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02.10.20 / Östlich von Oder und NeißE / Ein Cranach getarnt als Tischplatte / Auf verborgenen Wegen ist der Stolz der Schlesier, der Breslauer Kunstschatz „Madonna unter den Tannen“, heimgekehrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Östlich von Oder und NeißE
Ein Cranach getarnt als Tischplatte
Auf verborgenen Wegen ist der Stolz der Schlesier, der Breslauer Kunstschatz „Madonna unter den Tannen“, heimgekehrt
Chris W. Wagner

Im warmen Licht ausgeleuchtet strahlt die „Madonna unter den Tannen“ eine ganz besondere Aura aus. 1510 hatte sie Lucas Cranach der Ältere auf Bestellung des damaligen Domdekans, Joachim von Lindau, für den Breslauer Dom geschaffen. Das Nationalmuseum zu Breslau nutzte seine guten Verbindungen zum Breslauer Diözesanmuseum und lieh den Cranach aus. Es passte gut, denn das Diözesanmuseum wird gerade renoviert, und so packte Museumsleiter Piotr Oszczanowski die Gelegenheit beim Schopfe und stellte das Werk neben einer 1946 geschaffenen Kopie des Bildes aus.

400 Jahre lang war diese „Breslauer Madonna“ der Stolz der Schlesier. Sie zählte zu den wertvollsten Kunstwerken, die Schlesien besaß. 1943, als die Russen heranrückten, wurde das Werk aus dem Domschatz ins Kloster Heinrichau [Henryków] und später nach Glatz [Klodzko] gebracht. Von dort kehrte es 1945 nach Breslau zurück, allerdings ins Diözesanmuseum. Damals erhielt der Geistliche Siegfried Zimmer den Auftrag, das Bild, das auf der Reise leicht beschädigt worde war, zu restaurieren. Zusammen mit dem Vikar der St.-Bonifatius-Kirche, Georg Kupke, stellte Zimmer eine Kopie der Madonna her, die der polnischen Kirchenverwaltung als Original übergeben wurde. 1948 schaffte Zimmer den echten Cranach über die Grenze in die Bundesrepublik. 

„Er plante diese Zugfahrt sorgfältig, denn er war sich bewusst, dass es ihm nicht gelingen wird, das Werk unbemerkt über die Grenze zu führen. Doch er hatte eine Idee: Er wickelte das Cranach-Bild, das auf einer Holzplatte aufgetragen war, in ein Leinentuch und nutzte es als Tisch. Er breitete darauf eine Thermoskanne und seine Brote aus. Außerdem führte er einige Köderobjekte im Reisegepäck mit. Und wie er ahnte, wurde vieles, was Zimmer mitführte, konfisziert. Das Bild, das ihm als Tisch diente, blieb jedoch von den Grenzern unbemerkt“, so Madonnenexperte Krzysztof Nowakowski. 2012, als die Madonna nach Breslau zurückkehrte, haben sich Breslauer Kunststudenten mit dem Cranach-Bild auseinandergesetzt.

Ob Zimmer das Bild als deutsches Kulturerbe vor den nun in Breslau angesiedelten Polen retten wollte, darüber konnten die Studenten nur spekulieren. Der Student Michal Halusiak kann Zimmers Beweggründe nachvollziehen: „Mich wundert es nicht, dass Zimmer das Werk nach Deutschland schmuggelte. Schließlich gehörte es dem Kulturerbe seines Landes. Aus meiner Sicht hat er richtig gehandelt und man kann es ihm nicht verübeln. Es war höchste Priorität, dieses Kunstwerk, das sich 400 Jahre in Breslau befand, zu bewahren. In Polen gab es dafür keine Chance.“ Die sich im Diözesanmuseum befindende Cranach-Kopie kam 1961 in das damals noch Schlesische und heutige Nationalmuseum – zur Konservierung. Anhand von Vergleichen mit alten Fotografien konnte Daniela Stankiewicz die Fälschung entlarven. Die heute 90-Jährige ist stolz, dass durch ihre Entdeckung die Suche nach dem Original aufgenommen wurde.

Das Renaissancegemälde soll viele Jahre in der Wohnung von Zimmer gehangen haben, bis es ihm wohl entwendet wurde. Der Geistliche verstarb unter ungeklärten Umständen. Bereits in den 70er Jahren wurde das Bild auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten. Nach dem Tod eines Schweizer Sammlers 2012 ist die „Breslauer Madonna“ der Schweizer Kirche übergeben worden. 

Durch Raubmord im Handel?

Für Kunststudentin Natalia Brzostowska hat dies ein Geschmäckle: „Es bestätigt, dass dieses Werk nur durch einen Raub oder gar Raubmord in die Hände von Kunstsammlern gelangen konnte. Der Schweizer Sammler musste davon wohl gewusst haben. Vermutlich deshalb übergab er den Cranach der Schweizer Kirche und die schenkte es uns Breslauern zurück. Auf diese Weise wurde die Herkunft des Bildes nicht weiter untersucht“, sagt sie. Mit Hilfe der polnischen Botschaft in Bern kehrte der Cranach schließlich ins Breslauer Diözesanmuseum zurück.

Die „Madonna unter den Tannen” kann man bis zum 31. März 2021 im Nationalmuseum bewundern.