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02.10.20 / Medienkritik / Das ach so liberale Juste Milieu duldet keine Abweichler / Schon gar keinen erfolgreichen wie Roland Tichy. Es bewahrheitet sich die alte Weisheit: „So manche moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Medienkritik
Das ach so liberale Juste Milieu duldet keine Abweichler
Schon gar keinen erfolgreichen wie Roland Tichy. Es bewahrheitet sich die alte Weisheit: „So manche moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen“
Josef Kraus

Roland Tichy (bald 65) war mal einer der Ihren, er gehörte zur Elite des Juste Milieu der deutschen Journalistik: als Chefredakteur von „Impulse“, „Euro“, „Telebörse“ und „Wirtschaftswoche“; zudem als Stellvertretender Chefredakteur von „Capital“, Berliner Büroleiter des „Handelsblatts“, Wirtschaftskolumnist bei „Bild am Sonntag“ und Berater bei der Reform des Rundfunks im „Beitrittsgebiet“. Dem TV-Publikum wurde er bekannt als wirtschaftsversierter Talkgast und als Teilnehmer an der RTL-Karriereshow „Big Boss“. Ehrenamtlich leitete der Volkswirt und konservative Wirtschaftsliberale ab 2014 die Ludwig-Erhard-Stiftung. 

Vor fünf Jahren besann sich Roland Tichy sehr intensiv seiner konservativ-liberalen Überzeugungen. Er wollte nicht mehr mitschwimmen im braven journalistischen, rot-grün-EU-euphorischen Mainstream und gründete 2015 das Online-Portal „Tichys Einblick“ („TE“), dann 2016 das gleichnamige Monatsmagazin. Beides war ein durchaus riskantes Unternehmen. Sein erzwungener Weggang von der „Wirtschaftswoche“ war übrigens für diese selbst ein Sturz ins Bodenlose.

„TE“ expandiert kontinuierlich. Millionenfach wird monatlich das Online-Portal aufgerufen, das Magazin hat eine Auflage von 70.000 und übertrifft damit so manches arrivierte Periodikum. Warum? Weil „TE“ politisch und publizistisch nicht rundgelutscht und stromlinienförmig daherkommt. Solche Erfolge wecken – trivialpsychologisch nachvollziehbar – Neidgefühle. 

Durchsichtige Kampagne

Aber es geht nicht allein um Neid. Nein, die Herde und ihre Schäfer samt deren Hirtenhunden mögen keine Abweichler. Diejenigen, die Tichy hinter sich und im wahrsten Sinn des Wortes auch politisch links liegen gelassen hat, versuchen nun, ihrem „Kollegen“ politisch am Zeug zu flicken. Er verstößt gegen den rot-grün-merkelianischen Korpsgeist. Das ist gut so, aber es passt vielen nicht – auch in CDU/CSU/FDP-Kreisen nicht. Solches Renegatentum wird üblicherweise durch Ignorieren bis zum Verschwinden des Abzustrafenden von der Bildfläche sanktioniert. Gelingt das Ignorieren nicht, dann setzen die Pawlowschen Assoziationsreflexe ein: „Rechtslastig“, „AfD-nah“ sei „TE“. Bezeichnenderweise kommen solche Etiketten und Klischees bevorzugt von Leuten, die noch keine einzige Zeile „TE“ gelesen haben und nachplappern, was andere „TE“-Nichtleser von sich gegeben haben. 

Apropos angebliche „AfD-Nähe“:  Es hat noch kein AfD-Funktionär bei „TE“ geschrieben, und „TE“ bekommt regelmäßig böse Leserbriefe, weil es zu AfD-distanziert sei. Jedenfalls wiederholt sich hier im Grundsatz eine Affären-Inszenierung, wie wir sie aus der Geschichte kennen: den Umgang totalitärer Systeme mit Ketzern, Renegaten, Rebellen, Apostaten, Häretikern, Verrätern, Abtrünnigen. „Auf den Scheiterhaufen mit ihm, ans Kreuz mit ihm!“ – hören wir zwar nicht wörtlich, aber doch zwischen den Zeilen heraus.

Es stimmt: Tichy ist nicht linientreu, er hat keinen „gefestigten Klassenstandpunkt“ (hier der Klasse der Haltungsjournalisten). Doch macht genau dies gottlob Pressefreiheit aus; auch in einem Lande, in dem formal keine Zensur von oben stattfindet, in dem es aber genug Selbstzensur und genügend Gruppendruck innerhalb der Klasse vieler Lohnschreiber gibt.

Ein gefundenes Fressen

Und nun schreit diese Klasse: „Endlich haben wir einen Aufhänger!“ Denn Tichy habe sich verbal-sexistisch danebenbenommen. Was aber sind die Fakten außerhalb der journalistisch und politisch so gern konstruierten „Fake-News“? Angeblich habe Tichy den „G-Punkt“ der Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli thematisiert. Nun, der „G-Punkt“ kommt im jüngsten „TE“-Heft vor. Verfasser ist nicht Tichy, sondern Stephan Paetow. Dieser besitzt eine flotte Feder, war schließlich zehn Jahre stellvertretender Chefredakteur von „Focus“. Heute betreibt er den Blog 

„spaet-nachrichten.de“ und schreibt in jedem „TE“-Magazin unter „Nicht zu fassen. Der etwas andere Monatsrückblick“ Satirisches. Darüber hinaus zerpflückt er regelmäßig die gängigen Talkshows.

Im „TE“-Magazin nun findet sich unter Paetows Namen folgender Text auf Seite 11 der aktuellen Nummer: „Sawsan Chebli will ihren Wirkungskreis in den kommenden Bundestag verlegen. Hierzu benötigt sie jedoch einen Wahlkreis. Deshalb tritt sie gegen  den Regierenden Bürgermeister Müller an, der sich ebenfalls vor der Bedeutungslosigkeit ins Bundesparlament flüchten will. Was spricht für Sawsan? Befreundete Journalistinnen haben bislang nur den G-Punkt als Pluspunkt feststellen können in der Spezialdemokratischen Partei der alten Männer.“

Gewiss: Dieser Satz ist völlig daneben. Man hätte wissen können, wie er von manch subaltern-mutig Übellaunigen instrumentalisiert wird. Dieser Satz hat auch nichts mit der Erhard-Stiftung zu tun, sondern nur einem „TE“-Chefredakteur Tichy, dem dieser Satz durch die Lappen gegangen ist. Welchem Chefredakteur sind solche Dinge nicht schon passiert!? Es stimmt übrigens auch nicht, dass Roland Tichy deswegen in der Erhard-Stiftung zurückgetreten sei. Nein, er tritt bei den Neuwahlen im Oktober nicht mehr an.

Unionsgrößen mit zweierlei Maß

Schier blutrünstig war jedoch die Reaktion der Leitmedien von „taz“ über „Deutschlandfunk“ bis „Süddeutsche“ – und die „Entrüstungen“ manch „Linker“, mancher FDPler (darunter Alexander Graf Lambsdorff, Neffe von Otto Graf Lambsdorff) sowie mehrerer Unions-Leute: namentlich Dorothee Bär (CSU), Friedrich Merz, Jens Spahn, Karsten Linnemann (jeweils CDU). Alle vier Letztgenannten lassen aus Protest gegen Tichy ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung ruhen. Bereits 2018 hatte Merz es übrigens abgelehnt, den Preis der Stiftung anzunehmen. Den hatten zuvor unter anderem FDP-Urgestein Otto Graf Lambsdorff und Ex-Kanzler Gerhard Schröder erhalten. Merz’ Begründung damals: Er wolle nicht mit Tichy zusammen auf einer Bühne stehen. 

Dass sich die gleichen vier CDU/CSU-Größen echauffiert hätten, als ihr Parteimann und Innenminister Horst Seehofer von „Komiker“ Böhmermann unlängst mit den Worten „Fick dich, Opa!“ angepöbelt wurde, ist nicht bekannt. Dies zum Vergleich und zur Klarstellung. Ansonsten fällt einem dazu nur noch der alte Wiener Grantler Helmut Qualtinger ein. Er sagte einmal: So manche moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

„TE“ jedenfalls wird diese Inszenierung überstehen. Mehr noch: „TE“ wird von noch mehr Bürgern dieses Landes gelesen werden, weil immer mehr es satthaben, zu einem Volk von Flüsterern degradiert zu werden.