine Flaggenkunde
René Nehring

Noch ist nicht ganz klar, wer genau am vergangenen Wochenende vor dem Berliner Reichstag aufkreuzte, um mit wehenden Fahnen vor dem Mittelpunkt der deutschen Demokratie zu posieren. Die meisten Medien sprachen von „Neonazis“, „Rechtsextremisten“ und „Reichsbürgern“. Als Beleg dafür diente ihnen die Tatsache, dass die Stürmenden überwiegend schwarz-weiß-rote Flaggen schwenk-ten, die bei den genannten Kreisen angeblich „sehr beliebt“ seien. 

An der Darstellung der Ereignisse lässt sich schwerlich rütteln. Hinterfragen lässt sich jedoch, ob das Zeigen der kaiserlichen Flagge allein schon eine „Schande für die deutsche Demokratie“ ist. Denn schon ein oberflächlicher Blick in die Geschichte zeigt, dass „Schwarz-Weiß-Rot“ und der allmähliche Übergang von der absolutistischen Herrschaft der Fürsten hin zu einem demokratischen Nationalstaat zumindest teilweise einhergingen. 

Gewissermaßen „entstanden“ ist die Flagge 1867, als unter der Ägide des Königreichs Preußen der Norddeutsche Bund gebildet wurde. Dieser war, Jahre vor der Ausrufung des Kaiserreichs in Versailles, die eigentliche Gründung einer gemeinsamen neuen deutschen Staatsordnung – mitsamt einer Verfassung, die nicht zuletzt dem Parlament weitreichende Rechte zubilligte. 

Zum sichtbaren Zeichen dieser Staatsgründung gab sich der Bund eine gemeinsame Flagge: Dazu wurde das bisherige Schwarz-Weiß Preußens um das Weiß-Rot der norddeutschen Hansestädte zum neuen Schwarz-Weiß-Rot erweitert. Auch nachdem sich 1871 der Norddeutsche Bund mit den süddeutschen Staaten zum Deutschen Reich vereinte, blieb Schwarz-Weiß-Rot die amtliche Flagge – und wurde somit zum Symbol des neuen deutschen Nationalstaats. 

Wenngleich dieser Nationalstaat bis 1918 eine Monarchie blieb, so entwickelte sich doch im Laufe der folgenden Jahrzehnte nach und nach ein parlamentarisches System heraus, dessen Mittelpunkt das zwischen 1884 und 1894 nach Plänen von Paul Wallot errichtete Reichstagsgebäude wurde. Und über diesem Parlament wehte zwischen 1894 und 1918 – mithin 24 Jahre lang – die schwarz-weiß-rote Flagge. 

Auch wenn die Republik von Weimar im Jahre 1919 die schwarz-rot-goldenen Farben der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert als neue Flagge erkor und diese seitdem als Symbol deutscher Demokratie gilt, so steht doch Schwarz-Weiß-Rot keineswegs für eine antidemokratische Haltung. Die Nationalsozialisten jedenfalls kehrten nach ihrem Machtantritt nicht zu dieser Flagge zurück, sondern erklärten mit dem Hakenkreuz-Banner ihre eigene Fahne zum Symbol ihres Staates. 

Was auch immer die Randalierenden auf der Treppe des Reichstags am vergangenen Wochenende beabsichtigt haben mögen: Sollten sie antidemokratisch gesinnt sein, können sie sich kaum auf die Flagge des Kaiserreichs berufen. Eine „Schande für die Demokratie“ ist das bloße Zeigen von Schwarz-Weiß-Rot vor dem Reichstag allerdings auch nicht.