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23.10.20 / Kleinkunst / Akrobat schööön und gut / Nicht nur Mailand hat eine, auch Berlin hatte eine Scala – Das Varietétheater an der Spree wurde vor 100 Jahren eröffnet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43 vom 23. Oktober 2020

Kleinkunst
Akrobat schööön und gut
Nicht nur Mailand hat eine, auch Berlin hatte eine Scala – Das Varietétheater an der Spree wurde vor 100 Jahren eröffnet
Bettina Müller

Die frechen Berliner Spatzen pfiffen es schon länger von den Dächern. Am 2. November 1920 um 19.15 Uhr war es dann endlich so weit: Das neue Großvarietétheater Scala in der Martin-Luther-Straße 22–24 öffnete seine Tore, und zwar unter der maßgeblichen Ägide von Jules Marx, der das Haus im Stadtteil Schöneberg zunächst mit acht weiteren Geschäftspartnern als GmbH betrieb.

Der 1882 in Frankfurt am Main als Julius Marx geborene Kaufmannssohn war eigentlich gar nicht „vom Fach“, besaß durch seine Ausbildung zum Bankkaufmann jedoch einen ausgeprägten Sinn für Finanzgeschäfte. Und in London, wo er einige Jahre an der Börse tätig gewesen war, hatte er in den „Music Halls“, dem englischen Äquivalent der Varietés, die sehr lukrative Verbindung zwischen Szene, Musik und Akrobatik kennen gelernt.

1921 hatte das vergnügungssüchtige Publikum in Berlin die Qual der Wahl: Über 150 Revuetheater buhlten um die Gunst der Zuschauer. Im rechten Flügel der neuen Spielstätte Scala waren Restaurationsbetriebe untergebracht. Ein Weinrestaurant, ein Klub-Saal, eine Likörstube und ein Casino mit Ballsälen namens „Casanova“ mit der – laut Eigenwerbung – „schönsten Tanzstätte des Kontinents“ komplettierte das clevere Konzept. 

Doch die Reaktionen auf die Premiere, bei der unter anderem das Ukrainische Nationalballett sowie Rosa Valetti in einem Sketch auftraten, fielen zunächst nicht durchgehend positiv aus. So beschwerte man sich zum Beispiel über eine schlechte Akustik. Marx behob die Mängel, entwickelte außerdem die beliebte „Varieté-Revue“, sorgte für opulente Kulissen, stellte einen Conférencier ein und das obligatorische „Nummerngirl“, das vor jedem Programmpunkt über die Rampe tänzelte. 

Die Scala sollte das größte Varietétheater im Deutschen Reich werden. Das Publikum sah über die Jahre glamouröse Revuen, in denen jeder Kleinkünstler, der etwas auf sich hielt, auftreten wollte. Es wurde von durch die Luft wirbelnden Akrobaten und tollkühnen Hochseilartisten verzaubert. Es lachte über weltberühmte Künstler wie den Schweizer Clown Grock alias Charles Adrien Wettach oder staunte über geschickte Magier. 

Ein „demokratisches Varieté“

Und die flamboyante Scala prägte auch den Slogan: „Denn heut zeig ich dir ganz Berlin, heut werf ich mich in Gala. Erst geht’s auf die Tauentzien, und abends in die Scala.“ 

Anfangs noch als „Dilettant“ belächelt, hatte Marx die Zweifler eines Besseren belehrt und tatsächlich ein Varietétheater von Weltrang geschaffen, und das trotz anfänglicher Hindernisse wie zum Beispiel die Hyperinflation zu Beginn der 1920er Jahre. Gerade sein vermeintlicher „Dilettantismus“ hatte ihm aber wohl einen unverbauten Blick auf das Kleinkunstgeschäft ermöglicht, was sich als hilfreich erweisen sollte, als die Sparte zunehmend stagnierte. 

„Das Varieté der Laszivität, der sanften Koketterie, der pikanten Entkleidungsszenen gehört der Vergangenheit an“, verriet Marx einem Reporter im Februar 1925. Deshalb ging er noch einen Schritt weiter: Auch nicht begüterten Familien sollte der Besuch ermöglicht werden. Das „demokratische Varieté“ musste das überholte „aristokratische Varieté“ ersetzen. So sorgte er dafür, dass an Sonntagnachmittagen das volle Programm zu ermäßigten Preisen gespielt wurde.

Im Herbst 1929 erschütterte der Schwarze Donnerstag die Finanzwelt. Da hatte sich Marx schon längst mit seinen Geschäftspartnern zum „Scala-Konzern“ zusammengeschlossen und betrieb als dessen Generaldirektor noch weitere Varietés, darunter das Berliner Apollotheater. Der Konzern geriet in Zahlungsschwierigkeiten, 1933 stellte die Dresdner Bank als Hauptkreditgeber die Zusammenarbeit ein. 

Im selben Jahr musste Marx sein Amt aufgrund seiner jüdischen Herkunft niederlegen und floh nach Frankreich. Sein Nachfolger Eduard Duisberg führte die Scala als „Varieté-Betriebs-GmbH“ weiter und erfand 1934 die „Crazy Shows“, die „verrückten“ Sonderprogramme, während die Nationalsozialisten weiter an ihrem perfiden Plan der vollständigen „Arisierung“ des Reichs feilten. 

„Führer gibt mir den Auftrag, die Scala bis Januar zu arisieren“, notierte Joseph Goebbels am 26. November 1937 in sein Tagebuch und vermerkte kurze Zeit später triumphierend: „Sie ist jetzt ganz zahm geworden. Wie wir sie haben wollten.“ Am 10. August 1944 kam schließlich für alle deutschen Bühnen das Verbot aller Veranstaltungen „mit nicht kriegsmäßigen Darstellungen“. 

Zu dem Zeitpunkt hatte man Marx der Gestapo bereits übergeben und sein Leben am 8. Mai 1944 im KZ Sachsenhausen beendet. Und auch die Scala war längst Geschichte: Ein Bombenhagel legte das Theater in der Nacht vom 21. auf den 

22. November 1943 fast vollständig in Schutt und Asche.