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18.09.20 / Kunst und Ideologie / Undank ist der Welt Lohn / Zürich hadert mit der weltberühmten Kunstsammlung Bührle – weil der Stifter während des Zweiten Weltkriegs Rüstungsgeschäfte mit dem Deutschen Reich gemacht hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38 vom 18. September 2020

Kunst und Ideologie
Undank ist der Welt Lohn
Zürich hadert mit der weltberühmten Kunstsammlung Bührle – weil der Stifter während des Zweiten Weltkriegs Rüstungsgeschäfte mit dem Deutschen Reich gemacht hat
Ingo von Münch

Eine leicht süffisante Frage zum Leben in der Schweiz lautet: „Es ist schön, in der Schweiz geboren zu werden, es ist schön, in der Schweiz zu sterben – nur was macht man dazwischen?“ Emil Georg Bührle wusste die Antwort, was man „dazwischen“ macht: Er war zwar nicht in der Schweiz geboren, sondern 1890 in Pforzheim, aber 1924 in die Schweiz übergesiedelt, wo er im Auftrag seines damaligen Arbeitgebers, der „Magdeburger Werkzeugmaschinenfabrik“, die krisengeschüttelte „Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon“ zunächst als Mehrheitsaktionär, später als alleiniger Inhaber sanierte. Als der 1937 dort eingebürgerte Bührle im Jahre 1956 in der Schweiz an Herzversagen verstarb, hinterließ er ein florierendes weltbekanntes Unternehmen. Der Sohn eines Beamten hatte es, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) kritisch resümiert, zu „zweifelhafter Berühmtheit gebracht, als Großindustrieller, als ,Kanonenkönig‘, als Kunstsammler, als reichster Mann des Landes“.

Vorwürfe und Verdienste

Der Reichtum des „Kanonenkönigs“ basierte vor allem auf Waffengeschäften, die Bührle im Zweiten Weltkrieg insbesondere mit dem Deutschen Reich betrieb. Deutschland war zwar nicht der einzige Geschäftspartner von „Bührle Oerlikon“, aber doch – was die Waffenlieferungen betrifft – der quantitativ bedeutendste, wobei die Qualität der gelieferten Waffen, insbesondere der Flakgeschütze, als Schweizer Präzisionsarbeit besonders geschätzt wurde. Immerhin erfolgten die Waffenlieferungen mit Wissen und Wollen der für die Genehmigung zuständigen Schweizer Behörden. Die Erklärung für dieses Verhalten war auch die Bedrohung durch eine denkbare Aggression vonseiten Hitlers. 

Überzeugend argumentiert der Historiker Thomas Maissen in seinem Werk „Geschichte der Schweiz“ (Baden 2010): „Die Strategie der Schweiz in ihrer umzingelten, ungemütlichen Lage ging insgesamt dahin, auch im Interesse der eigenen Industrie Deutschland die wirtschaftlichen Wünsche zu erfüllen, um eine Gleichschaltung oder  Eroberung zu verhindern … Das nicht nur moralische, sondern auch politische Problem bestand darin, dass die Schweiz mithalf, diejenigen Soldaten zu bekämpfen, die ihr Leben opferten, um auch sie vom nazistischen Alpdruck zu befreien. Nur notdürftig übertüncht wurde das im Witz, man arbeite an sechs Tagen in der Woche für die Deutschen und bete am siebten Tag für die Alliierten.“

Unabhängig von der Frage, ob Gewinne aus Rüstungsgeschäften riechen oder nicht (im alten Rom sagte man bekanntlich zu Einkünften aus der Besteuerung von Kloaken „non olet“, „es riecht nicht“), so bleibt als Faktum, dass Bührles Vermögen in den Kriegsjahren auf rund 170 Millionen Schweizer Franken wuchs. Was macht ein Multimillionär mit seinem Vermögen? Bührle liebte Kunst: Er kaufte Kunstwerke vom Feinsten; seine private Sammlung enthielt schließlich rund 600 Werke von Rang, unter anderem Werke von Cézanne, Degas, Manet, Monet, Renoir und van Gogh. Über die Bührle-Stiftung gelangten wertvolle Schätze aus Bührles Sammlung als unbefristete Dauerleihgabe an das Kunsthaus Zürich.

Die Aufarbeitung

Eine Dauerleihgabe ist ein Quasi-Geschenk. „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“, sagt der Volksmund. Anders entschieden Stadt und Kanton Zürich: Sie gaben eine Untersuchung zur Bührleschen Kunstsammlung in Auftrag mit dem Ziel, die Entstehung der Kunstsammlung zu dokumentieren und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. 

In Wahrheit geht es natürlich und letztlich um die Person des Emil Georg Bührle, konkret: um die Suche nach und Aufdeckung von Verfehlungen des Stifters. Als dunkle Flecken auf dessen Weste wurden bereits seine Mitgliedschaft in einem deutschen Freikorps, ein Leserbrief mit angeblich antisemitischem Inhalt an ein Schweizer Satiremagazin und der Verdacht einer Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen in einer deutschen Tochtergesellschaft von „Bührle Oerlikon“ entdeckt.

Normalerweise erfolgt ein solches Personensezieren in Form einer von einem dafür kompetenten Autor verfassten Biografie; das voluminöse Buch von Joachim C. Fest „Hitler. Eine Biographie“ mit seinen 1190 Seiten ist ein besonders bekanntes Beispiel. Seltener sind vermutlich Lebensbeschreibungen als Arbeiten von Doktoranden. Professionelle Historiker sind besonders gefragt, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte von Unternehmen geht, etwa um deren Verstrickungen in der NS-Zeit, aber auch – einem modischen Trend folgend – um die Geschichte von Ministerien. Vom Auftraggeber etablierte Kommissionen genießen wohl einen besonderen Weihegrad; ihre Untersuchungsergebnisse sind zwar keine offiziellen Verlautbarungen, aber irgendwie offiziös.

Handelt es sich um eine Auftragsarbeit, sind aus dem Auftragsverhältnis resultierende Differenzen nicht ausgeschlossen, so wenn Einschätzungen von Auftraggeber und -nehmer nicht deckungsgleich sind. Der Fall Bührle ist dafür ein ebenso aktuelles wie brisantes Beispiel. Worum geht es? „Das Bührle-Forschungsprojekt ist aus dem Ruder gelaufen. Zur Eröffnung des Kunsthaus-Erweiterungsbaus in Zürich soll die Geschichte des Waffenfabrikanten und Kunstsammlers Emil Georg Bührle aufgearbeitet werden. Doch das Vorhaben ist in die Kritik geraten. Nimmt nun gar die Wissenschaft Schaden?“ Unter dieser Überschrift ist in der „NZZ“ vom 27. August ein ausführlicher Bericht über „Vorkommnisse“ rund um jenes Forschungsprojekt zu lesen. Bei den „Vorkommnissen“ handelt es sich um den Vorwurf, es seien von der Stadt und der Bührle-Stiftung „verharmlosende“ Änderungsvorschläge eingebracht worden, die der Projektleiter übernommen habe. 

Ein aus dem Projekt vorzeitig ausgestiegener Historiker kritisiert: „Schlüsselbegriffe wie Zwangsarbeit, Antisemitismus oder Freikorps sind einfach dem Rotstift zum Opfer gefallen“; es sei klare Aufgabe der Projektleitung gewesen, „sich gegen Druckversuche der Auftraggeber zu verwahren“. Der renommierte Basler Professor für neuere Geschichte Georg Kreis kommentierte: „Es kann doch nicht sein, dass Befunde auf Geheiß der Auftraggeber weichgespült werden.“ Aktuelles (Zwischen-)Ergebnis der Kontroverse ist, dass die Uni Zürich die strittigen Passagen von zwei externen Gutachtern überprüfen lässt. Ein „NZZ“-Artikel vom 3. September wirbt er eher differenzierend um Verständnis, dies unter der Überschrift „Emil Bührle gehört zum Kunsthaus. Er baute Waffen und sammelte Kunst. Das ist vielleicht schwierig auszuhalten. Aber längst bekannt und aufgearbeitet.“ 

Die Kontroverse hat über ihre konkrete Bedeutung auch eine grundsätzliche, nämlich für die Frage von Abhängigkeit und Unabhängigkeit in der Auftragsforschung. Hilfreich mag der Vergleich mit der Praxis bei der Erstellung juristischer Gutachten sein. Klar ist, dass der Satz „Wer zahlt, bestimmt die Musik“ hier nicht uneingeschränkt gilt. Andererseits liegt schon in der Auswahl des Gutachters oft eine gewisse Erwartungshaltung des Auftraggebers. Der Gutachter ist aber kein assistierender Advokat, sondern ein Ratgeber. Eine nicht unübliche Praxis, welche die unter Umständen einander widerstreitenden Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer berücksichtigt, ist eine Vereinbarung, der zufolge der Gutachter ergebnisoffen urteilen darf, der Auftraggeber sich aber die Veröffentlichung des Gutachtens vorbehalten kann.

Wenn hier im Zusammenhang mit dem Bührle-Forschungsprojekt die Praxis juristischer Gutachten erwähnt wird, so sollten jedoch die unterschiedlichen Rollen des Juristen und des Historikers bewusst bleiben. In dem von Norbert Frei, Dirk van Laak und Michael Stolleis herausgegebenen Sammelband „Geschichte vor Gericht. Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit“ (München 2000) finden sich zahlreiche Beispiele für Trennung, aber auch für Zusammenwirken beider Disziplinen. Georg Kreis hat die Frage „Historiker als Richter?“ als „eine alte Frage im neueren Kontext der Abklärungen zum Zweiten Weltkrieg“ überzeugend verneinend beantwortet. Aus meiner Sicht sind die drei entscheidenden Unterschiede zwischen der Tätigkeit des Historikers und der des Juristen, dass es in der Geschichtswissenschaft naturgemäß kein Rückwirkungsverbot gibt, keine Unschuldsvermutung und wiederum naturgemäß keine Verjährung. Auch wenn Historiker nicht ganz selten zur Wahrheitsfindung in Gerichtsverfahren beitragen, beispielsweise im Fall von Kriegsverbrechen, so ist das Essenziale der Geschichtswissenschaft doch ein anderes als das der Jurisprudenz.

Schlussfolgerungen

Solange die endgültige Fassung des Berichts nicht vorliegt, kann über den Inhalt nur spekuliert werden. Klarheit dürfte insoweit bestehen, als die Kunstwerke der Sammlung als solche nicht als Raubgut kontaminiert sind. Eine frühere Provenienzforschung, mehrere Rückgaben und einige Wiederankäufe haben das Problem der Raubkunst offenbar obsolet gemacht (nebenbei bemerkt: Man wünschte sich, dass das Problem der sogenannten Beutekunst, also das von sowjetischen Truppen unter Verletzung der Haager Landkriegsordnung völkerrechtswidrige Requirieren deutscher Kunstwerke, nur einen Bruchteil der öffentlichen Aufmerksamkeit erfahren würde wie das der sogenannten Raubkunst).

Es bedarf keiner prophetischen Gabe um vorherzusagen, dass der Bericht zum Ergebnis kommen wird, dass Bührle zwar kein Nazi gewesen sei, aber eben durch seine Zusammenarbeit mit den Nazis reich geworden sei, was ihm erst den Erwerb der Kunstwerke ermöglicht habe. Die öffentliche Präsentation der Sammlung stellt deshalb die Frage, ob man das Urteil über Kunstwerke vom Urteil über deren Sammler trennen kann und soll – eine Frage, die an die weitergehende Frage erinnert, ob Kunstwerke von der Biografie des Künstlers zu trennen sind. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung ließ bekanntlich die Kanzlerin im Kanzleramt ein Gemälde von Emil Nolde wegen dessen Sympathien für den Nationalsozialismus abhängen, während Altbundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Geleitwort zu einem Ausstellungskatalog noch geschrieben hatte: „Und die NS-Begeisterung Emil Noldes bleibt gegenüber seiner Kunst ganz unbeachtlich.“

Nun leben wir im Hochsommer der Empörten und der Ankläger. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Tod von Bührle wird sein Leben von Nachgeborenen überprüft. Das voraussichtlich kritische Ergebnis könnte zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Die härteste Reaktion wäre eine Rückgabe der Leihgaben an die Bührle-Stiftung. Diesen eigentlich konsequenten Weg wird das Kunsthaus nicht gehen, weil der Verlust für das Museum schlicht unersetzlich wäre. Eine mildere Entscheidung, wenn auch gewiss nicht im Sinne des Stifters, wäre es, den Namen Bührle im Kunsthaus Zürich zu tilgen. Der Nutzen einer solchen „Reinigung“ wäre allerdings zweifelhaft. Sollte eine umfassende Information über Bührle gewünscht sein, so müsste der Forschungsbericht an alle Besucher des Kunsthauses ausgehändigt werden, was aber vermutlich schon aus Kostengründen ausscheidet. 

Als wahrscheinlichste Schlussfolgerung bietet sich demnach eine Informationstafel an, wie sie heute schon in vielen Museen üblich ist. Eine aufgedrängte politische Belehrung hat allerdings auch ihre Schattenseiten: Die Belehrung zielt auf einen unmündigen Betrachter, vielleicht auch auf einen insoweit unwilligen Besucher, der sich auf die Betrachtung der Kunstwerke konzentrieren will, ohne sich einem Seminarunterricht unterwerfen zu müssen. Man darf gespannt sein, welche Schlüsse aus dem Bührle-Bericht gezogen werden wird. Das komplizierte Verhältnis der Kunstsammlung des Emil Georg Bührle zur Stadt Zürich lässt sich vielleicht mit einer einfachen Erfahrung beschreiben, nämlich: Undank ist der Welt Lohn.