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13.11.20 / Pandemie-folgen / Regierungen missbrauchen Corona für mehr Zensur und Kontrolle / Forscher und Bürgerrechtler schlagen weltweit Alarm: Was im Schatten der Virusbekämpfung eingeführt wird, könnte unsere Freiheit auf Dauer untergraben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46 vom 13. November 2020

Pandemie-folgen
Regierungen missbrauchen Corona für mehr Zensur und Kontrolle
Forscher und Bürgerrechtler schlagen weltweit Alarm: Was im Schatten der Virusbekämpfung eingeführt wird, könnte unsere Freiheit auf Dauer untergraben
Wolfgang Kaufmann

Gute Historiker sind mehr als nur Geschichts- und Geschichtenerzähler. Sie verfügen auch über die Fähigkeit, aus ihrer Kenntnis der Vergangenheit gegenwärtige Entwicklungen und Prozesse zu analysieren sowie fundierte Prognosen für die Zukunft abzugeben. Zu diesen Könnern der Zunft gehört der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari, dessen Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ seit 2011 in fast 50 Sprachen übersetzt wurde.

Der Bestsellerautor warnt neuerdings eindringlich vor der Überwachungstechnik, welche der Eindämmung der Corona-Pandemie dienen soll. Sobald sich die Menschen an diese Maßnahmen gewöhnt hätten, bestehe für die Regierungen kein Grund mehr, sie nicht auch anderweitig einzusetzen. Und das könnte zum Kollaps unserer bisherigen Weltordnung und zur Errichtung einer digitalen Diktatur schlimmer als Stalinismus und Nationalsozialismus führen. 

Dann würden sich die Menschen in 50 Jahren nicht mehr an die Pandemie erinnern, sondern sagen: 2020 sei das Jahr gewesen, in dem die allgegenwärtige Kontrolle durch den Staat begann. Ganz ähnlich sehen dies auch Technik-, Rechts- und Datenschutzexperten wie Rolf Schwartmann, der Leiter der Forschungsstelle für Medienrecht an der Universität Köln sowie Vorsitzende der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit.

Und tatsächlich sind die Befürchtungen von Harari, Schwartmann und Co. keineswegs übertrieben. Das zeigen zwei aktuelle Berichte der US-amerikanischen Bürgerrechtsorganisation Freedom House, die beide von Adrian Shahbaz und Allie Funk verfasst und im Oktober unter dem gemeinsamen Titel „Die globale Internetfreiheit schrumpft im Schatten der Pandemie“ publiziert wurden. Der eine ist mit „Der digitale Schatten der Pandemie“ überschrieben und der andere mit „Falsches Allheilmittel: Missbräuchliche Überwachung im Namen der öffentlichen Gesundheit“. 

Gesetze gegen „Falschinformation“

Darin werden drei Themen angesprochen: Die Internetzensur oder gar -unterdrückung durch den Staat, die Meinungsmanipulation durch die von Privatfirmen betriebenen sozialen Netzwerke sowie die Zweckentfremdung von Corona-Warn-Apps durch diverse Regierungen zu anderen Zwecken, welche damit zu „Trittbrettfahrern der Pandemie“ mutierten. Hinsichtlich des Internets vermelden Shahbaz und Funk, die sich auf Recherchen von mehr als 70 Freedom-House-Mitarbeitern in aller Welt stützen, dass es im Zuge der Anti-Corona-Maßnahmen zu mannigfachen Einschränkungen des Zugangs zum Internet sowie zu deutlich mehr Kontrolle und Repression in Netz gekommen sei. So hätten die Behörden in fast jedem zweiten Land der Welt Internetseiten blockiert und in Staaten wie Indien, Russland, Ecuador, Myanmar und dem Iran das Internet zeitweise sogar zur Gänze oder in bestimmten Regionen abgeschaltet. Gleichzeitig traten vielfach neue Gesetze in Kraft, welche zum Teil drakonische Strafen für die Verbreitung von „Falschinformationen“ über die Pandemie und deren Ursachen beziehungsweise Bekämpfung vorsehen. 

Beispielsweise könnten Nutzer in Simbabwe dafür nun für 20 Jahre ins Gefängnis wandern. Darüber hinaus gehe der Trend hin zu einem national abgeschotteten Internet. Von den Regierungen in Brasilien, Nigeria und der Türkei seien Vorschriften erlassen worden, nach denen Nutzerdaten nicht mehr ins Ausland übermittelt werden dürften, was faktisch auf die Errichtung digitaler Grenzzäune hinauslaufe.

Die schlechtesten Noten hinsichtlich der Internetfreiheit in der Corona-Krise stellen Shahbaz und Funk China aus: Mit Beginn der Pandemie sei die ohnehin schon sehr verbreitete digitale Zensur und Blockade im Reich der Mitte nochmals deutlich verschärft worden. Auf der anderen Seite stehe Island weiterhin an der Spitze der Staaten mit einer vorbildlich liberalen Internetpolitik.

Hinsichtlich der sozialen Netzwerke wie Facebook konstatieren die Freedom-House-Berichte, dass deren Betreiber eine Art „Paralleljustiz“ – euphemistisch „Gemeinschaftsstandards“ genannt – etabliert hätten und ebenfalls Meinungen zensierten oder unterdrückten, die ihnen aus irgendeinem Grunde suspekt erschienen. Das verleihe den Privatfirmen ähnliche große Macht wie staatlichen Akteuren, was zutiefst bedenklich und demokratiefeindlich sei. Selbiges gelte analog auch für private Datendienste wie Google, welche den Zugang zu Informationen im Internet über ihre Algorithmen zu kontrollieren und zu beeinflussen vermögen. 

Ein Fressen für die Geheimdienste

Dann wäre da noch die Mobiltelefon-Überwachung. Wie die Forscher herausgefunden haben, könnten die Warn-Apps theoretisch in mindestens 54 Staaten als Repressions- oder Bespitzelungsinstrument missbraucht werden. Und aus 30 davon kommen Meldungen, dass dies auch tatsächlich geschieht. Dabei arbeiten die staatlichen Institutionen Hand in Hand mit den privaten Mobilfunkbetreibern. 

Ein Beispiel hierfür ist Indien, wo die viele Millionen Mal und oft unter Zwang heruntergeladenen Apps „Aarogya Setu“, „Quarantine Watch“ und „Jio“ beflissen Standort- und Gesundheitsinformationen sammeln und an Regierungsserver weiterleiten. In Russland verknüpfen die Apps Kontaktverfolgungsdaten mit Anruflisten, was ein gefundenes Fressen für die Geheimdienste ist. Eine beträchtliche Verletzung der Privatsphäre stellt zudem die russische Praxis dar, in Quarantäne Befindliche zu regelmäßigen Selfies in ihren Wohnungen zu nötigen. Und in Südkorea greifen die Behörden unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung gleich noch die Kreditkartendaten der Bürger ab – und zwar ohne richterliche Anordnung.

Patentrezepte gegen die aktuelle Überwachungs- und Datensammelwut seitens des zur Hygiene-Diktatur tendierenden Staates können weder Freedom House noch andere Mahner bieten. Vielmehr bleibt ihnen nur der Aufruf an jeden einzelnen Internet- und Mobiltelefon-Nutzer, seine persönlichen Daten und seine Privatsphäre so gut als möglich und bei restlos jeder sich bietenden Gelegenheit zu schützen. Auch wenn dies manchmal mit einem Verzicht auf manche scheinbare oder tatsächliche „Annehmlichkeit“ einhergehe.