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02.10.20 / Radreise / Wehe, wenn die Wespen kommen / Wie schön es doch in Deutschland ist – Eine Fahrradtour durchs Altmühltal in Zeiten von Maskenpflicht und Abstandhalten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40 vom 02. Oktober 2020

Radreise
Wehe, wenn die Wespen kommen
Wie schön es doch in Deutschland ist – Eine Fahrradtour durchs Altmühltal in Zeiten von Maskenpflicht und Abstandhalten
Anne Martin

Radfahrer, kommst du nach Rothenburg, freu dich über die Stille. Du hörst deine Sohlen über das Kopfsteinpflaster tappen, siehst in den Cafés viele freie Stühle. In der St. Jakobs-Kirche stehst du mit deinen Mitradlern vor dem berühmten Heilig-Blut-Altar von Tilmann Riemenschneider und bestaunst das Schnitzwerk des spätgotischen Meisters, ganz ohne störendes Klicken unzähliger Handys allgegenwärtiger Touristen. 

Vor dem Stadttor öffnet sich der Burggarten, über den vereinzelte Menschen flanieren, hinter den Burgmauern das unendliche Grün des Taubertals. Eine Idylle. Im Restaurant „Alter Keller“ liegt schon der Anmeldezettel auf dem Tisch, den der Reisende routiniert ausfüllt, jetzt aber runter mit dem „Schnuten-Pulli“, denn das erste Bier wird serviert. Radeln in Zeiten von Corona: ein Abenteuer der besonderen Art. Lagen früher gelegentlich Taschentücher oder Bonbonpapiere entlang des Weges, sind es jetzt verlorene Binder, das Symbol dieses Sommers. Wer praktisch denkt, hängt seine Masken gleich über den Fahrradlenker, damit das Utensil beim nächsten Caféstopp nicht vergessen wird. Der Ausnahmezustand ist zur Regel geworden. Keiner murrt. Nur gelegentlich schwingt eine gewisse Dünnhäutigkeit mit: „Hier, bittschön, füllen’s den Zettel aus, wegen dem Corona-Gedöns,“ murrt die Rezeptionistin in einem Hotel. In Weißenburg wird darauf verwiesen, dass das beliebte Restaurant um die Ecke den Lockdown leider nicht überstanden habe. 

Corona reduziert den Reisestrom auf ein Maß, das an die 50er Jahre erinnert. Damals, als Väter ihre Familien in wackelige VW luden, als sich Fahrer mit Hamburger Kennzeichen unterwegs noch mit „Hummel Hummel“ grüßten. Die Erfahrung der Geruhsamkeit wird uns weiter begleiten auf unserer Tour entlang der Altmühl hin zum Donaudurchbruch, die 388 Stufen hinauf zur Ruhmeshalle Walhalla und entlang des kurzen Pilgerpfads zum Kloster Weltenburg am Ufer einer Donauschlinge. Wer mag, der darf staunen über den Einfallsreichtum der Hoteliers: die einen lassen sich abends in den Block diktieren, was der Gast zum Frühstück wünscht und überreichen die Wurst- und Käseplatte anderntags keimfrei unter Plastik verpackt. 

Andere offerieren wie bisher ihr Büfett, scheuchen den hungrigen Radler aber vorher zum Desinfektionsspender und über aufgemalte Spuren zum distanzierten Schlangestehen. Aber spätestens, wenn wir morgens auf die Räder steigen, die leeren Städte verlassen und durch sommersatte Felder und Wiesen fahren, sind alle Reglementierungen vergessen. Und könnte es sein, dass die Menschen sich in Zeiten des verordneten „social distancing“ wieder freudiger begegnen? 

Kaum, dass wir auf einer Brücke stehen und die pittoresken Türme eines Städtchens bewundern, schon nähert sich ein Spaziergänger und fragt, ob er den Weg weisen dürfe. Als vor Ansbach einer aus unserer Gruppe tatsächlich stürzt und mit aufgeschürftem Schienbein am Wegesrand hockt, eilt aus dem nah gelegenen Bauernhof die junge Bäuerin herbei, einen Erste-Hilfe-Kasten unterm Arm: „Ich habe eben aus dem Fenster beobachtet, was passiert ist. Brauchen Sie Hilfe?“ Danke, es geht schon, vor allem geht es weiter, bis zur nächsten Flädlesuppe, dem nächsten Biergarten unter alten Bäumen. 

Wie schön Deutschland ist, wie vielfältig, wie einladend! Muss tatsächlich erst eine Pandemie kommen, um die Landschaften vor der eigenen Haustür neu zu entdecken? Im „Spitalgarten“ am Zielpunkt Regensburg allerdings stürzen sich die Wespen in die vollen Gläser. Bierdeckel zum Abdecken gibt es hier nicht. „Die müssten wir nach Gebrauch aus Hygienegründen alle wegwerfen, das rechnet sich nicht,“ sagt der freundliche Servicemann in Lederhosen. Also dann: Schnell auf Ex getrunken, bevor uns statt Corona die Wespe erwischt!