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02.10.20 / Stuttgarter Schuldbekenntnis / Ein fragwürdiges Bekenntnis mit Berechnung / Unter ausländischem Druck bekannten sich einige Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vor 75 Jahren zur kollektiven Schuld der Deutschen im Zweiten Weltkrieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Stuttgarter Schuldbekenntnis
Ein fragwürdiges Bekenntnis mit Berechnung
Unter ausländischem Druck bekannten sich einige Mitglieder des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland vor 75 Jahren zur kollektiven Schuld der Deutschen im Zweiten Weltkrieg
Wolfgang Kaufmann

In den letzten 20 Jahren verlor die Evangelische Kirche in Deutschland rund sechs Millionen Mitglieder. Häufig resultierten die Austritte aus Unzufriedenheit mit der Institution Kirche im Allgemeinen und der evangelischen Kirche im Besonderen. Für diese gibt es viele Gründe. 

Ganz vorn rangiert dabei das politische Engagement von Vertretern der Amtskirche, das oftmals mit blankem Opportunismus und peinlicher Anbiederung gegenüber dem Zeitgeist einhergeht. Dadurch kommt es zur zunehmenden Entfremdung zwischen den einfachen Gläubigen und ihren Kirchenoberen, die sich inzwischen teilweise eher der Agenda von dubiosen, im Ausland verwurzelten Nichtregierungsorganisationen verpflichtet zu fühlen scheinen als den Interessen und religiösen Bedürfnissen der vielen einheimischen Landsleute, welche die Kirche mit ihren Steuergeldern alimentieren. 

Dieser Trend ist jedoch kein Ergebnis der letzten Jahre, sondern er setzte de facto bereits im Jahre 1945 ein. Damals handelte die Führung der Evangelischen Kirche in Deutschland das erste Mal auf eine Weise, die bei der Mehrheit ihrer Mitglieder auf Unverständnis stieß oder sogar wütende Proteste auslöste. Dabei besteht der Unterschied zur Gegenwart allerdings darin, dass es seinerzeit massiven Druck von Seiten des Auslands gab, sodass die evangelischen Amtsträger unter erheblichem Zugzwang standen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges herrschten in Deutschland Not und Elend, infolge des Luftkriegs sowie der Vertreibungen aus den Ostgebieten war insbesondere der Wohnraum knapp. Naheliegenderweise versuchte die evangelische Kirche, hier zu helfen. Allerdings waren ihre Ressourcen mehr als begrenzt, sodass sie auf die Unterstützung durch ebenso barmherzige wie wohlhabende Glaubensbrüder jenseits der deutschen Grenzen beziehungsweise außerhalb der vom Krieg betroffenen Regionen hoffen musste. 

Doch genau die gab es bei aller demonstrativ beschworenen christlichen Nächstenliebe nicht umsonst. Das machten ausländische Kirchenvertreter wie der spätere Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen mit Sitz in Genf, der Niederländer Willem Adolf Visser ’t Hooft, immer wieder deutlich. Die Hilfsbereitschaft der Ökumene sei an ein unmissverständliches vorheriges Schuldbekenntnis der Deutschen gebunden. Erst nach dessen Abgabe könne man über Hilfsprogramme und ähnliches reden.

Druck aus dem Ausland

Infolgedessen kam es am Morgen des 19. Oktober 1945 während einer gemeinsamen Tagung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit Vertretern der Ökumene in Stuttgart zur Verlesung des „Stuttgarter Schuldbekenntnisses“, auch „Schulderklärung der evangelischen Christenheit Deutschlands“ genannt. Dessen Verfasser waren der lutherische Theologe Hans Asmussen, der Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg Otto Dibelius und der frühere Widerstandskämpfer Martin Niemöller. Darüber hinaus hatten acht weitere EKD-Ratsmitglieder das Dokument unterzeichnet, darunter auch der spätere Bundespräsident und SPD-Politiker Gustav Heinemann. 

Die Schlüsselsätze der Erklärung an die Adresse von Visser ’t Hooft und dessen Entourage lauteten: „Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus.“ 

Die erste spontane Reaktion des Ökumene-Vertreters Pierre Maury von der Reformierten Kirche Frankreichs bestand in folgenden Worten: „Wir wollen es annehmen ohne pharisäischen Stolz, sondern auch vor Gott. Jetzt ist es uns leichter zu ertragen, dass das Gift des Hitlerismus die ganze Welt überflutet hat. Wir waren erstaunt, dass man in Deutschland nach der Besetzung sogleich Gerechtigkeit erwartete. Es gibt kein christliches Volk.“

Mit seinem in Eigenregie verfassten Schuldbekenntnis hatte sich der Rat der EKD die Kollektivschuldthese zu eigen gemacht. Entsprechend negativ fiel das Echo im Lande und unter den dortigen Christen aus. Nachdem die Erklärung am 27. Oktober 1945 im „Kieler Kurier“, einer Zeitung der britischen Militärregierung, und dann vier Tage später in der „Hamburger Neuen Presse“ unter der Schlagzeile „Schuld für endlose Leiden. Evangelische Kirche bekennt Deutschlands Kriegsschuld“ veröffentlicht worden war, erhob sich ein Sturm der Entrüstung. So machte der schleswig-holsteinische Präses Wilhelm Halfmann stellvertretend für viele andere Kritiker geltend: „Die polnischen Greuel, die Frauenschändungen, die Vernichtung der mittel- und osteuropäischen Kulturlandschaft mit ihrem Reichtum an Lebensmitteln, die Vertreibung der Millionen – kurz der beispiellose Volksmord, der jetzt vor sich geht – ist der keine Schuld? Solange darüber verlegen geschwiegen wird, solange hat man drüben keine Vollmacht, von deutscher Schuld zu reden.“

Unverständnis im Inland

Letztlich schlossen sich nur vier der 28 evangelischen Landeskirchen – nämlich die von Baden, Hannover, Rheinland und Westfalen – dem angeblichen Schuldeingeständnis der gesamten evangelischen Christenheit Deutschlands an. Die Zurückhaltung der übrigen resultierte aus der Flut von Protestbriefen aus den Gemeinden. Darin hieß es unter anderem auch noch, die Schulderklärung werde den Siegermächten eine zusätzliche Handhabe für ihre Vergeltungsmaßnahmen geben. Des Weiteren bemängelten die Verfasser das fehlende Mandat der EKD-Ratsmitglieder, im Namen aller evangelischen Christen Deutschlands zu sprechen. Und manchmal war sogar von einer Fälschung seitens der Alliierten die Rede, weil die Gläubigen bezweifelten, dass ihre eigenen Kirchenführer derart vorgegangen seien.

Heute zielt die interne Kritik an dem Stuttgarter Schuldbekenntnis allerdings eher in eine ganz andere Richtung, was vom späterhin noch drastischer ausgefallenen Mentalitätswechsel innerhalb der evangelischen Kirche zeugt. Die Erklärung hätte deutlich selbstkritischer formuliert werden müssen, was die eigene Rolle im Nationalsozialismus betreffe.