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13.11.20 / Kommentar / Ein deutscher Gedenktag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46 vom 13. November 2020

Kommentar
Ein deutscher Gedenktag
Erik Lommatzsch

Am kommenden Sonntag ist Volkstrauertag. Aufgrund der allerorts lastenden „Corona-Maßnahmen“ wird es hinsichtlich dieses „stillen Tages“ noch ruhiger als in den vergangenen Jahren. Allerdings wäre es übertrieben zu behaupten, dass der Gedenktag, der seit 1952 immer zwei Wochen vor dem ersten Advent begangen wird, in letzter Zeit im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gestanden hätte.

Der Volkstrauertag verdankt sich der Initiative des 1919 gegründeten Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK). Zunächst galt das Gedenken den toten Soldaten des Ersten Weltkrieges. In der NS-Zeit erfolgte die Umformung zum „Heldengedenktag“. Mit der Wiedereinführung des Volkstrauertages nach dem Zweiten Weltkrieg wurden neben den Gefallenen die zivilen Opfer Bestandteil dieser offiziellen Erinnerung. Termine wie Kranzniederlegungen des Volksbundes auf verschiedenen Friedhöfen oder die zentrale Gedenkstunde im Bundestag mit Festansprache und Verlesung des Totengedenkens, in der Regel durch das Staatsoberhaupt, sind jedes Jahr angesetzt. Und dennoch verblasst der Tag, der in der Bundesrepublik lange einen hohen Stellenwert hatte, im deutschen Bewusstsein immer mehr.

Die augenfälligen Ausdrücke sind vielfältig. Dies reicht vom Rückgang der Sichtbarkeit der Straßensammler, vor allem derjenigen in Bundeswehruniform, die im Umfeld des Gedenktages um Spenden für den Volksbund bitten, bis hin zur Tatsache, dass die Gedenkveranstaltung bei Bundestagsabgeordneten aufgrund anders gesetzter Prioritäten oft ausgelassen wird. 

Verblassende Erinnerung

Reflektiert man die Ursachen, so stößt man auf zwei Komplexe, die diese Entwicklung bedingen. Zunächst wäre da die – zu begrüßende – Tatsache, dass in Deutschland seit 75 Jahren ununterbrochen Frieden herrscht. Die Vorstellung eines Krieges als unmittelbare Erfahrung liegt für die Meisten außerhalb des Vorstellbaren. Das von der Bundeswehr vermittelte Bild ist entweder von negativen politischen Unterstellungen belastet oder vom eigentlichen Zweck weit entfernt. Gezeigt wird eine gendergerechte, humanitäre Hilfsorganisation. Die kämpfende Truppe, die sich etwa im Auslandseinsatz bewährt, spielt eine nachgeordnete Rolle. Seit 2011 ist die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt. Dadurch hat die Öffentlichkeit noch weniger Berührungspunkte mit der Bundeswehr als zuvor. 

All dies hat Folgen. Die Bezüge fehlen. Das jüngste Kind eines Gefallenen des Zweiten Weltkrieges kann kaum jünger als 75 Jahre sein, die wenigsten heute lebenden Kinder gefallener Kriegsteilnehmer konnten ihre Väter richtig kennenlernen. Der Soldat als Kämpfer ist eine Figur aus einer als abgeschlossen betrachteten historischen Epoche. Die Bundeswehr erscheint als anachronistischer Verband, der sich für sein Bestehen rechtfertigen und entsprechend gesellschaftlich akzeptierte Aufgaben suchen muss. In diesem Klima vermögen immer kleinere Teile der Bevölkerung, insbesondere die jüngeren Generationen, etwas mit dem Volkstrauertag und dessen ursprünglichen Anliegen anzufangen.

Verwässerung des Gedenkens

Damit wäre der zweite Komplex für den Bedeutungsrückgang in den Blick zu nehmen. Im Bestreben einer zeitgeistigen Anpassung haben eben jene ursprünglichen Anliegen eine Verwässerung erfahren und zudem einen moralisierenden Rückschritt, der sich vom Leitgedanken des Volksbundes – „Versöhnung über den Gräbern“ – mehr und mehr entfernt. 

Der Wortlaut des offiziellen Totengedenkens wird laufend fortentwickelt. Aufgenommen wurden inzwischen immer weitere „Opfergruppen“, die gefallenen Bundeswehrsoldaten sind dabei nur eine Kategorie. In der diesjährigen „Handreichung“ des Volksbundes, die Anregungen zur Gestaltung von Gedenkstunden und Gottesdiensten zum Volkstrauertag enthält, meint etwa der Berliner Generalvikar Manfred Kollig, man erinnere an „Opfer und Täter“. Die Schriftstellerin Regina Scheer widerspricht der These, der Tod mache alle Menschen gleich. 

Genau diese Art von Diskussion, die überall sonst ihren berechtigten Platz haben mag, gehört gerade nicht zum Anliegen des Volkstrauertages. Das ist der Moment, in dem die Toten nicht klassifiziert werden. Dass es die Bischöfe Heinrich Bedford-Strohm und Georg Bätzing schaffen, in ihrem Grußwort die „Schutzsuchenden, die über das Mittelmeer fliehen“ einzuflechten, zeigt, wie weit sich auch der Volksbund von den Wurzeln des Gedenktages entfernt hat.