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30.10.20 / Pandemie / Berlins rätselhafte Corona-Mauer / „Kulturelle Besonderheiten“: Warum liegen die Zahlen im Westen der Stadt viel höher als im Osten?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44 vom 30. Oktober 2020

Pandemie
Berlins rätselhafte Corona-Mauer
„Kulturelle Besonderheiten“: Warum liegen die Zahlen im Westen der Stadt viel höher als im Osten?
Norman Hanert

Deutschlands Hauptstadt gilt inzwischen bundesweit als ein Brennpunkt der Corona-Pandemie. Ein Blick auf die Inzidenzzahlen der zwölf Berliner Bezirke fördert jedoch große Unterschiede zu Tage. Die Innenstadtbezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Berlin-Mitte haben zum Teil extrem hohe Infektionszahlen. Mit Stand 22. Oktober wies Berlin-Neukölln mit einem Sieben-Tage-Inzidenzwert von 236 sogar den zweithöchsten Wert in der Bundesrepublik auf und rangierte damit gleich hinter Berchtesgaden.

Deutlich besser sah es dagegen in Pankow, Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf aus. In diesen Bezirken im Osten Berlins lagen die Inzidenzzahlen weitaus niedriger als im Zentrum Berlins und in den westlichen Bezirken, die in der Statistik eine Mittelstellung einnahmen. Berlinweit den niedrigsten Sieben-Tages-Inzidenzwert wies mit 38,5 am 22. Oktober der Bezirk Marzahn-Hellersdorf auf, mit seinen vielen Plattenbauten der Inbegriff für den Berliner Osten. Auch die anderen Ostbezirke lagen alle unter der Marke von 60. 

Im Westen fielen Steglitz-Zehlendorf und Spandau aus der Reihe. Dort waren Infektionszahlen zwar höher als im Osten, aber auch deutlich niedriger als in den Innenstadtvierteln und anderen Westbezirken. Bereits seit sich das Pandemie-Geschehen Anfang Oktober in Berlin wieder verschärft hat, ringen Politiker und Medien um Erklärungen für die unterschiedliche Entwicklung in der Hauptstadt. Während in sozialen Internetdiensten zuweilen schon mal „mehr Disziplin“ in den Ostbezirken als mögliche Erklärung angeboten wird, gehen einige Mediziner der Frage nach, ob die Impfpflicht in der DDR eine Rolle spielt. 

DDR-Impfung könnte nachwirken

Schon im Frühjahr, bei der ersten Pandemiewelle, hatten Forscher und Mediziner mit Blick auf die vergleichsweise niedrigen Infektionszahlen in den neuen Bundesländern auf die Pflichtimpfungen mit dem Tuberkulose-Impfstoff „Bacille Calmette-Guérin“ in der DDR hingewiesen. Auch international gehen Forscher der Vermutung nach, dass die Impfung eine stärkende Wirkung auf das menschliche Immunsystem haben könnte. In Großbritannien und Kanada laufen derzeit entsprechende Studien.

Türkische Hochzeiten als Problem

Größere Infektionsausbrüche nach Hochzeiten von türkischen und arabischen Großfamilien haben dazu geführt, dass in Berlin nun auch verstärkt diskutiert wird, ob der Immigrantenanteil an der Bevölkerung eine Rolle spielt. Das Robert-Koch-Institut hatte bereits im August darauf hingewiesen, dass ein Schwerpunkt der Corona-Neuinfektionen in Deutschland bei Rückkehrern aus dem Kosovo und der Türkei liegt. Experten vermuteten, insbesondere Familienbesuche von in Deutschland lebenden Personen könnten bei den hohen Kosovo- und Türkei-Zahlen eine Rolle spielen.

Bei einer Hochzeitsfeier am 21. September in einem Tempelhofer Festsaal waren hunderte Gäste zusammengekommen. Nach Angaben der Senatsgesundheitsverwaltung haben sich bei der Feier rund 30 Personen mit dem Coronavirus angesteckt. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) bezeichnete solche großen Hochzeitsfeiern inzwischen sogar als Treiber des Infektionsgeschehens. 

Teilnehmer verweigern Auskunft

Auch der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) verwies im Zusammenhang mit den alarmierenden Infektionszahlen neben Raves in Parks, exzessiven privaten Partys und Urlaubsheimkehrern auch auf Feiern von Großfamilien: „Allein von Mitte September bis Anfang Oktober fanden sieben Großhochzeiten im Bezirk statt“, so der Stadtrat. In der Rückschau gelten insbesondere zwei Feiern von Großfamilien mit bis zu 350 Gästen als sogenannte „Superstreuer“-Ereignisse. 

Nach großen Clan-Hochzeiten mussten die Gesundheitsämter zudem feststellen, wie schwierig sich die Rückverfolgung aller Anwesenden und deren Kontaktpersonen gestaltet. Kalayci kritisiert sogar ganz direkt, dass nach Ausbrüchen bei großen Hochzeitsfeiern manche Menschen Angaben über ihre engen Kontakte verweigerten.

Zurückhaltender in der Bewertung gab sich Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD). Er sagte, er halte nichts von Bashing und Schuldzuweisungen: „Jetzt zu sagen, die jungen Leute sind daran schuld, oder diese türkische Hochzeit war hierfür verantwortlich, bringt uns nicht weiter“, so Hikel. Der Sozialdemokrat räumte aber auch ein, er wisse, dass es kulturelle Besonderheiten gebe, die Neukölln womöglich „anfälliger“ für das Virus machen.