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02.10.20 / Älteste Linde Vorpommerns / Durch die Krone der Reinberger Linde rauscht der Atem der Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Älteste Linde Vorpommerns
Durch die Krone der Reinberger Linde rauscht der Atem der Geschichte
Karl-Heinz Engel

Wer im vorpommerschen Küstenland auf der Bundesstraße 105 zwischen Greifswald und Stralsund unterwegs ist, sollte in Reinberg eine Rast einlegen, um sich auf dem Kirchhofshügel umzuschauen. 

Die ältesten Teile der dortigen Backsteinkirche stammen nämlich aus jener Zeit, als Westfalen und Rheinländer das Wendenland besiedelten. 800 Jahre ist das her. Vor allem im Chor der Reinberger Kirche sind besterhaltene Gewölbe- und Wandmalereien aus der Erbauungszeit zu sehen, etwa das Fresko Christus als Weltenrichter. So blieb aus dem 13. Jahrhundert auch ein urtümlicher Taufstein aus gotländischem Granit erhalten. 

Doch nicht nur das. Der Weg zum Eingangsportal wird von einer außerordentlich alten Linde flankiert. Ihr Stamm ist so zerklüftet, dass eine einigermaßen exakte Bestimmung des Umfangs kaum möglich ist. Mit Sicherheit weist er aber mehr als zehn Meter auf. Damit nimmt die Linde Platz eins aller in Vorpommern wurzelnden Baumveteranen ein. Ihr Alter wird auf sage und schreibe 800 Jahre geschätzt. Sie kann also aus Anlass der Kirchweihe gepflanzt worden sein, was dereinst durchaus gang und gäbe war. 

Reinberg war vor der Indienstnahme der Rügendammbrücke in Stralsund (1935 bis 1937) mehr als heute ein Ort, in dem Rügenreisende gern Rast einlegten, bevor sie vom benachbarten Stahlbrode aus mit der Fähre zur Insel übersetzten. Vor allem in der Postkutschenzeit gehörte es zum Programm, im Dorfkrug eine Stärkung einzunehmen und sich dann den Kirchberg hinauf die Füße zu vertreten. Angesichts der bizarren Linde gerieten die allermeisten ins Staunen. 

Wilhelm von Humboldt war hier

Verbrieft ist, dass prominente Reisende, darunter auch Wilhelm von Humboldt, preußischer Staatsmann, Gelehrter, Reiseschriftsteller und Bruder Alexander von Humboldts, den Kirchhofsbaum weithin bekannt machten. Gehölzexperten trieben alsbald Studien über ihn, Dichter verfassten Verse, und Postkarten-Fotografen hielten das Naturdenkmal als Bild fest. Im Schatten der Linde fanden früher zudem verdienstvolle Pastoren ihre letzte Ruhe. Einer der Grabkreuze trägt den Namen Karl Billrodt. Er war der Vater des im 19. Jahrhundert wirkenden, genialen Chirurgen Theodor Billrodt, der unter anderem die moderne Bauchraum- und Kehlkopf-Operation begründete. Der Arzt, ein begabter Pianist und Geiger, war mit Johannes Brahms eng befreundet.

Sühnestein genannt  Mordwange

Und noch etwas macht den Kirchberg interessant. An der Westseite der Feldsteinumfassung steht, halb verdeckt vom Laub großer Bäume, eine so genannte Mordwange. Der zwei Meter hohe Sühnestein erinnert an den Tod eines gewissen Hayno van der Beeke. Er starb Mitte des 15. Jahrhunderts durch die Hand eines anderen. Zu erkennen ist auf dem Stein ein Kruzifix und ein davor kniender Beter, der seinen Blick auf den Gekreuzigten richtet. Die Hintergründe der Gewalttat sind allerdings unklar. Sühnesteine geben aber einen Hinweis darauf, dass es nicht immer friedlich zu ging damals im vorpommerschen Küstenland, zumal in der Umgebung weitere solcher Mordwangen bekannt sind. Wer als Reisender etwas Muße mitbringt, sollte also unbedingt im beschaulichen Reinberg eine Pause einlegen und den Kirchberg erkunden.