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23.10.20 / Nord Stream 2 / Querschüsse aus Warschau / Polnische Wettbewerbsbehörde verhängt hohe Bußgelder gegen Gazprom und dessen Geschäftspartner in der EU

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43 vom 23. Oktober 2020

Nord Stream 2
Querschüsse aus Warschau
Polnische Wettbewerbsbehörde verhängt hohe Bußgelder gegen Gazprom und dessen Geschäftspartner in der EU
Norman Hanert

Die polnische Wettbewerbsbehörde UOKiK hat wegen des Baus der Ostseegaspipeline Nord Stream 2 ein Milliardenbußgeld verhängt. Der russische Gazprom-Konzern soll eine Strafe von umgerechnet rund 6,5 Milliarden Euro zahlen, da er die Leitung ohne Genehmigung der Behörde gebaut habe. Behördenchef Tomasz Chrostny erklärte, eine Fertigstellung der Ostseepipeline verstärke die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen, was das Risiko von Preiserhöhungen beinhalte. 

Betroffen sind von der Entscheidung neben Gazprom auch das Düsseldorfer Unternehmen Uniper, die BASF-Tochter Wintershall Dea, sowie die OMV aus Österreich, der französische Konzern Engie und der britisch-niederländische Energiemulti Shell. Von diesen Firmen will die polnische Behörde eine Strafe im zweistelligen Millionenbereich kassieren. Zusätzlich fordert die polnische Wettbewerbsbehörde Gazprom und dessen Partner auf, innerhalb von 30 Tagen die Finanzierungsvereinbarungen zu beenden, um den Wettbewerb wiederherzustellen, wie es heißt.

Die Wettbewerbsbehörde in Warschau hatte bereits im Jahr 2016 ein Veto eingelegt, als die fünf Unternehmen und Gazprom ein Gemeinschaftsunternehmen für den Pipelinebau gründen wollten. Uniper, Wintershall und die anderen Firmen ließen daraufhin den Plan zu einem Joint Venture fallen und beschränkten sich auf die Rolle von Kreditgebern. Dessen ungeachtet sieht die polnische Wettbewerbsbehörde die Firmen nun trotzdem als Teilhaber des Projekts Nord Stream 2 an.

Der Düsseldorfer Versorger Uniper stellte allerdings klar, dass Finanzierungsvereinbarungen auch nach polnischem Fusionskontrollrecht keinen anmeldepflichtigen Zusammenschluss darstellen. Zudem verwies das deutsche Unternehmen darauf, dass es in der bisherigen Praxis der Wettbewerbsbehörden auch keinen entsprechenden Präzedenzfall gebe.

Die meisten Beobachter gehen inzwischen davon aus, dass die verhängte Rekordstrafe die Fertigstellung der Pipeline nicht verhindern wird. Bis Polens Gerichte letztinstanzlich in dem Fall entschieden haben, könnten vier bis fünf Jahre vergehen. Erst dann wäre auch die Zahlung der Strafe fällig.

6,5 Milliarden Euro Bußgeld

Sollte das ungewöhnlich hohe Bußgeld allerdings tatsächlich eingetrieben werden, könnte es das Projekt unrentabel machen. Zum Vergleich: Die Gesamtkosten von Nord Stream 2 sind mit 9,5 Milliarden Euro kalkuliert. Die höchste Kartellstrafe, die von den EU-Wettbewerbshütern jemals gegen ein Einzelunternehmen verhängt worden ist, betrug im Fall des Internetgiganten Google 4,34 Milliarden Euro.

Dabei hat Polen lange Zeit davon profitiert, dass andere EU-Länder und die EU-Kommission beim Thema Wettbewerbsrecht Zurückhaltung gezeigt haben. Eigentlich war es über Jahrzehnte Politik der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaften, aus Gründen der Chancengleichheit auf dem gemeinsamen Markt keine Sonderwirtschaftszonen entstehen zu lassen. So stieß es in Brüssel auf vehementen Widerstand, als der damalige Treuhand-Manager Klaus von Dohnanyi Anfang der 90er Jahre vorschlug, in den neuen Bundesländern Sonderwirtschaftszonen einzurichten. 

Und bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit Polen und Ungarn war die Frage nach den Steuervergünstigungen, mit denen ausländische Investoren in Sonderwirtschaftszonen gelockt wurden, einer der härtesten Brocken. Polen hatte in den 90er Jahren mehrere solcher Zonen begründet und lockte ausländische Investoren mit Steuervergünstigungen. 

Warschau setzte sich bei den Verhandlungen zu seinem EU-Beitritt allerdings insoweit durch, als die bereits bestehenden 14 Zonen einen Bestandsschutz erhielten. Damit waren innerhalb der EU Sonderwirtschaftszonen etabliert. Obendrein zeigte sich, dass die EU beim Bestandsschutz für die Sonderwirtschaftszonen schlecht verhandelt hatte. 

„In dieser Regelung gab es ein Schlupfloch: Die Größe der Zonen war nämlich nie festgelegt worden. Mit dem Resultat, dass zwar keine neuen Zonen gegründet wurden, die alten aber einfach weitergewachsen sind. Sie sind dabei noch nicht einmal auf einen Ort festgelegt. Sie verteilen sich über ganz Polen“, so der Ökonom Iwo Augustynski von der Universität Breslau. Als Folge der juristischen Hintertür wucherten im Laufe der Zeit Hunderte Ableger der Sonderwirtschaftszonen. 

Polnische Sonderwirtschaftszonen

Die Sonderwirtschaftszone Küstrin/Frankfurter Dammvorstadt gründete beispielsweise 2005 eine Unterzone in Posen, in welcher der Volkswagen-Konzern ein Werk baute. Noch größer war die Distanz bei einer Fabrik des koranischen Unternehmens LG in der Nähe von Breslau. Die eigentliche Sonderwirtschaftszone Tarnobrzeg lag über 400 Kilometer weiter östlich. 

Seit zwei Jahren können polnische Kommunal- und Wirtschaftspolitiker sogar ganz auf die Gründung von Unterzonen verzichten. Im Jahr 2018 verabschiedete der Sejm eine Reform des Sonderwirtschaftszonengesetzes, durch die theoretisch jede polnische Gemeinde kommunales Land zu einer Sonderwirtschaftszone erklären kann.