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16.10.20 / Mordanschläge / Wie es die Führungsmacht des Westens damit hält / Vor 50 Jahren wurde der deutschstämmige Oberbefehlshaber der chilenischen Landstreitkräfte, General René Schneider, erschossen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42 vom 16. Oktober 2020

Mordanschläge
Wie es die Führungsmacht des Westens damit hält
Vor 50 Jahren wurde der deutschstämmige Oberbefehlshaber der chilenischen Landstreitkräfte, General René Schneider, erschossen
Wolfgang Kaufmann

Jedes Mal, wenn ein russischer Dissident oder Überläufer unter mysteriösen Umständen zu Schaden oder gar ums Leben kommt, empören sich im Westen Regierungen und Medien über angebliche Mordanschläge im Auftrage Moskaus. Da drängt sich unabhängig davon, dass stets ungeklärt blieb, wer nun wirklich hinter den Attentaten auf Personen wie Alexander Litwinjenko, Emilian Gebrew, Sergej Skripal, Nikolaj Gluschkow und Alexej Nawalnyj steckt, die Frage auf, wie es denn die Führungsmacht des Westens mit Mordanschlägen und gezielten Tötungen hält.

Die 1947 gegründete US-amerikanische Central Intelligence Agency (CIA) initiierte wahrscheinlich mehr Attentate als jeder andere Geheimdienst der Welt. Ein Beispiel jährt sich dieser Tage zum 50. Mal. Am 25. Oktober 1970 starb der deutschstämmige Oberbefehlshaber der chilenischen Landstreitkräfte, General René Schneider, an den Verletzungen, die ihm ein Kommando zugefügt hatte, das von der CIA unterstützt worden war. Der Anschlag erfolgte aufgrund der verfassungstreuen Haltung Schneiders, denn mit dieser konterkarierte er die Pläne chilenischer Militärs und des Nationalen Sicherheitsberaters des US-Präsidenten Richard Nixon, Henry Kissinger, die bevorstehende Wahl des Sozialisten Salvador Allende zum Staatspräsidenten des Andenlandes auf gewaltsamem Wege zu verhindern. Und auch bei der Ermordung von Schneiders ebenfalls verfassungstreuem Nachfolger, General Carlos Prats, der nach Allendes Sturz im argentinischen Exil am 30. September 1974 in Buenos Aires gemeinsam mit seiner Ehefrau durch eine Autobombe getötet wurde, hatte die CIA ihre Hände im Spiel. 

Das Gleiche gilt für den ebenfalls tödlichen Sprengstoffanschlag auf Orlando Letelier, bis 1973 Außen-, Innen- und Verteidigungsminister unter Allende, sowie dessen Assistentin Ronni Karpen Moffitt am 21. September 1976. Dieses Attentat war Teil der von den USA beziehungsweise der CIA unterstützten Operation Condor der Geheimdienste von insgesamt neun südamerikanischen Diktaturen, die von 1975 bis 1989 lief. Deren Zweck bestand unter anderem darin, Oppositionelle im In- und Ausland zu eliminieren. 

Scheinheilige Kritik an Russland

Ins Visier der CIA gerieten aber nicht nur südamerikanische Politiker und Militärs. Auf der Abschussliste des US-Auslandsgeheimdienstes standen auch noch folgende Personen, deren Ermordung jedoch misslang: der kubanische Staats- und Parteichef Fidel Castro, den die CIA wohl fast drei Dutzend Mal zu töten versuchte; der Führer der Unabhängigkeitsbewegung im Kongo, Patrice Lumumba, der von politischen Rivalen im eigenen Land massakriert wurde, ehe die CIA zuschlagen konnte; die den USA lästig gewordenen Potentaten der Dominikanischen Republik und Südvietnams, Rafael Trujillo und Ngo Dinh Diem, die das gleiche Schicksal traf; der 2011 gestürzte und unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommene libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi; der 2006 nach einem formellen Gerichtsverfahren gehenkte irakische Diktator Saddam Hussein; der chinesische Ministerpräsident Zhou Enlai; Kambodschas König und Staatsoberhaupt Norodom Sihanouk; der sowjet- und kubafreundliche Premierminister Jamaikas Michael Manley; der schiitische Großajatollah und geistliche Führer der Hisbollah Scheich Muhammad Hussein Fadlallah.

Viele der älteren Mordkomplotte der CIA flogen 1974/75 auf, als investigative Journalisten und zwei von Präsident Gerald Ford beziehungsweise dem Senat eingesetzte Untersuchungskommissionen Geheimdokumente über die Machenschaften des Auslandsgeheimdienstes veröffentlichten oder zumindest Berichte auf deren Basis vorlegten. Besonderes Aufsehen erregten dabei die Publikationen des Reporters Seymour Hersh von der „New York Times“ zum Inhalt der family jewels (Familienjuwelen) der CIA – so die inoffizielle Bezeichnung für die 693 Seiten umfassende Aktensammlung über die Mordpläne und -aktionen seitens des Dienstes.

In Reaktion auf die family jewels sowie die Berichte der U.S. President’s Commission on CIA activities within the United States (Kommission des US-Präsidenten zur Untersuchung von CIA-Aktivitäten innerhalb der USA) und des United States Senate Select Committee to Study Governmental Operations with Respect to Intelligence Activities (Sonderausschusses des US-Senats zur Untersuchung des Regierungshandelns mit Bezug zu Aktivitäten der Nachrichtendienste) erließ Ford am 18. Februar 1976 die United States Presidential Executive Order EO 11905, in der es hieß: „Kein Angestellter der Regierung der Vereinigten Staaten darf sich an politischen Attentaten beteiligen oder sich dazu verschwören.“ Die Ermordung Leteliers zeigte indes, dass diese Weisung nicht ausreichte. Deshalb verschärften und erweiterten Fords Nachfolger Jimmy Carter und Ronald Reagan mit der EO 12036 und der EO 12333 das Tötungsverbot später noch. Nunmehr galt es beispielsweise auch für Personen, die lediglich im Auftrage der US-Regierung agierten. 

Family Jewels

Mit Beginn des „Krieges gegen den Terror“ nach dem 11. September 2001 traten diese Regelungen aber faktisch alle außer Kraft. Seither gehören gezielte Mordanschläge mehr denn je zum Alltag der CIA. Erinnert sei hier nur an die „außergerichtlichen Exekutionen“ des al-Kaida-Führers Osama bin Laden sowie des Oberhauptes des Islamischen Staates und selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi. In beiden Fällen war die CIA in maßgeblicher Weise an der Aufspürung der Opfer beteiligt, und bei der Erschießung bin Ladens leitete die CIA die Operation auch. 

Gegenwärtig kommen zumeist unbemannte Drohnen zum Einsatz, um die Personen zu eliminieren, die auf den Todeslisten der CIA stehen. So starb beispielsweise der einflussreiche Dschihadist Anwar al-Awlaki im Jemen durch einen gezielten Angriff aus der Luft. Die CIA selbst bezweifelt seit geraumer Zeit, dass solche Attacken nachhaltigen Nutzen bringen. Das belegt nicht zuletzt der an die Presse durchgestochene CIA-Bericht über „High-Value Targeting Operations“, also die gezielte Ausschaltung von hochrangigen Feinden der USA, vom 7. Juli 2009. In diesem Papier heißt es, die Tötungen würden den Gegner nur immer weiter radikalisieren und ihm zugleich auch noch zahlreiche neue Anhänger bescheren.





Chilenische Anschlagsopfer

Nicht zuletzt die Empörung über die Tötung des Generals René Schneider soll Chiles Christdemokraten dazu bewogen haben, bei der Präsidentenwahl vom 24. Oktober 1970 Allende zu unterstützen

Schneiders Nachfolger als Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte, General Carlos Prats, wurde während Allendes Präsidentschaft mehrfach Kabinettsmitglied und 1972 sogar Vizepräsident

Orlando Letelier fungierte während Allendes Präsidentschaft als Botschafter in den USA, sowie Außen-, Innen- und Verteidigungsminister. Ab 1975 war er für das Institute for Policy Studies in Washington tätig