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13.11.20 / Neuanfang unter Obstbäumen / Von Ostpreußen ins Alte Land bei Hamburg – Dörte Hansens Bestseller über ein Flüchtlingsschicksal kommt ins Fernsehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46 vom 13. November 2020

Neuanfang unter Obstbäumen
Von Ostpreußen ins Alte Land bei Hamburg – Dörte Hansens Bestseller über ein Flüchtlingsschicksal kommt ins Fernsehen
Anne Martin

Die Autorin persönlich ist aus dem Off zu hören. Sie verliest die Inschrift auf dem Dachbalken des alten Hauses, das in diesem Film eine Hauptrolle spielt: „Dies Haus ist mein Haus und doch nicht meins. Wer nach mir kommt, nennt es auch noch seins.“ Ein reetgedeckter Bauernhof im Alten Land als Synonym für verlorene und wiedergefundene Heimat – davon handelt Dörte Hansens Bestseller „Altes Land“, dessen Verfilmung mit Iris Berben, Milan Peschel und Peter Kurth in den Hauptrollen an zwei Abenden im ZDF gezeigt wird (15. und 16. November um 20.15 Uhr).  

Unter dem Reetdach kreuzen sich die Lebenswege dreier Generationen: Hierher flüchtet sich die junge ostpreußische Witwe Hildegard von Kamcke mit ihrer kleinen Tochter Vera. Hier wird Vera aufwachsen und ausharren, um sich bis zu dessen Tod um ihren kranken Stiefvater zu kümmern. Ihre Mutter lebt da längst mit neuem Mann und neuer Tochter ein besseres Leben in der Stadt. 

Unter dem mit den Jahren stockfleckig gewordenen Reetdach wird wiederum eine Generation später ihre Nichte Anne – Tochter der Halbschwester Mar­lene – mit ihrem Sohn Zuflucht suchen. Erst dem Jungen wird es gelingen, den Panzer der unter einem vererbten Kriegstrauma leidenden Bewohnerin zu durchdringen. 

Der 2015 erschienene Romanbestseller „Altes Land“ handelt von der Sehnsucht auch ostpreußischer Flüchtlinge nach Heimat, nach einem Ort, der Sicherheit schenkt. „Heimat scheint wie eine zweite Haut zu sein, ein dickes Fell, das einen schützt und wärmt. Wer ohne diese Schutzschicht leben muss, kühlt aus und wird verwundbar“, schreibt die Autorin in einem Vorwort.

Heimat wird gesucht und verteidigt: Feindselig steht die Bäuerin Ida Eckhoff in der Einfahrt ihres Hofes, als gegen Kriegsende die verhassten „Polacken“ einquartiert werden. „Von mir gibt’s nix!“ Ihr gegenüber die Flüchtlingsfrau Hildegard von Kamcke, die eine kurze Alibi-Ehe mit Idas spät heimkehrendem, schwer traumatisierten Sohn Karl Eckhoff eingehen wird. „Hoch den Kopf, und wenn der Hals auch dreckig ist“, so ihr Motto. 

Seelische Panzer

Hildegard will ein besseres Leben. Erst wird sie den Hof erobern, später einen neuen Mann in der Stadt. Ihre Tochter lässt sie zurück, so wie sie während der Flucht schon ihre Söhne zurücklassen musste. Weiterziehen, nach vorne gucken sind ihr in die DNA geschrieben. Hart wirken sie, die Vertriebenen wie die Alteingesessenen. Schroff und unversöhnlich.

Vera, der von der Mutter aufgegebene Backfisch, lässt auch als Erwachsene nichts und niemanden mehr an sich heran – nicht einmal den verwitweten Nachbarn Henni Lührs, der ihr Suppen vor die Tür stellt und dessen sauber geharkte Wege sie beim täglichen Ausritt mit ihrem Trakehner wie zum Hohn zertrampelt. 

Erst der kleine Sohn der Nichte Anne wird ihre verkrustete Schale durchdringen. Ein argloses Kind mit einem Bilderbuch in der Hand, ein Kind, das nichts weiß von Verletzungen und Kälte. Widerwillig liest die alt gewordene Frau ihm vor, fast geistesabwesend taucht sie dabei in ihre eigenen Erinnerungen ein, spricht von den Welpen, die sie zu Beginn der Flucht in die Taschen steckte, und die ihr die Mutter wieder entriss. 

Eine Schlüsselszene: Diese versteinerte Frau war auch mal ein Kind, das sein Liebstes verlor, das mit ansehen musste, wie der erfrorene Bruder im Kinderwagen zurückgelassen wurde, das auf einem Hof unterkam, in dem es unerwünscht war, und das schließlich von der eigenen Mutter verraten wurde – als Schutz bleibt nur ein altes Haus. Da sitzt Vera Eckhoff nun in ihrer Küche und erlaubt sich zum ersten Mal, die eigenen Wunden anzusehen.

Das Kind auf ihrem Schoß dreht sich um, hebt den Arm und streichelt ihre Wange: „Armes Kleines.“ Und Vera, zurückgenommen gespielt von Iris Berben, blickt fast erstaunt, weil Mitgefühl das letzte ist, was sie in ihrem Leben noch erwartet hat.  

Dörte Hansen hat in ihrer lakonischen Sprache große Themen aufgeworfen: die Suche nach Wurzeln, die unglaubliche Härte, mit der viele Kriegskinder ihre seelischen Wunden mit einem Panzer umgaben. Eine Abwehr und Unversöhnlichkeit, die sie oft an ihre eigenen Kinder weitergaben und diese unbewusst wiederum an ihre Nachkommen. 

Ein Geschenk an die Zuschauer

Aber es gibt auch Heilung. Es ist möglich, Brücken zu schlagen. Und es entsteht eine hoffnungsvolle Fortschreibung der Geschichte, hier in Gestalt der beherzten Nichte Anne, die Handwerker auf den Hof holt und anfängt, das brüchige Mauerwerk, die morschen Fensterrahmen und das marode Dach bis hinauf zum Dachbalken auszubessern. 

Die vielen Zeitebenen, welche die Regisseurin Sherry Hormann kunstvoll miteinander verblendet, zwingen zum genauen Hinsehen. Aber wer sich die Zeit nimmt, einer Geschichte zu folgen, die sich langsam entfaltet und niemals effektheischend daherkommt, erlebt eine Sternstunde. Schade nur, dass der feine Humor kaum anklingen darf, mit dem die Autorin etwa Hamburger Helikoptermütter beschreibt oder auch jene aufs Land abgewanderten Städter in Designer-Gummistiefeln. Immerhin beleuchten die Nebenstränge eine Variante der modernen, ökobewegten Heimatliebe. 

„Das Thema Heimatlosigkeit ist an den Küchentischen angekommen,“ endet Dörte Hansen in ihrem Vorwort. „Dass mein Roman ein bisschen dazu beigetragen hat, ist ein Geschenk für mich.“ Dieser feinfühlig inszenierte Zweiteiler wiederum ist ein Geschenk an die Zuschauer, vor allem an jene, denen die Erinnerung an eine verlorene Heimat immer noch im Herzen steckt.