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18.09.20 / Verfolgung der Armenier / Es begann mit Streit um Winterweiden und endete mit einem Völkermord / Das Osmanische Reich trieb seine christliche Minderheit in einen qualvollen Tod in Syriens Wüste. Ein Massaker in Konstantinopel vor 125 Jahren steht als Datum für den Beginn der Vernichtung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38 vom 18. September 2020

Verfolgung der Armenier
Es begann mit Streit um Winterweiden und endete mit einem Völkermord
Das Osmanische Reich trieb seine christliche Minderheit in einen qualvollen Tod in Syriens Wüste. Ein Massaker in Konstantinopel vor 125 Jahren steht als Datum für den Beginn der Vernichtung
Klaus J. Groth

Die Lunte legten lokale Streitigkeiten zwischen Moslems und Christen, Kurden und Armeniern. Daraus entwickelte sich ein Flächenbrand mit Massenmorden an Armeniern. Die Tragödie endete mit dem Genozid an dieser Volksgruppe. Ein Massaker in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches am 30. September 1895 steht als Datum für den Beginn der Vernichtung.

Schon länger stritten christliche Armenier und mohammedanische Kurden um Winterweiden. Kurdische Lokalchefs forderten von ihren armenischen Nachbarn Sonderabgaben. Dagegen protestierten am 30. September 1895 Armenier in Konstantinopel. Die osmanische Polizei erschoss 20 Demonstranten. Ein wütender türkischer Mob erschlug zahlreiche Flüchtende. Etwa 3000 Armenier retteten sich in Kirchen. Dort wurden sie über Tage belagert, die Polizei half nicht. 

Unterprivilegierte Christen

Bis ins 19. Jahrhundert lebten die Armenier als unterprivilegierte Minderheit in Anatolien. Die gleichen Rechte wie Muslime besaßen sie nicht. Die Gegensätze verschärften sich, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Niedergang des Osmanischen Reichs begann. Je schwächer der „kranke Mann am Bosporus“ wurde, desto mehr erstarkten nationale Volksgruppen. Das schürte die Rivalitäten. Kurdische Clanchefs forderten zusätzliche Abgaben. Die Armenier weigerten sich, diese doppelten Steuern zu zahlen. Die osmanische Regierung stachelte die muslimische Bevölkerung zu Vertreibung und Plünderung an. 

Sultan Abdülhamid II. förderte die Spannungen seit 1894. Er glaubte, die Schwäche des osmanischen Vielvölkerstaats lasse sich durch Umwandlung in einen türkisch-islamischen Staat bewältigen. Das Massaker vom 30. September war nur eines von vielen, die sich zwischen 1894 und 1896 ereigneten. Weil es aber nicht in der abgeschiedenen Provinz, sondern in der Hauptstadt Konstantinopel stattfand, wurde es zum Menetekel. Die Zahl der Todesopfer aller Ausschreitungen wird zwischen 80.000 und 300.000 geschätzt. Nicht berücksichtigt sind Zehntausende Obdachlose, die verhungerten oder erfroren. 50.000 Kinder wurden zu Waisen.

Eine in Paris erscheinende Zeitschrift bezeichnete die Massenmorde 1898 als „Holocaust“. Eine Missionarin beschrieb 1896 Ausschreitungen mit 4000 Opfern, von denen 1500 in einer Kirche verbrannten, als „ein Massaker, das zu einem großen Holocaust wurde“.

Von den Massakern waren in der Tat vor allem Armenier betroffen, sie richteten sich aber mehr und mehr auch gegen andere Christen. Beim Massaker von Diyarbakir 1895 wurden 2500 Armenier getötet, 25.000 Christen zum Wechsel zum islamischen Glauben gezwungen. 

Die „New York Times“ berichtete am 10. September 1895 unter der Schlagzeile „Ein weiterer Armenischer Holocaust“. Und der schottische Althistoriker und Klassische Archäologe William Mitchell Ramsay prophezeite in seinem 1897 erschienenen Buch „Impressions of Turkey During Twelve Years’ Wanderings“: „Die Armenier werden mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit ausgerottet werden, soweit sie nicht in andere Länder entkommen können.“

Die düstere Prophezeiung erfüllte sich. Mit dem Eintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg setzte die Verfolgung erneut ein. Die an die Macht gekommenen revolutionären „Jungtürken“ erklärten die Armenier zu Staatsfeinden. Sie waren zwischen die Fronten türkischer und russischer Interessen geraten. Zwar schlugen sich nur wenige Armenier auf die russische Seite, doch reichte dies den „Jungtürken“ als Beweis für einem vermeintlichen Sabotageplan des Staatsfeindes. Ein „Komitee für Einheit und Fortschritt“ befahl im Februar 1915, alle armenischen Soldaten in der osmanischen Armee zu entwaffnen sowie sie zu töten oder in Arbeitsbataillone zu stecken. Letzteres war nur ein Aufschub, auch diese Soldaten wurden später ermordet. 

Die systematische Verfolgung begann in Konstantinopel und weitete sich zum Völkermord aus. In der Nacht zum 24. April 1915 verhaftete die Polizei über 200 armenische Intellektuelle. Man warf ihnen vor, für die Kriegsgegner gearbeitet zu haben. Viele Verhaftete wurden öffentlich hingerichtet. Der 24. April ist deshalb der Gedenktag für den Völkermord.

Kurz nach dem blutigen Übergriff in Konstantinopel fiel die Entscheidung, die Armenier in die syrische und die mesopotamische Wüste zu treiben. Das bedeutete den sicheren Tod. Die türkische Regierung erließ am 27. Mai 1915 ein Deportationsgesetz, das die Vertreibung des gesamten Volkes vorsah. 

Das Ziel war die Vernichtung des armenischen Volkes. Die Regierung machte sich nicht die Mühe, das zu verbergen. Der deutsche Botschafter Hans von Wangenheim vermerkte im Juni 1915, die Regierung wolle den Krieg dazu nutzen, „um mit ihren inneren Feinden, den einheimischen Christen, gründlich aufzuräumen“. Generalkonsul Johann Heinrich Mordtmann bestätigte, es gehe „darum, die Armenier zu vernichten“.

„Die Armenierfrage wurde gelöst“

Die Todesmärsche durch das schroffe Gebirge Richtung Aleppo begannen nach dem Erlass des Deportationsgesetzes. Bereits die Not auf dem Marsch war Teil der beabsichtigten Ausrottung. Die Menschen wurden erschlagen, in Schluchten gestürzt, ertränkt. Was Hunger, Durst, Gewalt und Krankheiten in Mesopotamien nicht erledigten, besorgten die wiederholten Massaker, bei denen ganze Ortschaften „wie Schafe abgeschlachtet“ wurden. Bis zu 1,5 Millionen Armenier hatten durch den Genozid ihr Leben verloren. Eine der ältesten christlichen Nationen schien ausgelöscht.

Am 29. August 1915 telegrafierte die treibende Kraft der Vernichtung, der Innenminister und Großwesir des Osmanischen Reiches sowie Führer der „Jungtürken“ Talaat Pascha: „Die Armenierfrage wurde gelöst. Es gibt keine Veranlassung, Volk oder Regierung wegen der überflüssigen Grausamkeiten zu beschmutzen.“ Seither wird von türkischer Seite geleugnet und abgestritten, was geschehen ist. 

Über 100 Jahre später, im Jahre 2016, rang sich der Deutsche Bundestag zu einer Resolution durch, die den Völkermord einen Völkermord nannte. Die Türkei schäumte, nannte die Resolution „lächerlich“ und drohte mit Beeinträchtigungen der Beziehungen. Regierungssprecher Steffen Seibert beschwichtigte: Die Resolution sei gesetzlich unverbindlich.