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13.11.20 / Flughafen Berlin-Tegel / Zielpunkt der „Rosinenbomber“ / Mit der Schließung endet zum zweiten Mal in Nachkriegsberlin die Geschichte eines großen Verkehrsflughafens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46 vom 13. November 2020

Flughafen Berlin-Tegel
Zielpunkt der „Rosinenbomber“
Mit der Schließung endet zum zweiten Mal in Nachkriegsberlin die Geschichte eines großen Verkehrsflughafens
Dirk Klose

Die Bewohner der nördlichen Stadtbezirke Berlins atmen auf. Vorletzten Sonnabend wurde der neue Großflughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“ weit draußen am südöstlichsten Ende der Stadt eingeweiht. Das bedeutet, dass alle Flüge zum bisherigen Flughafen Berlin-Tegel künftig wegfallen. Jahrzehntelang litt der Norden der Stadt unter manchmal unerträglichem Fluglärm, besonders, wenn abends die Maschinen im Landeanflug auf Tegel kaum 100 Meter über den Dächern hereindonnerten, musste jede Unterhaltung, ob drinnen oder draußen, unterbrochen werden.

BER löst Tegel ab

Mit der Schließung des Flughafens Berlin-Tegel „Otto Lilienthal“ endet zum zweiten Mal in Nachkriegsberlin die Geschichte eines großen Verkehrsflughafens. Der berühmtere, 1923 in Betrieb genommene Flughafen Berlin-Tempelhof war 2008 geschlossen worden, weil er einfach zu klein geworden und seine zentrale Lage inmitten dichtbesiedelter Stadtteile wegen des Fluglärms nicht mehr zumutbar war. Beide Argumente, zu geringe Kapazitäten und Fluglärm, bedeuten nun auch für Tegel das Aus.

Ursprünglich verbindet sich mit dem Ort ein beinahe literarisch-romantischer Klang. Berühmt wurde Tegel als Wohnsitz der Brüder Alexander und Wilhelm von Humboldt, deren „Humboldt-Schlösschen“ noch immer einen ganz eigenen Reiz verströmt. Und bis in den „Faust“ hat es der Ortsname geschafft, wenn Wolfgang von Goethe einige Kleingeister seiner Zeit mit den Worten verspottet: „Wir sind so klug, und dennoch spukt’s in Tegel.“ Aber das 19. Jahrhundert wurde dann rasch nüchterner. Der Tegeler Forst und die Jungfernheide waren lange ein beliebtes Ausflugsziel. Um 1900 wurde auf dem großen Gelände so etwas wie ein Vorläufer der Luftwaffe, das „Erste Preußische Luftschiffer-Bataillon“, aufgestellt, das auch im Weltkrieg zum Einsatz kam. Der Versailler Frieden verbot Deutschland dann jede militärtechnische Luftfahrtforschung. 

Zu geringe Kapazitäten und Fluglärm

Im Jahr 1930 begannen auf dem „Raketenschießplatz Tegel“ erste Versuche mit raketengetriebenen Geschossen. Was kaum bekannt ist: Letztlich ist Tegel, nicht Peenemünde, die Wiege der deutschen Raketentechnik. Bekannte Peenemünder Namen wie Wernher von Braun, Hermann Oberth oder Rudolf Nebel findet man hier bereits 1930. An alle drei hat eine Gedenktafel auf dem späteren Flughafen erinnert.

Tegels bedeutende Stunde kam nach 1945, genauer: während der Berliner Blockade. Da sich rasch zeigte, dass Tempelhof für die ständig anfliegenden „Rosinenbomber“ zu klein war, baute man in rasender Eile und zum Ärger der Sowjets und der SED in Tegel binnen drei Monaten die mit fast 2500 Metern damals längste Landebahn in Europa, womit die Versorgung der Bevölkerung annähernd gesichert werden konnte. 

Wiege deutscher Raketentechnik

Wegen des Viermächtestatus für Berlin durften Tegel und Tempelhof nur von den Westalliierten angeflogen werden. Am 2. Januar 1960 begann mit einer Air-France-Maschine in Tegel die zivile Luftfahrt, die sich binnen weniger Jahre rasant steigerte. Ein Ausbau wurde unumgänglich. Den 1968 ausgeschriebenen Wettbewerb gewann sensationell das völlig unbekannte Planungsbüro „Gerkan & Marg“ aus Hamburg. Meinhard von Gerkan, heute Deutschlands wohl berühmtester Architekt und Bauherr in aller Welt, resümierte später: „Wir hatten noch nicht einmal eine Garage für einen VW Käfer gebaut.“

Gerkans Architektur wurde stilbildend für zahlreiche Flughäfen weltweit. Bei ihm dominiert das Prinzip der kurzen Wege: vom Taxi oder Bus bis zum Flugzeug nicht mehr als 50 Meter. Gerkan erreichte das in Tegel mit dem berühmt gewordenen Sechseck. An fünf Seiten können 14 Maschinen gleichzeitig andocken, was bis dahin unrealisierbar schien. 430 Millionen D-Mark kostete der Bau. Am 23. Oktober 1974 war Einweihung.

Europas einst längste Landebahn

Und wie so oft in Berlin dann alles wieder nur halb: Sinnvolle Pläne für ein zweites Terminal wurden zurückgestellt. Erst als Tegel nach der Schließung Tempelhofs (2008) an Passagierzahlen förmlich zu ersticken drohte, handelte man mehr schlecht als recht. In der Folgezeit wurden mit den Terminals B bis E provisorische Abflugmöglichkeiten geschaffen, die bei Vergleichen stets die schlechtesten Plätze einnahmen. Die vernünftige Idee, eine ohnehin relativ nahe U-Bahnlinie an den Flughafen heranzuführen, kam über eine fast fertige Trasse nicht hinaus. Bis heute fehlen knapp zwei Kilometer, und daraus wird jetzt auch nichts mehr, da Tegel dicht macht. 

Von Tegel hatten zuletzt etwa 65 Gesellschaften Ziele in 45 Ländern angeflogen, allen voran „Billiganbieter“ wie Easyjet oder die 2017 in Konkurs gegangene Airberlin. Als feststand, dass Tegel nach Eröffnung des BER geschlossen wird, gab es heftige Kontroversen, ob der Flughafen doch offen bleiben soll. Es kam zu einem emotionalen Volksentscheid, aber der Senat, unterstützt von den zwei anderen Gesellschaftern, Bund und Land Brandenburg, blieb hart: „Ist der BER offen, macht Tegel zu.“ 

Ausbau durch Gerkan & Marg

Und so weit ist es jetzt. Mit achteinhalb Jahren Verspätung und einer Kostensteigerung um das Dreifache ist der BER seit dem 31. Oktober Berlins neuer und einziger Flughafen. Für Tegel bedeutet das jedoch nicht das Ende. Nicht nur, dass Gerkans geniale Anlage längst unter Denkmalschutz steht – es gibt auch detaillierte Pläne für die Zukunft. In das Terminal A wird die Beuth-Hochschule für Technik mit mehreren tausend Studenten einziehen. Die anderen Terminals werden zum Innovationszentrum und Forschungspark Urban Tech Republic. Der riesige Lufthansa-Hangar etwas abseits vom Rollfeld wird zu einem modernen Übungs- und Fortbildungszentrum der Berliner Feuerwehr umgebaut. Dazu sollen Wohnungen und Freizeitstätten entstehen. Alles, so versichern die Planer, sei startklar. 

Am 8. November hob das letzte Flugzeug, wieder eine Air-France-Maschine, gegen 20 Uhr in Richtung Paris ab. Ein halbes Jahr soll der Airport dann noch offenbleiben, falls es im BER doch noch zu größeren Pannen kommt. Am nördlichen Himmel Berlins wird es künftig ruhig. Ganz anders im Südosten und im benachbarten Brandenburg, dort halten die Einwohner bereits verbitterte Mahnwachen.