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11.09.20 / Wirecard-Skandal / Ein potenzieller Sprengsatz für die Koalition / Der Untersuchungsausschuss zum größten Wirtschaftsbetrug in der Bundesrepublik kann für Merkel, Scholz und Co. gefährlich werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37 vom 11. September 2020

Wirecard-Skandal
Ein potenzieller Sprengsatz für die Koalition
Der Untersuchungsausschuss zum größten Wirtschaftsbetrug in der Bundesrepublik kann für Merkel, Scholz und Co. gefährlich werden
Norman Hanert

Nach unbefriedigenden Antworten der Bundesregierung zum Wirecard-Skandal haben sich FDP, Linkspartei und Grüne auf einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss geeinigt, um Licht in den vermutlich größten Wirtschaftsbetrug in der Geschichte der Bundesrepublik zu bringen. Ein Jahr vor der Bundestagswahl kann sich diese Untersuchung zum Sprengsatz für die schwarz-rote Koalition entwickeln.

Aus Sicht von Union und SPD kommt die Etablierung des Wirecard-Ausschuss esin der Schlussphase der Koalition besonders ungünstig. Im Parlamentsbetrieb gelten Untersuchungsausschüsse ohnehin als schärfstes Schwert der Opposition. Den Koalitionären droht obendrein, dass AfD, FDP, Grüne und Linkspartei die Affäre um den insolventen Zahlungsdienstleister als willkommene politische Munition im Bundestagswahlkampf verwenden. Dabei droht nicht nur dem SPD-Hoffnungsträger Olaf Scholz, dass er als Finanz- und Wirtschaftsexperte der Sozialdemokraten entzaubert und demontiert wird.

Mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wird sich noch ein weiterer potenzieller Kanzlerkandidat darauf einstellen müssen, eine Zeugenladung zum Ausschuss zu erhalten. Der im Münchener Vorort Aschheim ansässige Wirecard-Konzern hatte im Juni 2020 zunächst mutmaßliche Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zugegeben. Wenig später meldete das Unternehmen Insolvenz an. Mittlerweile flog Wirecard auch aus dem Deutschen Aktienindex, in dem es von 2018 an gelistet war.

Naheliegend ist damit, dass sich der Untersuchungsausschuss mit der Frage beschäftigen wird, welche Erkenntnisse die Behörden im Freistaat Bayern über die in dem Bundesland beheimatete Pleite-Firma hatten. Ein ganz zentraler Punkt der Untersuchung wird die Frage sein, ob die unter Aufsicht von Bundesfinanzminister Olaf Scholz stehende Finanzaufsicht BaFin bei der Kontrolle über Wirecard versagt hat. 

Viele Wirecard-Lobbyisten 

Was auf den sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten mit dem Untersuchungsausschuss zukommen könnte, macht die Kritik des FDP-Abgeordneten Florian Toncar deutlich: „Scholz hat nach der Insolvenz von Wirecard gesagt, sein Ministerium habe keine Fehler gemacht. Das stellt sich bereits jetzt anders dar. Der Finanzminister könnte mit einer geschönten Darstellung ein Problem mit seiner Glaubwürdigkeit bekommen. Zumindest stellen sich Fragen nach seiner Fähigkeit als Manager.“ 

Auch Unionspolitiker werden sich auf unangenehme Fragen einstellen müssen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die Wirecard jahrelang prüften, fallen beispielsweise in den Zuständigkeitsbereich von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. SPD-Politiker versuchen tatsächlich auch schon, den CDU-Kollegen stärker ins Blickfeld zu rücken: „Ich erwarte von Peter Altmaier, dass er sich endlich an der Aufklärung beteiligt und dass er Maßnahmen ergreift, um die Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer funktionsfähig zu machen“, so der Vize-Chef der SPD-Bundestagsfraktion Sören Bartol.

Als Zeugen geladen werden mit Sicherheit auch der frühere Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und der ehemalige Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche. 

Ihre Befragung könnte einen besonders heiklen Punkt berühren: Im Raum steht der Verdacht, dass Akteure wie eben zu Guttenberg ihre guten Kontakte ins Kanzleramt und in Ministerien genutzt haben, um für Wirecard Lobbyismus zu betreiben. Bereits bekannt ist etwa, dass sich das Bundesfinanzministerium im Juni vergangenen Jahres an chinesische Ansprechpartner gewandt hat, um sie über das Interesse von Wirecard am Eintritt in den chinesischen Markt zu informieren.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte sich bei einem China-Besuch im Herbst 2019 für den Zahlungsdienstleister ein. Politisch brisant ist der Einsatz von Merkel und Scholz, weil die BaFin offenbar bereits vor anderthalb Jahren einen Manipulationsverdacht gegen Wirecard geäußert hatte. 

Ende durch vorzeitige Neuwahlen?

Laut Sachstandsbericht des Finanzministeriums wurde Scholz bereits am 19. Februar 2019 darüber unterrichtet, dass die BaFin „wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Verbot der Marktmanipulation“ untersucht. Laut Angaben des Bundesfinanzministeriums ist auch das Kanzleramt im August 2019 „auf Arbeitsebene“ auf Vorwürfe gegen Wirecard hingewiesen worden. Scholz und Merkel werden sich damit der Frage stellen müssen, warum sie sich trotz solcher Hinweise für Wirecard in China verwendet haben.

Die zahlreichen Vorwürfe, die im Raum stehen, könnten bei einigen Politikern von SPD und Union die Versuchung wachsen lassen, eine politische „Notbremse“ zu ziehen. Ein Ansatzpunkt hierfür wäre das gezielte Platzenlassen der Großen Koalition, um vorzeitige Neuwahlen herbeizuführen. Das Parlamentsrecht sieht vor, dass der Auftrag des Untersuchungsausschusses automatisch mit der Legislaturperiode endet. 

Um die Aufklärung der Wirecard-Vorgänge fortzusetzen, müsste ein neugewählter Bundestag erst wieder die Einrichtung eines neuen Untersuchungsausschusses beschließen.