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18.09.20 / Bei den Pomeranos in Brasilien / Brasiliens pommerschster Bundesstaat / Gemeinden mit Pommerisch als zweiter Amtssprache in Espírito Santo in Brasilien beginnen mit der Inventarisierung des Sprachgutes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38 vom 18. September 2020

Bei den Pomeranos in Brasilien
Brasiliens pommerschster Bundesstaat
Gemeinden mit Pommerisch als zweiter Amtssprache in Espírito Santo in Brasilien beginnen mit der Inventarisierung des Sprachgutes
Bodo Bost

Der brasilianische Bundesstaat  Espírito Santo („Heiliger Geist“) im Zentrum des Landes gehört zu den kleinsten brasilianischen Bundesstaaten. Sein Gebiet umfasst etwa 400 km Küste und einen Streifen von etwa 100 km Landesinneres. Es liegt zwischen den großen Teilstaaten Rio de Janeiro, Minas Gerais und Bahia. Seinen Namen verdankt der Staat dem ersten Lehnsherrn Vasco Fernandez Coutinho, der das Gebiet zu Pfingsten des Jahres 1535 von der portugiesischen Kolonialmacht als Kapitanie erhielt. Espírito Santo ist nicht nur einer der kleinsten brasilianischen Bundesstaaten, sondern auch einer der bergigsten. Mit Bergen, die bis zu 2.000 m hoch sind, ist Espírito Santo das Alpenland Brasiliens. Hier ist die einzige Stelle an der langen brasilianischen Atlantikküste, wo die Berge bis fast ans Meer reichen, deshalb wirkt dieser Landstrich, der Brasilien in zwei Teile teilt, wie eine natürliche Grenze, die bis ins 19. Jahrhundert auch kaum überwunden werden konnte. Länger als in allen anderen küstennahen Regionen Brasiliens haben sich hier brasilianische Ureinwohner vom Volk der Aimorés/Botokuden gehalten. Als die Jesuiten, die großen Beschützer der Ureinwohner im Jahre 1760 aus Brasilien ausgewiesen wurden, lebten in Espírito Santo noch 40.000 christliche Indianer, im Jahre 1850 waren es nur noch 6.000. 

Nach der Unabhängigkeit Brasiliens im Jahre 1822 wurde Espírito Santo neben dem Süden des Landes, der wegen den vielen Kriegen mit den Nachbarländern siedlungsleer war, zu einem bevorzugten Einwanderungsgebiet für Europäer. In Espírito Santo lebten damals nur etwa 50.000 Menschen, nur 15.000 davon waren Weiße. Seit dem Jahre 1850 war in Brasilien die Einfuhr schwarzer Sklaven verboten, die Sklaverei wurde allerdings erst 1888 abgeschafft. Dennoch kam es bereits seit 1850 zu einem Arbeitskräftemangel auf den boomenden Kaffeeplantagen.  Auch aus diesem Grunde wurde nach 1850 in Brasilien die bäuerliche Einwanderung staatlich gefördert. Espírito Santo war das nördlichste Einwanderungsgebiet der Europäer in Brasilien. Im Norden Brasiliens, wo Viehzucht und Monokulturen vorherrschten, konnte sich eine europäische bäuerliche Einwanderung, die auf Vielwirtschaft und Verschiedenartigkeit der Produktion setzte, nie durchsetzen. Politisch hatte die Besiedlung Espírito Santos mit Europäern den Zweck, eine innerbrasilianische Landverbindung zwischen Nord- und Zentralbrasilien zu schaffen. Bis dahin lief der Verkehr zwischen den beiden brasilianischen Landesteilen, die noch bis 1777 zwei getrennte portugiesische Kolonien gebildet hatten, ausschließlich über die gefährliche und mühsame Seeschifffahrt. 

Santa Maria de Jetibá ist die pommerschste Gemeinde Brasiliens

Im Bundesstaat Espírito Santo, der 4 Mio. Einwohner hat, leben in einem weitgehend abgeschlossenen bergigen Siedlungsgebiet heute 120.000 Nachkommen ostpommerscher Einwanderer aus den Städten Belgard, Greifenberg, Kolberg, Labes, Regenwalde und Umgebung, die die Sprache ihrer Heimat sehr kompakt erhalten haben. Die Pommern bilden also 3 Prozent der Bevölkerung dieses Bundeslandes. Sie sind Nachkommen von 2.400 Einwanderern, die zwischen 1859 und 1874 nach Espírito Santo kamen. Damit wurde Espírito Santo der brasilianische Bundesstaat mit der höchsten Konzentration pommerscher Einwanderer. 

Ein brasilianischer Linguist und evangelischer Pastor pommerscher Abstammung, Ismael Tressmann, der zunächst unter Indianern in Rondonia Erfahrungen im Kampf um den Spracherhalt gemacht hatte, hat sich um den Erhalt der pommerschen Sprache besonders hervorgetan. Auf Initiative von Prof. Tressmann hat im Jahre 2007 in drei Pommern-Gemeinden in Espírito Santo der Prozess der offizillen Anerkennung des Pommerschen als zweiter Amtssprache in ihren Gemeinden begonnen. Es waren dies die Gemeinden Pancas, Santa Maria de Jetibá und Vila Pavão. Santa Maria de Jetibá hat den Titel pommerschste Gemeinde von Espírito Santo zu sein. Hier werden pommersche Traditionen und Feste und auch die Sprache am besten gepflegt. 

Die Gemeinden, die sich zu diesem Schritt entschließen, müssen sich bereit erklären auf Gemeindeebene eine Kommission für Sprachenpolitik zu schaffen, die alle diesbezüglichen Aktivitäten koordiniert. In einem zweiten Schritt muss diese Kommission konkrete Projekte zur Sprachenpolitik einreichen und diese mit den entsprechenden Stellen auf Bundeslandebene absprechen. 

Mittlerweile haben sich weitere zwei Pommerngemeinden in Südbrasilien, Pomerode in Santa Catarina und Canguçu in Rio Grande do  Sul, wo weitere 180.000 Pommerschsprechende leben sollen, der Initiative zur offiziellen Anerkennung des Pommerschen angeschlossen. Auch in Amazonien hat sich mit der Gemeinde Espigão de Oueste ganz im Westen Brasiliens seit den 1970er Jahren ein neues brasilianisches Pommernzentrum mit 33.000 Einwohnern, mehr als die Hälfte davon Pomeranos, mit einem überaus starken Wachstum gebildet, das auf ganz Amazonien ausstrahlt.

In Santa Leopoldina, dem Nachbarort von Santa Maria de Jetibá, ist Pommerisch noch keine zweite Amtssprache, hier ist Adolfo Schram im Ortsteil Luxemburgo der Vertreter der pommerschen Bevölkerung in der Region, er betreibt hier die offizielle Anerkennung, die allerdings durch die Corona-Pandemie unterbrochen wurde. Espírito Santo mit seinem subtropischen Klima ist einer der Krisenherde der Pandemie in Brasilien, was selbst schon an zweiter Stelle bei der Coronaverbreitung weltweit steht. Neben Luxemburgo, einem  Ort der 1857 von Luxemburger Einwanderern gegründet wurde, aber heute eine pommersche Mehrheit hat, haben die Ortsteile Melgaço und Rio Posmoser einen sehr hohen Prozentsatz pommerscher Muttersprachler. Sogar die Nachkommen der Luxemburger, Schweizer und Tiroler Einwanderer sprechen in dieser Region heute in erster Linie Pommerisch. 

Identität der pommerschen Muttersprachler stärken

Zum Status als offiziell anerkannte  Sprache gehört auch eine im Rhythmus von einigen Jahren stattfindende Kontrolle des Sprachinventars. Dabei werden Daten über die Sprache erfasst, das Vorhandensein und der Zustand der Sprachpraxis in den verschiedenen in die Forschung einbezogenen Gemeinden dokumentiert, und die Erhaltung gefördert und die Sprecher auf die Bedeutung ihrer Sprache aufmerksam gemacht, damit sie ihre Identität schätzen und ihre sprachlichen Rechte kennen. Darüber hinaus fördert die Initiative die Stärkung der pommerschen Kultur. Das Inventar wird die Anerkennung der pommerschen Sprache als brasilianische Einwanderungssprache und folglich als immaterielles Kulturerbe Brasiliens ermöglichen.

Es wird jetzt darum gehen, dass noch mehr Pommerngemeinden in Espírito Santo den Prozess der offiziellen Anerkennung des Pommerischen beginnen. Da der Prozess der Revitalisierung der Einwanderersprachen Brasiliens an den Prozess der indigenen Bevölkerung zur Wiederaneignung ihres vor dem Aussterben stehenden Kulturgutes gekoppelt ist, befürchten viele Analysten unter der Präsidentschaft des derzeitigen brasilianischen Staatschefs Bolsonaro wieder einen Rückschritt weil dieser die Rechte der Indigenen einschränken möchte.