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30.10.20 / erneuerbare energien / „Klimaschützer“ gegen Naturschützer / Streit um den geplanten forcierten Neubau zusätzlicher Windkraftanlagen in den Gewässern entlang der deutschen Küste

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44 vom 30. Oktober 2020

erneuerbare energien
„Klimaschützer“ gegen Naturschützer
Streit um den geplanten forcierten Neubau zusätzlicher Windkraftanlagen in den Gewässern entlang der deutschen Küste
Wolfgang Kaufmann

Die Klimaschutz-Lobby gerät zusehends mit denen in Konflikt, die sich um den Erhalt der Umwelt sorgen. Ein Beispiel ist der Streit um die Offshore-Windkraftanlagen vor der deutschen Nord- und Ostseeküste. Momentan stehen in den Hoheitsgewässern sowie der daran angrenzenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) der Bundesrepublik um die 1500 Windräder mit einer Gesamtnennleistung von 7,7 Gigawatt – das entspricht der Stromproduktion von vier Großkraftwerken. Viele der Turbinen werden in mehr als 100 Metern Höhe durch Rotorblätter von 85 Metern Länge angetrieben. Das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Umwelt. So benötigen die Trägerkonstruktionen solide Fundamente, was Veränderungen am Meeresgrund und bei den Strömungsverhältnissen bewirkt. Außerdem umfliegen Seevögel die Windparks meist in großem Abstand. Das bewahrt sie zwar vor dem Tod durch Rotorschlag, führt aber auch zur drastischen Verkleinerung der Lebensräume von Trottellummen, Dreizehenmöwen sowie Stern- und Prachttauchern. Dazu kommt die Veränderung der Reiserouten von Zugvögeln. Wie das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH) inzwischen feststellte, beträgt der Meideradius um jedes einzelne Offshore-Windrad zirka 5,5 Kilometer. Deshalb fällt es Deutschland schon jetzt schwer, die europäische Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) vom 15. Juli 2008 einzuhalten. Diese schreibt vor, dass alle Küstenanrainerstaaten bis 2020 für einen „guten Zustand der Meeresumwelt“ vor ihrer Küste zu sorgen haben.

Verdreifachung bis 2030

Trotzdem sollen unter Hinweis auf den Klimaschutz künftig noch deutlich mehr Windkraftanlagen in den Gewässern entlang der deutschen Küste entstehen. Für die Zeit bis 2030 ist eine Verdreifachung der Offshore-Nennleistung geplant, und 2040 soll diese dann sogar 40 Gigawatt betragen. Zum Vergleich: Derzeit können sämtliche an Land stehenden Windräder auf dem Territorium der Bundesrepublik knapp 60 Gigawatt Strom erzeugen. Um das Offshore-Ziel für 2040 zu erreichen, bräuchte es mindestens 3600 zusätzliche Rotortürme in Nord- und Ostsee. 

Kritik von Grünen und NABU

Deshalb laufen die Umweltschutzverbände und einige Politiker der Grünen nun Sturm gegen die Absichten der Windkraftwirtschaft. Dabei richtet sich die Kritik derzeit vor allem gegen den Raumordnungsplan des BSH, aus dem hervorgeht, dass nur ganz wenige Bereiche der deutschen AWZ kommerziell ungenutzt bleiben sollen. Denn die Schifffahrtsrouten für die riesigen Containerfrachter und die Vorbehaltsgebiete für den Bau unterseeischer Leitungen, die bestehenden und geplanten Offshore-Windparks, die Areale für den Abbau von Kies und Sand sowie die Erdöl- und Erdgasförderung sowie die Übungsräume der Bundeswehr überlappen sich an vielen Stellen mit den ohnehin schon äußerst knapp bemessenen Schutzzonen für Seevögel, Meeressäuger und Fischpopulationen.

Daraus zog die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Steffi Lemke, den Schluss, „dass die ökologische Belastungsgrenze … der deutschen Nord- und Ostsee überschritten ist“. Deshalb müsse der Raumordnungsplan überarbeitet werden. 

Ganz ähnlich lautet das Fazit des Leiters Meeresschutz beim Naturschutzbund Deutschland (NABU), Kim Detloff. Für den weiteren Ausbau der Windkraftanlagen sei „kein Platz da“, weil man unbedingt auch einige „Nullnutzungszonen“ benötige, in denen keinerlei menschliche Aktivitäten stattfänden. Man könne die Meere doch nicht komplett in „Industrieflächen“ verwandeln. 

Das sehen die Windparkbetreiber und „Klimaschützer“ aber ganz anders. Sie fordern sogar noch die Freigabe zusätzlicher Bereiche innerhalb der AWZ für den Bau von Rotortürmen über das Jahr 2040 hinaus.

Sowohl die Vertreter der Offshore-Branche als auch die Umweltverbände haben noch bis zum 5. November Zeit, ihre Einwände gegen den BSH-Raumordnungsplan vorzubringen. Anschließend will das zuständige Bundesinnenministerium über das Papier entscheiden und es Mitte 2021 in Kraft setzen. Dabei könnte das Ministerium das am 12. August 2020 vom Bundeskabinett verabschiedete Investitionsbeschleunigungsgesetz nutzen. Dieses sieht vor, dass formelle Widersprüche oder Anfechtungsklagen gegen Windkraftprojekte künftig keine aufschiebende Wirkung mehr entfalten sollen. Hierdurch rangiert der „Klimaschutz“ nun noch deutlicher vor dem Naturschutz.