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06.11.20 / Kolumne / Eskalation zum Kulturkampf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45 vom 06. November 2020

Kolumne
Eskalation zum Kulturkampf
Florian Stumfall

Die islamischen Terroranschläge in Frankreich haben einen offenen Zwist zwischen dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron und seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan hervorgerufen. Macron hatte sich im Zusammenhang mit Karika­turen des Propheten Mohammed für die Meinungsfreiheit ins Mittel gelegt und dies bei einer sehr prominenten Gelegenheit, nämlich der Trauerfeier für den von einem Moslem enthaupteten Lehrer Samuel Paty. Damit war die Kontroverse eröffnet.

Erdogan rief sofort seine Landsleute zum Boykott französischer Wa­ren auf: „Tut ihnen keine Ehre an, kauft keine Waren von fran­zösi­schen Herstellern.“ Und angesichts der Bluttat drehte er listig den Spieß um und rief die internationale Gemeinschaft auf, die „Muslime in Frankreich zu schützen, die wegen ihres Glaubens verfolgt wer­den“. Spätestens hier war für jedermann erkennbar, dass es in dieser Sache mit vernünftiger Argumentation kein Weiterkommen gibt.

Der Streit zwischen Paris und Ankara scheint mittlerweile zu einem Kulturkampf zwischen Europa und der islamischen Welt zu werden, dessen Protagonisten eben Frankreich und die Türkei sind. Dafür spricht, dass Erdogan seine Frontlinie verbreitert, in Europa und dar­über hinaus. Im Berliner Bezirk Neukölln, der besonders von Zu­wanderern geprägt ist, kam es zu Protesten gegen Frankreich und seinen Präsidenten. In Wien stürmten 30 Mitglieder einer türkischen Jugend-Bande eine Kirche, randalierten dort und schrien: „Allahu ak­bar“. Proteste gab es im Nahen Osten, so in der jemenitischen Hafen­stadt Aden. Tausende gingen in Äthiopien, Afghanistan, Bangladesch, Gaza, Israel und Pakistan auf die Straße, um sich gegen die „Ungläu­bigen“ zu empören.

Demonstrationen solchen Ausmaßes entstehen nicht spontan, sondern werden organisiert. Diesmal hat sich einer derjenigen Männer, die im Hintergrund die Leinen ziehen, auch öffentlich ge­äußert. Laut Mahathir Mohamad, dem ehemaligen Premier von Malaysia, haben die Moslems „das Recht, wegen der Massaker der Vergangenheit wütend zu sein und Millionen von Franzosen zu töten“. Dass sich etwa Erdogan von einer solchen Aussage distanziert, ist nicht zu erwarten.

Dabei waren vor nur einem schlanken Menschenalter die Bezieh­ungen zwischen der Türkei und Europa sehr freundlich. In Brüssel und den nachgeordneten Hauptstädten gibt und gab es auch damals starke Kräfte, die, in Unkenntnis dessen, was Europa als kulturelles Phänomen ausmacht, die Türkei als Bestandteil des Alten Kontinents betrachten. So glichen 1961 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Türkei ihre Zoll­sätze einander an. Zwei Jahre darauf unterzeichneten die Partner ein As­soziierungsabkommen. Und 1987 beantragte Ankara die Aufnahme des Landes in die EU. Und wenn auch die Beitrittsverhandlungen der­zeit ruhen, so fließen doch weiterhin die Milliarden der „Heranführ­ungszahlungen“.

Möglich wurde diese Entwicklung, weil während der 60er Jahre in der Tür­kei noch der Geist des Staatengründers Mustafa Kemal Pascha, ge­nannt Atatürk, herrschte. Er hatte es unternommen, aus dem unter­gegangenen Osmanischen Reich einen modernen Staat westlichen Zuschnitts zu machen. Die Einführung der lateinischen Schrift anstelle der bisherigen arabischen im Jahre 1929 war ein symbol­trächtiges äußeres Zeichen dafür. Die Türken nannten sie „Buch­stabenrevolution“.

Doch der Kemalismus, die Vorstellung einer säkularen, wenn auch weiterhin islamischen Türkei, die sich an westlichen Normen aus­richtet, hat ein Ende gefunden. Die Europäer bewundern in der per­spektivischen Verkürzung der historischen Rückschau an ihm die Kühnheit der Vision, nicht seine Lebenskraft. Tatsächlich ist der Un­ter­gang des Kemalismus nicht erstaunlich. Vielmehr muss verwundern, dass er 60 Jahre lang angehalten hat. In den 950 Jahren der türkischen Geschichte in Anatolien ist er eine Episode. Wer bedenkt, dass die Tür­ken zwar das westlichste, aber auch das größte der vielen Turkvölker sind, die Asien bis ins nordöstliche Sibirien und bis China besiedeln, der wird die Hinwendung Erdogans nach Asien als den Ausdruck einer gewissen Normalität betrachten. Erdogan ist die Regel – Kemal Pascha die Ausnahme, auch wenn es viele beflissene Groß-Europäer befremden mag.

Diese träumen gerne von einem „aufgeklärten Islam“, der nicht nur die Türkei, sondern die gesamte islamische Welt mit Europa versöh­nen könnte. Doch die großen Denker aus den Reichen des Propheten, von Avicenna, Averroes über ibn Chaldun bis zum redlichen Bassam Tibi unserer Tage, die Ansätze eines aufgeklärten Denkens gezeigt haben, fanden Anerkennung nur in der abendländischen Welt, nicht im heimischen Islam.

Zu dessen dogmatischen Grundsätzen gehört die Überzeugung, dass der Islam eine Ordnung darstellt, die alle Lebensbereiche umfasst, mithin auch die Politik und die sogar an erster Stelle. Eine Trennung von religiösen und profanen Belangen wäre also Häresie, wer ihr Vor­schub leistet, machte sich des Glaubensabfalls schuldig. Allein dieser eine Unterschied zu abendländischen Gepflogenheiten macht die Vor­stellung einer kulturellen und politischen Fusion des Abendlandes mit der Türkei schwer vorstellbar. Doch Macron scheint davon nichts zu wissen – er spricht guten Mutes von einem „Islam der Aufklärung“.

Zurück zu den Gräueltaten der vergangenen Wochen. Frankreich hat seine Sicherheitsvorsorge in allen diplomatischen Missionen ver­stärkt. Außenminister Jean-Yves Le Drian spricht von einer Lage, die „auch außer­halb Frankreichs bedrohlich“ sei. Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Bundesaußenminister Heiko Maas kritisieren beherzt gewisse Parolen Erdogans. Der EU-Ratspräsident Charles Michel spricht von „unan­nehmbaren Äußerungen“ der Türkei und dass man im Dezember wieder auf das Thema eingehen werde. Frankreichs Handelsminister Franck Riester fordert im Sinne der „europäischen Werte“ ein „Machtgleichgewicht mit der Türkei“. Und geschehen wird natürlich wieder einmal nichts.

Die Länder der EU sind nicht einmal imstande, die illegale Zuwan­derung von Leuten, die dann hier Terror verbreiten, zu unterbinden und diejenigen, die hier bereits aktenkundig und teils vorbestraft sind, abzuschieben. Goldene Zeiten für radikale Moslems.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.