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23.10.20 / Orgel mit neuem Klang / Kleinod auf Usedom erwacht zu neuem Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43 vom 23. Oktober 2020

Orgel mit neuem Klang
Kleinod auf Usedom erwacht zu neuem Leben
artin Stolzenau

Restaurierung und Modernisierung der Mellenthiner Orgel  

Die Gemeinde Mellenthin liegt auf der Insel Usedom nahe der gleichnamigen Stadt, war zunächst vom slawischen Stamm der Liutizen besiedelt, die hier über Jahrhunderte eine Wallburg besaßen, nahm ab 1230 eine frühdeutsche Entwicklung und wurde 1270 erstmals in einer Urkunde des Bischofs von Cammin als „Mildotitz“ genannt. Ab 1336 besaß die adlige Familie von Neuenkirchen   Mellenthin als Stammsitz. Ihre Mitglieder dienten den Herzögen von Pommern über Jahrhunderte als Räte, besaßen außerdem noch Dörfer bei Anklam sowie Wolgast und starben mit dem herzoglich-pommerschen Rat Christoph von Neuenkirchen 1641 im Mannesstamm aus. Aus  dessen Hinterlassenschaft besitzt Mellenthin bis heute einige Sehenswürdigkeiten. Das reicht vom Wasserschloss aus dem 16. Jahrhundert über den Fachwerkbau des ehemaligen Gutshofes ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert bis zur mittelalterlichen Backsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert. Der Sakralbau verdient gegenwärtig die verstärkte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Das liegt außer an dem interessanten Kreuzrippengewölbe und dem erhaltenen Grabmal des Erbauers des Wasserschlosses vor allem an der Orgel. Sie wurde einst vom berühmten Stettiner Orgelbaumeister Barnim Grüneberg erbaut und erlebt momentan eine umfangreiche Restaurierung. Dazu gehört in diesem Sommer auch der Einbau einer elektrischen Luftzufuhr, die dann die Arbeit des Balgtreters übernimmt und den Orgelklang auf einem höheren Niveau möglich macht.  

Die Dorfkirche von Mellenthin aus dem 13. Jahrhundert hatte ab dem 14. Jahrhundert den Status einer Filialkirche der Usedomer Paulskirche, bekam im 15. Jahrhundert einen Westturm und verfügt bis heute über die ursprüngliche Innenausstattung. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die inzwischen freigelegten Deckenmalereien im Chor mit neutestamentlichen Szenen, die wohl nach 1420 geschaffen wurden. Dazu gesellen sich die Westempore aus der Zeit um 1700,  eine Kanzel und ein Gemälde mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts aus dem 17. Jahrhundert, eine kleine Altarretabel aus dem 18. Jahrhundert, das barocke Gestühl und ein erhaltener Beichtstuhl aus vergangener Zeit. Die Glocke im Turm wurde 1654 von einem Stettiner Glockengießer angefertigt. Auf der Westempore, die mit interessanten Allegorien bemalt ist, die erhalten blieben, befindet sich die Orgel, die 1879 von Barnim Grüneberg geschaffen wurde. Der Meister entstammte einer namhaften Stettiner Orgelbauerfamilie, hatte neben dem Vater noch andere berühmte Lehrmeister wie Aristide Cavaille-Coll in Paris sowie Eberhard Friedrich Walcker in Ludwigsburg und übernahm 1854 die väterliche Werkstatt. Mehr noch. Grüneberg entwickelte sie zu einer der erfolgreichsten deutschen Orgelwerkstätten Ende des 19. Jahrhunderts, wurde vom Mecklenburger Großherzog zum „Hoforgelbauer“ erhoben und schuf lebenslang rund 450 Neu- und Umbauten für ganz Pommern, Mecklenburg und Brandenburg. Die vom ihm für Libau erbaute Orgel mit 131 Registern sowie vier Manualen gilt heute als die größte manuell traktierte Orgel weltweit. Dieser Meister schuf 1879 auch die viel kleinere Orgel für Mellenthin. 

Das Werk in der Mellenthiner Dorfkirche bekam nur vier Register und ein Manual, hatte aber einen guten Klang und war mit dem neugotischen Prospekt auch recht ansehnlich. Schon während des I. Weltkrieges begann allerdings der Niedergang der Grüneberg-Orgel. Die Pfeifen mussten für Kriegszwecke abgegeben werden. Der spätere Ersatz war minderwertig und reduzierte die Klangqualität. Dazu gesellten sich  in den Folgejahrzehnten ein ruinöser Umgang mit dem Instrument und Erscheinungen von Vandalismus, bis Orgelfreunde nach der Wende den Bestand retteten und dann die aktuelle Restaurierung herbeiführten. Da war es ein Segen, dass sich die Deutsche Stiftung Denkmalschutz der Kirche mit ihrer besonderen Grüneberg-Orgel annahm. Die vom DSD gegründete Stiftung Dorf-und Kleinstadtkirchen gedieh zum finanzstarken Motor der Sanierung, die von einer Eberswalder Orgelbaufirma übernommen wurde und dabei auch für den Einbau einer elektrischen Luftzufuhr sorgte. Damit kann per sofort die regionale Initiative „Orgelunterricht vor Ort“, die der Pommersche Kirchenkreis betreibt, auch auf der Grüneberg-Orgel in Mellenthin mit neuen Schülern fortgesetzt werden. So erwachte das musikhistorische Kleinod auf der Insel Usedom mit verbesserter Klangqualität Ende August 2020 zu neuem Leben.