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11.09.20 / Geschichte / Eigenwillige Adlige als Hexe verurteilt / Das Schicksal der Sidonia von Borcke bewegt bis heute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37 vom 11. September 2020

Geschichte
Eigenwillige Adlige als Hexe verurteilt
Das Schicksal der Sidonia von Borcke bewegt bis heute
Martin Stolzenau

Sidonia von Borcke entstammte einem einst einflussreichen pommerschen Adelshaus, kam mit ihrer Umgebung in verschiedene Konflikte und wurde schließlich von ihren Kritikern der Hexerei beschuldigt. Deshalb wurde sie vor 400 Jahren in Stettin in einem spektakulären Prozess als Hexe verurteilt, hingerichtet und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. 

Das führte damals in ganz Deutschland zu kontroversen Disputen, zu einer vielgestaltigen Nachwirkung und Verarbeitung in der Literatur. Auch Theodor Fontane nahm sich im Alter des Stoffs für seine Prosa an. Vor über 100 Jahren brachte dann Ludwig Hamann seinen Roman „Die Klosterhexe von Marienfließ und der Untergang des Pommerschen Herzogsgeschlechts“ heraus, der in die Überlegung einmündete, dass Sidonia von Borcke mit ihrer Hexerei auch das Erlöschen des herzoglichen Hauses der Greifen verursacht haben könnte. 

Gebildet, attraktiv, selbstbewusst

Sidonia von Borcke wurde 1548 auf dem großen pommerschen Familienbesitz geboren. Als Stammvater der Familie gilt ein Adeliger mit wendischer Abstammung, der im 12. Jahrhundert zu den Vertrauten von Herzog Bogislaw I. von Pommern gehörte und mit Landbesitz entlohnt wurde. Seine Nachfahren mehrten in mehreren Familienzweigen den Besitz gewaltig, bildeten in Hinterpommern mit ihren Besitzungen den Borckischen Kreis mit mehreren Städten, der nach 1817 als Landkreis Regenwalde weiterbestand, und erwarben später auch in Vorpommern bis auf Usedom und sogar in Kurbrandenburg Besitz. Mitglieder der Familie bekleideten von Anfang an am Hof der Herzöge von Pommern und später auch in Kurbrandenburg höchste Ämter, wurden teilweise zu Grafen erhoben und hielten auf prachtvollen Schlössern wie Tolksdorf, Auerose, Pansin und Stargordt Hof. 

Sidonia wuchs in einem der vielen Gutshäuser der Familie auf, wurde von Hauslehrern erzogen und entwickelte sich zu einer äußerlich überaus attraktiven jungen Frau mit großer Bildung und einem starken Selbstbewusstsein, die mit der männlichen Verwandtschaft – für damalige Verhältnisse recht ungewöhnlich – auf Augenhöhe verkehrte. Das sorgte in der Familie für Konflikte und schreckte auch potenzielle Heiratskandidaten, die vor allem ihre Schönheit und ihre große Mitgift im Auge hatten, ab. Der Familienstreit eskalierte, als Sidonia nach dem Ableben ihres Vaters als Frau die Eigenverantwortung über ihr väterliches Erbe beanspruchte. Das stieß rundum auf Ablehnung. Frauen waren und blieben lebenslang in der Obhut ihrer Väter, Vormünder oder Ehemänner. Sidonia galt wegen ihres Aufbegehrens in ihren Kreisen als zänkisch und händelsüchtig, ließ sich jedoch letztlich 1604 von der Familie zum Eintritt in das Stift im Kloster Marienfließ bewegen. Da war sie 56 Jahre alt.

Eintritt ins Kloster

Das Kloster wurde 1231 von der Adelsfamilie des Hans zu Putlitz in der nördlichen Prignitz an der Grenze zu Mecklenburg als Zisterzienserinnen-Abtei gegründet und nach der Reformation im Rahmen der Säkularisierung vom brandenburgischen Kurfürsten in ein freiweltliches Stift umgewandelt, in dem alleinstehende Damen aus dem Adel ein kirchlich geprägtes Standesleben führen konnten. Die Anlage gilt heute als ältestes Klosterensemble der Prignitz und wird von der evangelischen Kirche als Alters- und Pflegeheim genutzt. 

Hier verbrachte Sidonia von Borcke einige Jahre. Doch das nicht mehr ganz so junge Fräulein sorgte auch im Stift mit ihrem selbstbewussten Auftreten für Konflikte. Sie fühlte sich oft gegängelt, widersetzte sich der Priorin und legte gegen die ihr auferlegten Beschränkungen Beschwerde ein, die zur Bearbeitung bei Jost von Borcke landete, einem einflussreichen Verwandten, der das „schwarze Schaf der Familie“ endgültig in die Schranken weisen wollte. 

Anklage und Prozess

So geriet Sidonias Beschwerde zum Bumerang. Jost von Borcke ordnete eine Untersuchung an, schickte die belastenden Aussagen der Klosterdamen und der Priorin, die die Beschwerdeführerin sogar der Hexerei beschuldigten, mit einem Kommentar an das Hofgericht in Stettin und löste damit einen Gerichtsfall aus. Am 21. November 1619 kam Sidonia von Borcke in Haft. Die Untersuchungsakten wurden zur Begutachtung zum renommierten Schöffenstuhl in Magdeburg geschickt. Nun mahlten die Mühlen der Justiz. 

Der Schöffenstuhl galt als obergerichtliche Instanz und wurde aus ganz Deutschland sowie aus dem Ausland als Gutachter angerufen. Aber auch die Juristen der Domstadt standen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges mehr denn je unter dem Einfluss eines mittelalterlich- christlichen Aberglaubens, der bestimmten Frauen mit einem unangepassten Auftreten Zauberkräfte zubilligte. 1487 wurde für die Untersuchung solcher Vorfälle von Dominikanermönchen der „Hexenhammer“ verfasst, der „Erkennungszeichen einer Hexe“ vorgab und für die Ermittlung der Verstöße die „peinliche Folter“ gestattete. 

Sidonia von Borcke wurde in der Folge unter der Folter nach ihrer angeblichen Hexerei befragt, bekannte sich unter unerträglichen Schmerzen als „schuldig“ und stand dann in Stettin vor Gericht. Die Richter verurteilten sie am 1. September 1620 als Hexe zum Tode. Am 28. September 1620 wurde die Adelige in Stettin mit dem Schwert gerichtet. Ihr Leichnam wurde danach verbrannt. 

Das Aussterben des Herzoghauses

Als 1637 das pommersche Herzogshaus der Greifen ausstarb, wurde das im Sog der anhaltenden Hysterie um Hexerei ebenfalls Sidonia von Borcke zugeschrieben. Dazu gesellten sich weitere Legenden, die Autoren immer wieder zu Prosaproduktionen anregten. 

Parallel entstanden einige bildliche Darstellungen und Fantasiebilder von Künstlern, die je nach Interpretationsabsicht ihre einstige Schönheit betonten. So blieb das Schicksal der Sidonia von Borcke bis in unsere Tage interessant.

Projekte zum Jahrestag 

400 Jahre nach dem Tod Sidonias von Borcke soll die Geschichte der Region aus einer weiblichen Perspektive betrachtet werden. Ab dem 19. August wird in polnischer und deutscher Sprache eine Informationskampagne in sozialen Netzwerken über die Geschichte, Politik und Gesellschaft dieser Zeit starten. Neben regelmäßigen Online-Beiträgen entstehen Hörspiele, die Sidonia eine Stimme geben, sowie Flyer und Broschüren. 

Das Theater Brama aus Gollnow [Goleniów] und die Kulturreferentin für Pommern und Ostbrandenburg am Pommerschen Landesmuseum Greifswald haben sich als Leiter des Projektes zusammengeschlossen, um Geschichte für ein modernes Publikum zugänglich und erlebbar zu machen. Den interdisziplinären Ansatz unterstreicht zudem eine enge Zusammenarbeit mit Tourismusorganisationen, Stadtführern, Bibliotheken und Archiven auf beiden Seiten der Oder. Gemeinsam und mit finanzieller Unterstützung des Fonds für kleine Projekte der Euroregion Pomerania setzen die Projektmitstreiter die Jubiläumskampagne um. Die Gäste sind eingeladen zu einer Reise in die Zeiten der berühmten pommerschen Adeligen. 

Kriminalistische Untersuchung

Auch das Pommersche Landesmuseum in Greifswald widmet sich dem Fall Sidonia. Im Klostergarten des Landesmuseums können Besucher die Schauspielerin Katja Klemt treffen, die sich in einer kriminalistischen Untersuchung der aktenkundigen Hexe Sidonia von Borcke widmet. „Ich möchte verstehen, wie man zu einer Hexe wird“, erklärt sie mit ihrer rauchigen Stimme. Mit dieser Stimme will sie der Geschichte Sidonias auch im Rahmen der im Projekt geplanten Kriminalpodcasts Gehör verschaffen.

Katja Klemt schreitet langsam zwischen den Beeten des Klostergartens. Hin und wieder bückt sie sich und riecht an einer Pflanze. Es ist schon August und viele Esskräuter und Heilpflanzen sind bereits verblüht. Sie bückt sich über das Bilsenkraut und riecht an den Blüten des Rainfarns. Hatte Sidonia das einst im Garten des Stiftes Marienfließ auch getan? 

b Weitere Informationen

https://s1620.eu

www.pommersches-landesmuseum.de