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25.09.20 / Strandkunst / Vergängliche Mythen aus Sand / Künstler haben am Strand von Ahlbeck auf Usedom ganze Sagenwelten errichtet. Ihr einziges Arbeitsmaterial: Sand und Wasser

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39 vom 25. September 2020

Strandkunst
Vergängliche Mythen aus Sand
Künstler haben am Strand von Ahlbeck auf Usedom ganze Sagenwelten errichtet. Ihr einziges Arbeitsmaterial: Sand und Wasser
Silvia Friedrich

Fast jeder hat sich im Strandurlaub schon einmal an einer Sandburg versucht und dabei die Tücken des körnigen Materials kennengelernt. Bei Regen war die Mühe ohnehin umsonst, da alles sogleich wieder zu Matsch wurde.

Am Ostseestrand auf der Insel Usedom kann man aktuell bis zum 28. Februar 2021 eine Ausstellung der besonderen Art anschauen. Im Seebad Ahlbeck, gleich an der Grenze zur Republik Polen, steht ein großes Zelt, in dem sich eindrucksvolle überlebensgroße Figuren befinden. 

25 internationale Künstler aus 13 Ländern haben hier 40 Bildszenen mit über 

100 Skulpturen zum Thema „Mythen und Sagen“ geschaffen, die aus Sand und Wasser bestehen. 

Zu bewundern sind Figuren der Götter-, Tier-, Helden-, oder Weltentstehungssagen der ganzen Welt, auch eher unbekannte, wie der afrikanischen Kosmogonie oder der Maori-Mythologie Neuseelands. Auch Fabelwesen wie Elfen und Zwerge werden berücksichtigt und natürlich den Mythen der Moderne, wie Loch Ness und weiteren, ein Platz unterm Zeltdach eingeräumt.

Am Anfang treffen die Besucher auf die Ur-Göttin der griechischen Mythologie, Erd-Göttin Gaia, mitten in einem Bildnis zum allein existierenden Chaos am Anfang der Zeitgeschichte. Athene, Zeus, Pygmalion, Prometheus, Perseus, Medusa und viele weitere Gestalten der griechischen Legende, stehen Spalier für die hereinströmenden Gäste. 

Den Römern wird mit Roms Stadtgründern Romulus und Remus, einer liegenden Venus, Jupiter und einigen weiteren Helden Rechnung getragen. Sie alle aufzuzählen, sprengt den Rahmen, jedoch wähnt man sich immer erneut in einer völlig anderen Welt. Ein riesiger Buddha thront in der Mitte eines Platzes und lockt die Zuschauer, während der große Geist Manitou der nordamerikanischen Indianer an der nächsten Ecke eindrucksvoll darauf hinweist, dass alles, Menschheit und Kosmos, in irgendeiner Form zusammenhängt. 

Strandsand ist völlig ungeeignet

Bekanntere Sagengestalten vermitteln heimatliche Gefühle, wie der bekannteste Narr der Welt, Till Eulenspiegel, oder Baron von Münchhausen, der in der Erzählung von Gottfried August Bürger sogar auf einer Kanonenkugel ritt. Aber auch König Artus hockt dort an einem Tisch aus Sand mit acht Schwertern darauf und wartet auf die Ritter der Tafelrunde. 

Die Figurenbilder bestehen zwar nur aus Sand, jedoch ganz so einfach wie am Strand eine Sandburg zu bauen, ist es nicht. Um solche Werke erstellen zu können, benötigt man besonderen Sand. Denn es gibt ganz verschiedene Arten von Sand. Sogenannter „organischer Sand“ besteht aus winzigen Korallen-, Muschel- und Fossilienteilchen aus dem Salzwasser. Mineralischer Sand stammt aus bergigen Gebieten. Die Unterschiede erkennt man aber nur unter dem Mikroskop.

Sandkörnchen, die man am Strand findet, sind durch die Wellenbewegung des Meeres schon vollständig rund gewaschen. Solche Körner lassen sich nicht gut stapeln. Die Ausstellungsmacher erklären es so: Wer schon einmal versucht hat, Murmeln zu stapeln, wird schnell merken, dass das unmöglich ist.

Um überdimensionale und zum Teil bis zu sieben Meter hohe Figurenbilder zu erschaffen, benötigt man also einen besonderen Sand. Dieser kommt auf Usedom aus einer Kiesgrube der Gemeinde Pudagla. Der Sand aus der Grube kam nicht mit Seewasser in Berührung, ist also noch eckig und scharfkantig. 9500 Kubikmeter Sand wurden nach Ahlbeck transportiert, um dort verarbeitet zu werden. 

Schon im Altertum bei den alten Ägyptern war die Technik zum Sandfigurenbau nicht nur bekannt, sondern sogar die gleiche. Auch damals wurde Sand in eine Form aus Holz gefüllt und durch Anfeuchten und Feststampfen, heute mittels Rüttler, die auch vom Straßenbau her bekannt sind, verdichtet und gepresst. 

Bis zu zwei Tonnen Sand pro Figur

Die Holzverschalungen, Holzkisten ohne Boden und Deckel nennt man heute „Malle“, und sie können ganz unterschiedlich groß sein. Die Künstler klettern auf die Kästen, nehmen die oberste Verschalung ab und schnitzen von oben nach unten. Auch in dieser uralten Technik hat das Englische Einfluss genommen. So werden die „Tools“, also die Werkzeuge, durchgehend mit englischen Ausdrücken betitelt, wie: „Marshall-tool“, eine Art Spachtel, „Casting tube“, ein Plastikrohr zur Befestigung kleinerer Teile, „Compacten“, was Verdichten des Sandes bedeutet, oder „Carver“, Schnitzer, wie der Künstler selbst genannt wird.

Obwohl man es beim Betrachten dieser Monumentalwerke annehmen könnte, muss man nicht Kunst studiert haben, um diese bauen zu können. Jeder könne die Basistechniken erlernen, so heißt es in der Schrift zur Schau, man müsse nur Geduld haben, viel üben und Talent für plastisches Denken mitbringen, außerdem den Willen, hart zu arbeiten, denn ein Künstler müsse rund zwei Tonnen Sand eigenhändig bewegen, um eine Skulptur aus einem sechs bis sieben Tonnen schweren, verdichteten Sandblock zu schnitzen.

Sandskulpturen „überleben“ sogar im Freien monatelang, da ihnen im Zelt Wind und Regen wenig anhaben können. Irgendwann nagt jedoch der Zahn der Zeit daran, sodass auch sie irgendwann zusammenbröckeln. Doch die Künstler arbeiten dann bereits wieder an neuen Figuren und Sandburgen.

b Sandskulpturen Ausstellung Usedom Swinemünder Chaussee 11, Seebad Ahlbeck, Eintritt: 9,50. Internet: www.usedom.de/sandskulpturen-ausstellung