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04.09.20 / Flora / Pflanzen als Überlebenskünstler / Der italienische Pflanzenkundler Stefano Manusco berichtet von wahren Wundern der Verbreitung von Gewächsen über Zeit und Raum hinweg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36 vom 04. September 2020

Flora
Pflanzen als Überlebenskünstler
Der italienische Pflanzenkundler Stefano Manusco berichtet von wahren Wundern der Verbreitung von Gewächsen über Zeit und Raum hinweg
Dirk Klose

Stefano Manusco, Professor für Pflanzenkunde an der Universität Florenz, hat mehrere international erfolgreiche Bücher über die Pflanzenwelt geschrieben. In seinem neuen Buch befasst er sich mit der rasanten Verbreitung von Pflanzen, angefangen von kleinen Gewächsen bis hin zu Sträuchern und Bäumen. Er spricht von „unglaublichen Reisen“, und es ist mitunter fast unglaublich, was er aus aller Welt berichtet. Dabei sagt er anfangs kaum Neues, wenn er die „Reisemöglichkeiten“ von Pflanzen beschreibt, etwa wenn der Wind deren Samen über weite Strecken trägt, oder sie in den Fellen von Tieren oder in Federn von Vögeln hängen, über den Kot streunender Tiere ausgeschieden werden oder in für sie zunächst unwirtlichen Gegenden Techniken des Überlebens und der Anpassung entwickeln. Was bei Manuscos höchst spannend zu lesenden Beispielen frappiert, ist die Tatsache, dass Pflanzen dabei so gut wie jedes Hindernis überwinden und sich ausbreiten, wo sie einmal „gelandet“ sind, sodass sie, wo sie als Schädlinge wirken, oft zur Plage werden.

Wenn Manusco von „Überlebenskünstlern“ spricht, so von der Flora rund um Tschernobyl, wo heute, nach der Katastrophe paradoxerweise eine der artenreichsten Regionen der Ukraine entstanden ist. Berührend die Begegnung mit einem Japaner, der ihm blühende Pflanzen zeigt, deren Wurzeln 1945 fast im Bodennullpunkt der Atombombenexplosion über Hiroshima standen. Am Ende bekennt der alte Herr, auch er sei ein solcher Hibakusha. Als Siebenjähriger habe er wie durch ein Wunder die Explosion überlebt.

Um andere Wunder zu nennen: 1963 tauchte südlich von Island aus dem Meer eine Vulkaninsel auf, auf der heute 69 Arten gedeihen. In der im Jahre 70 nach Chr. von den Römern eroberten jüdischen Festung Massada fanden Archäologen Samen, die vor Kurzem als Dattelpalmen wieder ausschlugen. 

Das mit zahlreichen Aquarellen bibliophil aufgemachte Buch sensibilisiert für Chancen und Gefährdungen unserer lebenswichtigen Pflanzenwelt. Etwas deutlicher hätte man sich noch Überlegungen gewünscht, wann übermäßig wuchernde Pflanzen zu einer Gefahr werden können. Der Autor zeigt deutlich: In der Natur ist alles miteinander verbunden. Das nicht zu verstehen habe „tiefgreifende Konsequenzen“. Sein Plädoyer: „Jede lebende Spezies ist Teil eines komplexen Beziehungsgeflechts. Schon deshalb verdient es jeder Organismus, geschützt zu werden.“ Über das Staunen hinaus könnte das Buch zu größerer Achtsamkeit und Sorgfalt gegenüber Fauna und Flora führen. 

Stefano Manusco: „Die unglaubliche Reise der Pflanzen“, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020, gebunden 160 Seiten, 22 Euro