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02.10.20 / Deutschland / Die Herrschaft des Souveräns ist in Gefahr / 1989/90 errang das deutsche Volk Demokratie und Nationalstaat zurück. Heute steht beides zugleich wieder auf dem Spiel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Deutschland
Die Herrschaft des Souveräns ist in Gefahr
1989/90 errang das deutsche Volk Demokratie und Nationalstaat zurück. Heute steht beides zugleich wieder auf dem Spiel
Hans Heckel

Das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Nationalfeiertag bleibt bis heute, dem 30. Jubiläum, eher fade. Die Gründe dafür sind vielschichtig und wurzeln bereits in der Vorgeschichte des 3. Oktober 1990. Die politisch-mediale Funktionselite der alten Bundesrepublik hatte die deutsche Einheit lange zuvor mehrheitlich abgeschrieben, ja, sie suchte längst immer neue Begründungen für die vermeintlichen Vorzüge der Zweistaatlichkeit. Die eigene Nation war verdächtig, ja manchen sogar verächtlich.

Dies zeigte sich schon im Frühsommer 1990, als Bundestag und Volkskammer mit großer Mehrheit einem Vertrag zustimmten, der die Oder-Neiße-Grenze ohne jede Bedingung, etwa was die Rechte der deutschen Volksgruppe im Osten oder eine wenigstens symbolische Entschädigung der Vertriebenen und Flüchtlinge betraf, anerkannte. Nicht nur das: Statt des Verlustes der Ostgebiete wenigstens mit einer Schweigeminute zu gedenken, brach in den Parlamenten Jubel aus nach der Abstimmung. Ein Stich ins Herz der entrechteten Ostdeutschen.

Im Jahr darauf zeigte das zähe Ringen um die Hauptstadtfrage, wie wenig die in Westdeutschland dominierenden Kreise bereit waren, sich auf einen deutschen Neuanfang in der Tradition unserer eigenen Geschichte einzulassen. Nachdem Berlin jahrzehntelang im stillen Einvernehmen als Hauptstadt eines neu vereinten Deutschland festzustehen schien, wäre die Abstimmung über den Regierungssitz beinahe zugunsten Bonns ausgegangen. 

Hernach gingen dieselben Funktionseliten umgehend daran, den wiedererlangten Status eines deutschen Nationalstaats so schnell und gründlich wie möglich zu untergraben. Mit dem Maastrichter Vertrag sollte das Aufgehen Deutschlands in einem europäischen Bundesstaat endgültig („irreversibel“, wie Kanzler Kohl es nannte) festgezurrt werden. Erst das Bundesverfassungsgericht stoppte diesen Prozess 1993 („Maastricht-Urteil“) zumindest formal, indem es den Ewigkeitscharakter Deutschlands als Staat herausstrich.

Doch was formal gescheitert war, sollte nun faktisch dennoch erreicht werden. Die europäische Einheitswährung soll den Bundesstaat auf einem Schleichweg gleichsam erzwingen. Wolfgang Schäuble, der den Einigungsvertrag 1990 für die Bundesrepublik unterschrieb, ist der einzig übrig gebliebene Spitzenpolitiker unserer Tage, der den gesamten Prozess von Anfang an in vorderster Position mitbestimmt hat. Er ließ erst kürzlich verlauten, dass die Corona-Krise eine ideale Gelegenheit biete, EU-Gemeinschaftsschulden durchzusetzen, was sonst kaum zu vermitteln gewesen sei. 

Das ist ein weiterer Schritt zum EU-Bundesstaat. Was aber ist so schlimm daran? Das Wesen der EU selbst gibt paradoxerweise den Kritikern Recht in deren Überzeugung, dass Demokratie letztlich nur im Nationalstaat gedeihen kann, denn die EU ist und bleibt kaum demokratisch. Statt dass vom Volk gewählte Parlamente den Kurs bestimmen, geht die Macht in immer größerem Maße an die EU-Kommission und die sie umgebenden Lobbyisten über, die kein Volk je gewählt hat. Dieses Gremium ist nur mäßig einem EU-Parlament verpflichtet, dessen Zusammensetzung ebenfalls kaum als demokratisch zu bezeichnen ist (die Stimme eines Luxemburgers wiegt rund zwölf Mal so viel wie die eines Deutschen), und dessen Rechte arg begrenzt sind.

Die Bundesregierung spielt ein perfides Spiel: Sie verweist Entscheidungen nach Brüssel an die von den EU-Regierungen zusammengekungelte Kommission, von wo sie dann zurück an die nationalen Parlamente gesandt werden, welche die Vorgaben der EU nur noch abnicken. Damit ist das demokratische Prozedere praktisch ausgehebelt, Wahlen werden zunehmend bedeutungslos. So erscheint der Erfolg, welchen die Deutschen als Volk 1989/90 erlangen konnten, wie eine historische Chance, die ihre politische Klasse nicht schnell genug und mit voller Absicht wieder verspielen will – und verspielen wird, wenn das Volk es zulässt.