24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.10.20 / Östlich von Oder und NeißE / Welche Erzählung darf die richtige sein? / Ehrenbürgerwürde für Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und Bischof Ignay Dec – Tokarczuk wies die Auszeichnung zurück

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41 vom 09. Oktober 2020

Östlich von Oder und NeißE
Welche Erzählung darf die richtige sein?
Ehrenbürgerwürde für Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und Bischof Ignay Dec – Tokarczuk wies die Auszeichnung zurück
Chris W. Wagner

Am 24. September beschloss das Parlament der Woiwodschaft Niederschlesien, der Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk sowie dem Schweidnitzer Bischof Ignacy Dec die höchste Auszeichnung der Region, die Ehrenbürgerschaft, zu erteilen. Nur einen Tag darauf erklärte Tokarczuk, sie werde den Titel nicht annehmen. „Diese Auszeichnung sollte ein fröhliches Fest des Zusammengehörigkeitsgefühls sein, doch es wurde zum Abbild unserer Gesellschaft. Das Schüren von Emotionen, das diese Ehrung begleitet, entzweit die Niederschlesier nur noch mehr. Es tut mir leid, dass ich diese Ehre abschlagen muss, denn ich möchte hierbei kein Spielball sein“, postete sie. Gestritten wurde im Sejmik (Regionalparlament), weil die polnische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Bischof Dec erst kurz vor Toresschluss als Ehrenbürgerkandidaten in den Ring warf. 

Tokarczuk sieht Spaltung statt Freude

Dec ist vielen deutschen Schlesiern kein Unbekannter. Er trug maßgeblich dazu bei, dass am 19. September 2010 der deutsche Geistliche Gerhart Hirschfelder seliggesprochen wurde. Der katholische Kaplan Hirschfelder war überzeugter Widerstandskämpfer gegen das Regime der Nationalsozialisten. In den Jahren 1932 bis 1939 war er Kaplan in Tscherbeney [Czermna] im Glatzer Bergland, danach bis 1941 Kaplan im nahen Habelschwerdt [Bystrzyca Klodzka] und Diözesanjugendseelsorger für die Grafschaft Glatz [Klodzko]. 1941 wurde er ins KZ Dachau deportiert, in dem er am 1. August 1942 an den Folgen von Hunger und Qualen verstarb. 

Der 1907 in Glatz geborene Hirschfelder sei, so Dec, für die polnischen Niederschlesier ein Geschenk und eine Aufgabe zugleich. „Er ist ein Geschenk, weil er der erste Selige der Diözese Schweidnitz ist. Der mutige Einsatz Hirschfelders für den Glauben und seine tiefe Verbundenheit mit dem Glatzer Land sind nachahmungswerte Eigenschaften“, so Dec. Der Selige habe selbst im Konzentrationslager in Briefen berichtet, dass die Verbundenheit zur Heimat und die Verbundenheit der Christen untereinander wichtiger sei als die Nationalität. Diese Botschaft Hirschfelders zu verbreiten lag Dec stets am Herzen. 

Deshalb hat er den Religionslehrern und Katecheten in seiner Diözese aufgetragen, einmal im Jahr zu den wichtigsten Wirkungsorten Hirschfelders zu pilgern. „Heute leben hier zwar andere Menschen, aber es ist dasselbe Glatzer Land, derselbe Fluss – die Glatzer Neiße, dieselbe Stadt. Wir fühlen uns mit dem hinterlassenen Erbe verbunden“, begründete Dec seinen Auftrag an die Religionslehrer. 

Diese Offenheit schätzen viele deutsche Schlesier, im polnischen Bewusstsein hingegen spielen anderen Debatten eine Rolle. Breslau gilt in Polen als Hochburg linker Intellektueller, und so ist es nicht verwunderlich, dass die Breslauer Presse Dec wegen seiner Haltung zu Familie und den „ungeborenen“ Leben ins Kreuzfeuer nahm.

Kritik an linker Gender-Ideologie

Dec sorgte vergangenes Jahr polenweit mit einer Predigt in Tschenstochau, Polens Zentralstelle der Marienverehrung, für Kritik. Er sagte damals, man würde heute nur dann beachtet und bekäme einen Nobelpreis oder Oscar verliehen, wenn man pro „Gender und LGBT“ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) sei. Für Dec sind Menschen, die sich als christlich bezeichnen und nicht gegen Abtreibungen sind, schlichtweg keine Christen. Für ihn sei die Gender-Ideologie eine neue Art des Marxismus und Resultat der Philosophie von Friedrich Engels. Sie sei ein Hieb gegen die Ehe und Familie und pervertiere den Menschen zum Wesen, das nicht imstande sei, Leben weiterzugeben.

Am 2. November kommt das neue Buch von Olga Tokarczuk – übrigens wie Hirschfelder ein Kind des Glatzer Landes – mit Essays und Vorträgen als Nobelpreisträgerin auf den Markt, und man darf gespannt sein, ob auch diese Debatte darin Widerhall findet. 

Die Olga-Tokarczuk-Stiftung hat in Breslau übrigens gerade am 3. Oktober ihre Tätigkeit aufgenommen. Und deren Motto lautet nach ihrer Namenspatronin: „Denn wenn man die Erzählung ändert, ändert sich die Welt.“ Tokarczuks Haltung, nicht Spielball werden zu wollen, ist vielleicht nachvollziehbar, aber wieder einmal darf nur eine Erzählung die Geachtete sein.