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16.10.20 / Leitartikel / Kaukasische Lehren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42 vom 16. Oktober 2020

Leitartikel
Kaukasische Lehren
René Nehring

Seit einigen Wochen nun fliegen in der kaukasischen Region Bergkarabach Raketen und Granaten. Zwar berichten die Medien durchaus von dem Leid der getroffenen Zivilisten, und Außenminister Heiko Maas forderte pflichtschuldig ein Ende der Kämpfe, doch die große Empörungswelle bleibt aus. Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) veröffentlichte ein paar Hintergrundinformationen und ein englischsprachiges Strategiepapier – der Rest ist Schweigen. Wieder einmal. 

„Wieder einmal“ deshalb, weil sich erneut all jene Verhaltensmuster zeigen, welche die Haltung der Deutschen und der von ihnen gewählten Politiker gegenüber außenpolitischen Herausforderungen kennzeichnen: Krisen werden beharrlich so lange ignoriert und Potentaten so lange in Ruhe gelassen, bis aus lokalen Konflikten länderübergreifende Flächenbrände entstehen. 

Anfang der 90er Jahre war der Zerfall Jugoslawiens hierzulande erst ein Thema, als die Serben, Kroaten und Bosnier untereinander furchtbare Massaker anrichteten und anschließend – erstmals seit 1945 – Kriegsflüchtlinge in Richtung Bundesrepublik aufbrachen. Das vorausgegangene Treiben des serbischen Kommunisten und Nationalisten Slobodan Milosevic war beharrlich ignoriert worden. 

Auch beim 2011 ausgebrochenen syrischen Bürgerkrieg sah Deutschland lange weg, als ein Land mit einer Jahrtausende alten Kultur in den Abgrund stürzte. Das Entstehen des Islamischen Staates (IS) war erst ein Thema, als die IS-Fanatiker den Terror in die europäischen Metropolen trugen. Doch unternommen wurde – nichts. Als die Russen ins Geschehen eingriffen – und dabei selbstverständlich eigene Interessen verfolgten – gab es aus Berlin wohlfeile Ratschläge. 

Die Türkei, die sich seit dem Aufstand gegen das Assad-Regime durchaus vorbildlich um die Flüchtlinge aus den syrischen Bürgerkriegsgebieten kümmerte, ließ man solange mit dem Problem allein, bis die Türken am Ende ihrer Kräfte waren – und die heimatlosen Syrer in Richtung Europa weiterreichten. Mit ihnen kamen bekanntlich nicht nur Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet, sondern Asylsuchende aus allen Regionen der Welt. Seitdem sitzt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am längeren Hebel. Er kann jeder Forderung an die Europäer – vor allem in Richtung Deutschland – mit einem Hinweis auf etwaige neue Migrationswellen Nachdruck verleihen. 

Diese Konstellation nutzt Erdogan nun auch im Kaukasus. Der Herrscher am Bosporus weiß um die strategische Bedeutung seines Landes. Deshalb kann er seine aserbaidschanischen Glaubensbrüder gegen die christlichen Armenier in Stellung bringen, ohne dass ihm eines der großen europäischen Länder entgegentritt. 

Die Bundesrepublik Deutschland, die gern zu den gewichtigen Akteuren des internationalen Geschehens gehören will, seit Jahren einer der größten Beitragszahler der UN ist und beharrlich einen ständigen deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat ins Gespräch bringt, erweist sich einmal mehr als zahnloser Tiger, der gern Worte wie „Verantwortung“ brüllt, am Ende jedoch vor den eigentlichen Dompteuren der Weltpolitik kuscht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik (siehe den Zustand der Bundeswehr) die Mittel fehlen, um eigenen Forderungen im Zweifel Nachdruck verleihen zu können. 

Das Problem ist jedoch nicht nur die militärische Schwäche. Mindestens ebenso schwer wiegt das mangelnde Bewusstsein in der deutschen Öffentlichkeit dafür, dass die Zeit des Versteckens hinter den Schultern der Großmächte vorbei ist und Deutschland seine strategischen Hausaufgaben allein lösen muss. Regionen wie der Norden Afrikas, der Nahe Osten oder der Kaukasus mögen zwar weit entfernt liegen, geopolitisch liegen sie für die Zentralmacht Europas jedoch in unmittelbarer Nachbarschaft. 

Wenn die Deutschen nicht lernen, Konflikte an der europäischen Peripherie – wie eben jenen im Kaukasus – als Herausforderung für die eigene Sicherheit zu begreifen, werden sie in Zukunft immer wieder erleben, dass die Probleme der Nachbarn schnell ihre eigenen werden. Spätestens dann, wenn die nächsten Flüchtlinge um Asyl nachsuchen.