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11.09.20 / Griechisch-türkischer Konflikt Der Streit um die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der Ägäis führt zu einem Säbelrasseln zwischen beiden NATO-Verbündeten / Ein Streit um Gas – und Ehre / Obwohl ein Kompromiss im Interesse beider Länder wäre, wird er von keiner Seite angestrebt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37 vom 11. September 2020

Griechisch-türkischer Konflikt Der Streit um die Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der Ägäis führt zu einem Säbelrasseln zwischen beiden NATO-Verbündeten
Ein Streit um Gas – und Ehre
Obwohl ein Kompromiss im Interesse beider Länder wäre, wird er von keiner Seite angestrebt
Wolfgang Kaufmann

Am 26. August dieses Jahres verkündete der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis unter Berufung auf das Seerechtsübereinkommen der UN (UNCLOS) vom 10. Dezember 1982 eine Erweiterung der Territorialgewässer der Hellenischen Republik von sechs auf zwölf Seemeilen. Vorerst galt die Erklärung zwar nur für die Ionische See zwischen Griechenland und Italien, aber der Grieche signalisierte, dass künftig auch in der Ägäis Ausweitungen der Hoheitszone erfolgen könnten. Dies geschah vor dem Hintergrund des Streites mit der Türkei um vermutete Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. 

Ankara regierte daher überaus heftig. Sowohl Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan als auch sein Vize und sein Außenminister bezeichneten Änderungen des territorialen Status quo in der Ägäis als lupenreinen Kriegsgrund. Daraufhin hagelte es jede Menge Kritik am Verhalten der türkischen Führung, die jedoch nur zum Teil berechtigt ist.

Wenn Griechenland tatsächlich um jede seiner rund 3000 Ägäis-Inseln und -Inselchen, die vielfach in Sichtweite der türkischen Küste liegen, aber bis zu 600 Kilometer vom hellenischen Festland entfernt sind, einen Kreis von zwölf Seemeilen Durchmesser zöge, dann würde das Ägäische Meer zum fast rein griechischen Gewässer mutieren und Ankara besäße keine Chance, die vermuteten Erdgasvorkommen vor seiner Haustür auszubeuten. Zumal Athen gleichermaßen angedeutet hatte, auch noch eine bis zu 200 Seemeilen breite Ausschließliche Wirtschaftszone um die Eilande beanspruchen zu wollen. Bei all dem könnte Griechenland zwar auf das UNCLOS-Abkommen pochen, sich aber dennoch ins Unrecht setzen.

Kritik nur teilweise berechtigt

Nach Ansicht diverser Seerechtsexperten wie Nele Matz-Lück von der Universität Kiel würden solche formal zulässigen griechischen Maßnahmen die Türkei über Gebühr benachteiligen – und das widerspräche dem Geist der UN-Vereinbarung. Grenzregelungen zur See müssten auch den Prinzipien von Gerechtigkeit und Vernunft folgen. Deshalb sei in der Vergangenheit bei der Beilegung derartiger Streitigkeiten ebenso auf die Länge der Küstenlinie eines Staates geschaut worden; und man habe kleinere Inseln unberücksichtigt gelassen, damit keine unbilligen Härten für eine Seite entstehen.

Das heißt, die Türkei wäre aufgrund ihrer geografischen Lage eigentlich klug beraten, den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg oder eine andere Schiedsstelle der Vereinten Nationen anzurufen, um einen Kompromiss herbeizuführen. Das könnte Erdogan jedoch als Schwäche ausgelegt werden und innenpolitisch weniger nützen als das permanente Säbelrasseln gegenüber dem Erzfeind Griechenland. Zudem dürfte auch Athen kaum bereit sein, einem Güteverfahren zuzustimmen, da es sich derzeit in der komfortableren juristischen Position wähnt. 

Dabei zeigt das Beispiel anderer Staaten, wie solche Problemsituationen zum Vorteil beider Protagonisten gelöst werden können. So haben Russland und Norwegen tragfähige Lösungen bei der gemeinschaftlichen Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der Barentssee gefunden. Als Vorbedingung müsste Ankara allerdings erst einmal dem UNCLOS-Abkommen beitreten, denn dessen Boykott nützt der Türkei am Ende gar nichts. Schließlich ist sie nach dem Völkergewohnheitsrecht auch als Nichtunterzeichnerstaat verpflichtet, die Ansprüche von Signatarmächten wie eben Griechenland anzuerkennen.





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