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23.10.20 / Kunstausstellung / Freispruch erster Klasse / Den Gender-TÜV bestanden – Die weibliche Seite des „Selfie“-Malers Max Beckmann in Hamburg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43 vom 23. Oktober 2020

Kunstausstellung
Freispruch erster Klasse
Den Gender-TÜV bestanden – Die weibliche Seite des „Selfie“-Malers Max Beckmann in Hamburg
Harald Tews

Max Beckmann hat gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Auch wenn er in seinen Porträts nackte Frauengestalten abgebildet hat, ist ihm kein Sexismus-Vorwurf zu machen. In Zeiten von „MeeToo“ und Genderwahn hat man den Künstler in der Porträt-Ausstellung „Max Beckmann – weiblich-männlich“, die bis zum 24. Januar 2021 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen ist, einem Verträglichkeits-TÜV unterzogen. Ergebnis: Seine Bilder müssen nicht in die Asservatenkammer.

Eigentlich ist es sogar ein Freispruch erster Klasse. Anhand von 140 Gemälden, Plastiken und Grafiken soll gezeigt werden, dass sich Beckmann schon früh mit Androgynität und unterschiedlichen Geschlechterrollen befasst hat. Als Beweis dient etwa der Steinguss „Adam und Eva“ von 1936, in dem eine männliche Figur wie ein Gebärer mit winzigem Neugeborenen mit schlangenähnlicher Nabelschnur auftritt. Ähnlich ambivalent ist auch das Porträt des homosexuellen Regisseurs und Autors Ludwig Berger, dem Beckmann zwei Lotusblüten als Ausdruck seines femininen Charakters in die rechte Hand gedrückt hat. 

Andererseits haben die Frauen bei genauerem Hinsehen die Hosen an. Beckmann porträtiert sie mit stolzem Blick und selbstbewusster Pose, gleichwohl sie meistens noch rollentypisch Rock und Kostüm tragen. Die Herrschaft der Frau, so will es diese Ausstellung suggerieren, habe er in seinem mythologischen Gemälde „Odysseus und Kalypso“ von 1943 vorhergesehen. Darin umklammert eine – nichtsdestotrotz – völlig nackte Nymphe den Seefahrer und hält ihn sieben Jahre als Sexsklaven auf ihrer Insel gefangen.

Solche erotischen Phantasien scheinen Beckmann interessiert zu haben. Auch wenn er sich in seinen vielen Selbstbildnissen mit kahlem, aber entschiedenem Rammschädel darstellte, kann man eine verletzliche weibliche Seite an ihm entdecken. Seine gemalten „Selfies“ sind wie bei vielen heutigen Instagrammern vielleicht Ausdruck eines durch innere Unsicherheit verursachten Narzissmus.

Die Suche nach der eigenen Rolle als Mann und als Künstler hat Beckmann zu einem Anhänger der Esoterik gemacht.  Seine Lektüre der Schriften der Okkultistin Helena Blavatsky führten schließlich zu amorphen Porträts, in denen Männer und Frauen ineinander verschmelzen.

Mit dieser interessanten Schau scheint die Kunsthalle ihren großen Bestand an Beckmann-Werken noch bedeutsamer machen zu wollen, als er ohnehin schon ist. Dabei hätte es Beckmann nicht nötig gehabt, ihm nachträglich das Gender-Siegel zu verleihen. Er ist auch so modern genug. Wer aber in diese Ausstellung geht, sollte im Hauptgebäude nicht Hans Makarts monumentales, 50 Quadratmeter großes Bild „Der Einzug Karls V. in Antwerpen“ (1878) verpassen, das man nach vier Jahren nebst damaliger Salonmalerei erstmals wieder präsentiert.

Hamburger Kunsthalle Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg, geöffnet täglich außer montags. Einlassfenster-Karten für 14 Euro unter www.hamburger-kunsthalle.de. Ein Katalog zur Beckmann-Ausstellung ist im Prestel Verlag erschienen (240 Seiten, 29 Euro).