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20.11.20 / Kolumne / Wenn zwei das Gleiche tun

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47 vom 20. November 2020

Kolumne
Wenn zwei das Gleiche tun
Florian Stumfall

Im äußersten Nordosten Griechenlands bildet über fast 160 Kilometer der Fluss Mariza, den die Griechen „Evros“ nennen, die Grenze zur Türkei. Er führt nicht sehr viel Wasser, sodass er für zahllose illegale Zuwanderer nach Europa ein bewältigbares Hindernis darstellt. Wer auf der Ostroute nicht über die Ägäis in der EU anlandet, der nimmt den Weg über den Evros. Daher hat Griechenland damit begonnen, den Grenzzaun, der den Fluss schon teilweise säumt, nun auszubauen, „damit die griechischen Bürger sich sicher fühlen“, wie Regierungschef Kyriakos Mitsotakis betont. Und auch die EU ist voll des Lobes. Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen bedankte sich bei den Griechen dafür, der „europäische Schild“ zu sein.

Szenenwechsel. Als im Jahre 2015 Bundeskanzlerin Angela Merkel die Asylkrise verursachte, war es allein der ungarische Minis­terpräsident Viktor Orbán, der den regellosen Zustrom wenigstens weit­gehend dadurch eindämmte, dass er einen Zaun errichten ließ, der die Balkan-Route so gut wie undurchlässig machte. Die Reaktion in Brüssel und den EU-Hauptstädten? Herbe Kritik, kein Wort vom „eu­ro­päischen Schild“, sondern Vorwürfe aller Art, die bis heute anhalten und in der Behauptung kulminieren, Orbán verstoße mit seiner Politik nicht nur der Grenzschließung, sondern ganz allgemein, gegen Men­schen­rechte und EU-Normen. Im antiken Rom sagte man: „Wenn zwei das Gleiche tun, ist es nicht dasselbe!“ Auf Latein, selbst­verständlich.

Der EU-Zorn wegen angeblicher Verstöße gegen Grundrechte und Vor­gaben der EU trifft indes nicht nur Orbán, sondern mehrere Staa­ten im Osten der EU, an zweiter Stelle die Polen. Da das Mit­einander innerhalb der EU nicht durch Dialog und Verständigung, sondern eher von Befehl und Gehorsam geprägt ist, kam man dieser Tage in Brüssel überein, dass einem Mitglied, das gegen die Rechtstaatlichkeit verstoße, EU-Gelder entzogen werden sollen.

Lob für Griechenland

Das allerdings fordert zu einem Vergleich heraus, denn es ist billig zu fordern, dass der Ankläger in derselben Sache gegenüber dem Be­klagten tadellos und ohne Schuld sei. Nehmen wir also, nachdem sich Berlin bei Vorwürfen der genannten Art an Verbündete hervortut, die Lage in Deutschland.

Da aber erscheint das Verhältnis der Kanzlerin Merkel und im Gefol­ge ihrer Regierungen zum Recht doch sehr zweifelhaft. Allein mit der beliebigen Grenzöffnung verstieß sie gegen verschiedene Gesetze, so das Passgesetz, aber auch gegen das Grundgesetz. Der frühere Ver­fassungsrichter Udo di Fabio stellte in einem Rechtsgutachten für die bayerische Staatsregierung fest: „Der Bund ist aus verfassungsrecht­lichen Gründen … verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundes­grenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist.“ Diese Feststellung sollte umso schwerer wiegen, wenn eine Störung von Regierungsseite her verursacht worden ist, wofür nicht einmal der wissenschaftliche Dienst des Bundestages eine Rechtfertigung sieht.

Doch Einwände solcher Art verhallen in Berlin ungehört. Dafür lässt sich die Liste der Beispiele für den saloppen Umgang der Kanzlerin mit dem Recht weiter fortsetzen: Mit ihrem selbstherrlichen „Aus“ für die Kernenergie verstieß sie gegen bestehende Gesetze und Verträge. Den Artikel 6 des Grundgesetzes, der den „besonderen Schutz für Ehe und Familie“ garantiert hatte, setzte sie faktisch außer Kraft, als sie in einem Nebensatz ihr Einverständnis zur „Ehe für alle“ kundtat. Bei mehreren Griechenland- und Euro-Rettungen missachtete sie das Haushaltsrecht des Parlaments und stellte dieses vor vollendete Tatsachen. Mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, für das der heutige Außenminister Heiko Maas seinen Namen hergeben durfte, schuf sie die Voraussetzungen für eine umfassende Zensur, und die Verschuldung hat längst eine verfassungswidrige Höhe erreicht. Mit der „nuklearen Teilhabe“ der NATO hat Deutsch­land den Griff zu Kernwaffen getan. Zudem leistet die Bundeswehr bei verschiedenen Angriffskriegen Hilfestellung, wenn sie nicht sogar beteiligt ist, wie in Afghanistan. 

Ein neues Notstandsgesetz

Von ausnehmend gefährlicher Art aber ist das geplante „Infektions­schutzgesetz“, das unter dem harmlosen Titel alle Voraussetzungen für einen massiven Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten möglich macht. Zwar unterscheidet es sich von anderen, meist per Dekret verfassten Regelungen der Merkel-Regierung dadurch, dass dieses Mal der Bundestag mit beteiligt werden soll, aber gerade dieser Anflug von Rechtstaat­lichkeit hat einen üblen Haken. Es bedeutet den Notstand auf Dauer. Ein Gesetz hat Bestand, und bei der angemessen vagen Formulierung seiner Voraussetzungen kann man darauf zurück­greifen, wann man will – in jeder Grippe-Saison, sozusagen.

Die Übertragungen hoheitlicher Rechte auf die EU stößt irgendwann an die Bestimmung des Grundgesetzartikels 20, der den Bestand des Staates garantieren soll und der mit dem Widerstandsrecht versehen ist. Denn wer einen EU-Staat errichtet, löst damit Deutschland auf. 

Dies lenkt den Blick auf die rechtstaatlichen Qualitäten der EU. Der Vertrag von Maastricht, der die Währung erhalten sollte? Verges­sen. Täglich wird dagegen verstoßen. Das Verbot der gemeinsamen Haftung? Schon Geschichte. Die untersagte Aufnahme von gemein­samen Schulden? De facto längst Wirklichkeit. Gerade im Zuge von Corona, das hochwillkommen erscheint, haben die gemeinsamen EU-Schulden schon lange die Billionen-Grenze überschritten. 

Der unglaublichste Fall allerdings ist die Europäische Zentralbank. Ging es bislang – man möchte fast sagen „nur“ – um den Bruch einzelner Gesetze, so ist die EZB so gestaltet, dass ihre Führung und die Mitarbeiter überhaupt Immunität genießen und über dem Gesetz stehen. Das schließt nicht nur Haftungen aus, sondern gilt in allen juristischen Bereichen, einschließlich des Strafrechts. Einen Status wie diesen kennt man in der Geschichte nur aus totalitären Systemen.

Man sieht: Geht es um Rechtstaatlichkeit, so haben weder Deutsch­land noch die EU Anlass, an anderen Ländern wohlfeile Kritik zu üben – Anlass nicht und auch kein Recht dazu.

Der Autor ist ein christsoziales Urgestein und war lange Zeit Redakteur beim „Bayernkurier“.