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13.11.20 / Ukraine / Kiews alte Elite schlägt zurück / Verfassungsgericht kippt wichtiges Antikorruptionsgesetz – Machtprobe für Selenskij

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46 vom 13. November 2020

Ukraine
Kiews alte Elite schlägt zurück
Verfassungsgericht kippt wichtiges Antikorruptionsgesetz – Machtprobe für Selenskij
Manuela Rosenthal-Kappi

Als „unzulässigen Eingriff in die Privatsphäre“ bezeichnete das ukrainische Verfassungsgericht ein Gesetz, das Beamte und Politiker dazu verpflichtet, ihre kompletten Besitztümer im In- und Ausland in einem elektronischen, jedermann zugänglichen Register offenzulegen. Es hat vielen Bürgern die Augen geöffnet, welchen Reichtum viele Amtsträger auf Kosten der Allgemeinheit angehäuft haben. Bei Verdacht auf illegale Bereicherung hatte die Antikorruptionsbehörde bislang das Recht, Geldflüsse ins Ausland zu verfolgen. 

Für Transparenz und die Offenlegung der Machenschaften der als korrupt geltenden Elite zu sorgen, war eine der Grundbedingungen der EU für das 2014 getroffene Assoziierungsabkommen, das der Ukraine neben finanzieller Unterstützung durch die EU und den Internationalen Währungsfonds (IWF) auch seit 2017 Visafreiheit für ukrainische Bürger mit der EU sowie eine Freihandelszone einbrachte. 

Nun  hat das Verfassungsgericht in einem Eilverfahren einer Klage von 

47 Parlamentsabgeordneten der prorussischen Oppositionsplattform recht gegeben und das entsprechende Antikorruptionsgesetz gekippt. Der vorsitzende Verfassungsrichter Alexander Tupizkij steht selbst unter Korruptionsverdacht. Präsident Wladimir Selenskij reagierte empört. Er bediente sich einer ungewohnt scharfen, an die Sowjetära erinnernden Rhetorik, indem er von einem „Angriff auf das Land“, von „Konterrevolution“ und der Zerstörung der „Errungenschaften der Revolution der Würde von 2014“ sprach. Die Richter bezeichnete er als „Agenten der Konterrevolution“. Umgehend drohte er, alle Verfassungsrichter entlassen, deren Skandalentscheidung annullieren und neue Richter nach einem Auswahlverfahren ernennen zu wollen.

Staatschef riskiert seinen Posten

Selenskijs Dilemma: Eine Auflösung des Verfassungsgerichts sieht die ukrainische Verfassung nicht vor. Er würde sich also selbst des Verfassungsbruchs schuldig machen. Für diesen Fall drohte Tupizkij dem Präsidenten 150 Jahre Gefängnis an. Da auch Abgeordnete der Regierungspartei „Diener des Volkes“ ihm in dieser Frage die Gefolgschaft verweigern, hat Selenskij keine Mehrheit, um seine Entscheidung durchzubringen. Die Kiewer Elite ist – wie die Richter des Verfassungsgerichts – mit alten Kadern des Clans um Ex-Präsident Viktor Janukowitsch besetzt, die der Westausrichtung der Ukraine kritisch gegenüberstehen.

 Selenskij steht vor einer ersten ernsthaften Machtprobe seit seinem kometenhaften Wahlerfolg vor anderthalb Jahren.   Sollte er, wie angedroht, das Parlament auflösen, stünde seine eigene politische Zukunft auf dem Spiel, zumal er ohnehin ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, weil er seine Wahlversprechen – eben Bekämpfung der Korruption und Beendigung des Kriegs in der Ostukraine – bislang nicht oder nur unzureichend umsetzen konnte. Zudem hat Selenskij sich nie ganz von dem Verdacht befreien können, selbst von den Oligarchen Igor Kolomojskij und Rinat Achmetow protegiert zu werden.