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30.10.20 / Chile / Der erste sozialistische Staatschef, der demokratisch legitimiert war / Vor 50 Jahren begann die Präsidentschaft Salvador Allendes, nachdem im Kongress neben seinem Linksbündnis auch die Christdemokraten für ihn gestimmt hatten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44 vom 30. Oktober 2020

Chile
Der erste sozialistische Staatschef, der demokratisch legitimiert war
Vor 50 Jahren begann die Präsidentschaft Salvador Allendes, nachdem im Kongress neben seinem Linksbündnis auch die Christdemokraten für ihn gestimmt hatten
Wolfgang Kaufmann

Salvador Allende hat niemals einen Hehl aus seinen ausgeprägt sozialistischen Neigungen gemacht. Dennoch wurde der in Medizin promovierte Chilene nicht nur mit Hilfe des Linksbündnisses Unidad Popular (UP), sondern auch des bürgerlichen Partido Demócrata Cristiano de Chile (PDC, Christdemokratische Partei Chiles) zum Staatspräsidenten seines Heimatlandes gewählt. Maßgeblich mitverantwortlich hierfür zeichneten zwei rivalisierende Geheimdienste: der sowjetische KGB und die US-amerikanische CIA.

Während der KGB Allende seit 1953 als „Geheimkontakt“ mit dem Decknamen „Leader“ führte und im Verborgenen protegierte, versuchte die CIA, den Aufstieg des Politikers nach Kräften zu sabotieren. Aus diesem konspirativen Ringen ging der KGB am Ende als Sieger hervor. Dabei hatte er für Allendes Unterstützung nur umgerechnet 518.000 US-Dollar aufgewendet. Aber die CIA hatte den Gegnern Allendes noch weniger Geld zugeschanzt. 

Gerüchte um ein Plebiszit

Abgesehen von diesen Geldzuwendungen unterstützte der US-Auslandsgeheimdienst subversive Kräfte in Chile, die den verfassungstreuen Oberbefehlshaber des Heeres, General René Schneider, zu entführen versuchten, weil sich der deutschstämmige Offizier im Gegensatz zu einigen seiner Kameraden verfassungstreu verhielt und nicht bereit war, eine Präsidentschaft Allendes notfalls mit Gewalt und gesetzeswidrig zu verhindern beziehungsweise zu beenden. Bei dem Entführungsversuch wurde Schneider angeschossen und erlag drei Tage darauf, am 25. Oktober 1970, seinen Verletzungen (siehe PAZ vom 9. dieses Monats). 

Die Empörung über diese Attacke veranlasste die bislang nicht auf der Seite Allendes stehenden Christdemokraten, gemeinsam mit der Unidad Popular für den sozialistischen Politiker zu stimmen, als das Parlament in Santiago de Chile am 24. Oktober 1970 einen neuen Staatschef kürte. Die Entscheidung durch das Parlament war nötig geworden, weil der UP-Kandidat Allende bei der vorausgegangenen Präsidentschaftswahl vom 4. September 1970 mit 36,3 Prozent der Stimmen zwar die relative, aber nicht die absolute Mehrheit erreicht hatte.

Nach seinem Amtsantritt vor 50 Jahren, am 3. November 1970, begann Allende, seine zahlreichen Versprechen an das Volk einzulösen, was in Moskau große Begeisterung und in Washington grimmiges Zähneknirschen auslöste, weil insbesondere US-amerikanischer Besitz davon betroffen war. Als Erstes ordnete Allende nämlich die entschädigungslose Verstaatlichung sämtlicher Bodenschätze, insbesondere der riesigen Kupfervorkommen, sowie die Enteignung ausländischer Großunternehmen und Banken an. Dieser Sozialisierung folgte eine Agrarreform, durch die Einzelbauern und kleine Genossenschaften das Land von Großgrundbesitzern erhielten. Ebenso sorgte Allende für die Festschreibung der Preise für Mieten und Grundnahrungsmittel und initiierte weitreichende Sozialprogramme. 

Finanziert wurden die sozialpolitischen Maßnahmen durch eine Ausweitung der Geldmenge vermittels der Druckerpresse. Die Folge war eine galoppierende Inflation. Hatte Letztere vor Allendes Amtsantritt noch bei jährlich 29 Prozent gelegen, stieg sie bis 1972 auf 160 Prozent und erreichte im Jahr darauf sogar 600 Prozent. 

Opfer eines Militärputsches

Die CIA brauchte keineswegs so intensiv auf den Zusammenbruch der chilenischen Wirtschaft hinzuarbeiten, wie immer wieder behauptet wird. Für das ökonomische Desaster waren in allererster Linie Allende und dessen Gefolgsleute selbst verantwortlich und keine Agenten Washingtons.

Die Landverteilung führte zu einem Einbruch bei der Agrarproduktion. Um die Grundversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, musste deshalb die Rationierung von Lebensmitteln eingeführt werden. Auch die übrige Wirtschaft schwächelte. 

Die Folge waren Massenstreiks und schwere Unruhen. Sie versuchte Allende nicht zuletzt mit Hilfe des Geheimdienstes Servicio de Investigaciones zu unterdrücken, der in erheblichem Maße unter dem Einfluss von kubanischen und sowjetischen Beratern geraten war. 

Im Verlaufe des Jahres 1973 nahmen die Proteste gegen den Präsidenten immer weiter zu. Am 22. August bekundete das Parlament dem Präsidenten sein Misstrauen, was allerdings staatsrechtlich bedeutungslos blieb, da in der Verfassung nicht vorgesehen. Gerüchten zufolge wollte der Staatschef deswegen im September eine Volksabstimmung über seinen Verbleib im Amt ansetzen, doch dem chilenischen Volk blieb die Möglichkeit verwehrt, über das weitere politische Schicksal ihres Staatschefs zu entscheiden.

Nachdem der Großteil der höheren Offiziere lange Zeit loyal geblieben war, hatte sich die Stimmung unter den Militärs inzwischen verändert. Damit rückte ein Putsch mehr denn je in den Bereich des Möglichen. In dieser höchst brisanten Situation entschied der Kreml, dem sozialistisch regierten Chile keine weiteren Kredite und Waffenlieferungen mehr zu gewähren. Der Entschluss der sowjetischen Führung resultierte sowohl aus den politischen Misserfolgen Allendes als auch aus der geopolitischen Einschätzung, die eigenen begrenzten Ressourcen auf die Sicherung der Interessensphären außerhalb des von den USA als eigenen Hinterhof beanspruchten Kontinents zu konzentrieren. 

Am 11. September 1973 war es soweit. Das Militär stürzte den Präsidenten. Den General Augusto Pinochet, der an der Spitze des Putsches stand, hatte Allende selbst erst im Vormonat zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt. Die Putschisten boten dem Präsidenten an, ihn im Gegenzug zu einem Rücktritt außer Landes fliegen zu lassen, doch Allende ging auf das Angebot nicht ein. Er verschanzte sich in seinem Dienstsitz, dem Palacio de La Moneda, und beging dort mit einer Kalaschnikow Selbstmord, als die Armee nach einem vorangegangenen Luftangriff mit der Erstürmung des Gebäudes begonnen hatte. Damit avancierte der Sozialist zum Märtyrer. Die schwerwiegenden Folgen seiner Wirtschaftspolitik und seine streckenweise undemokratische Amtsführung gerieten darüber in den Hintergrund.