25.04.2024

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20.11.20 / Celan-Jubiläum / Der Ein-Gedicht-Autor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47 vom 20. November 2020

Celan-Jubiläum
Der Ein-Gedicht-Autor
Harald Tews

Ein Corona-Leugner war Paul Celan nicht. Immerhin hat er ein „Corona“-Gedicht geschrieben, das sogar schon 1948 erschienen ist. Freilich hat es nichts mit einer bekannten Seuche zu tun, sondern eher – aber das wird in dem kryptisch formulierten Gedicht nicht ganz klar – mit dem heißen Sonnenkranz der Liebe oder dem im Text unerwähnten Namen einer Geliebten. 

Bemerkenswert ist vielmehr, dass dieses Gedicht in derselben Sammlung erschienen ist wie Celans Opus Magnum „Todesfuge“ mit den folgenreichen Worten: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Dieses eine Holocaust-Gedicht, das unter dem Eindruck des Todes seiner Eltern 1942 in einem Arbeitslager in der Ukraine entstanden war, hat Celan zum bedeutendsten deutschsprachigen Nachkriegslyriker werden lassen. Den Rest seiner 1000 Gedichte – nachzulesen in der neuen kommentierten Taschenbuchausgabe „Paul Celan. Die Gedichte“ (Suhrkamp, 1262 Seiten, 34 Euro) – hätte er sich sparen können. Keines davon wurde ein vergleichbarer Hit.

Die „Todesfuge“ aber, über die jetzt von Thomas Sparr sogar die „Biographie eines Gedichts“ erschienen ist (DVA, 336 Seiten, 22 Euro), hat es sogar in den Bundestag geschafft: 1988 trug es dort die Schauspielerin Ida Ehre anlässlich 50. Jahrestags der „Reichskristallnacht“ von 1938 vor. Leider wurde ihr die Schau von Phi­lipp Jenninger gestohlen, der wegen seiner damals im Anschluss verunglückten Rede als Bundestagspräsident zum Rücktritt gezwungen war.

Dass die „Todesfuge“ so populär wurde, dass sie – wie es Celan ausdrückte – ein „nachgerade schon lesebuchreif gedroschenes“ Gedicht wurde, hatte zwei Gründe: Zum einen stand sie in den 50er Jahren im Mittelpunkt einer durch Theodor Adornos Diktum „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ ausgelösten Debatte um die Rolle der Literatur nach 1945. Zum anderen musste sich Celan andauernder öffentlich ausgetragener Plagiatsvorwürfe erwehren, vor allem durch die Frau des 1950 verstorbenen französischen Dichters Ivan Goll. Außerdem erfand schon Rose Ausländer 1925 die in der „Todesfuge“ markante Metapher von der „schwarzen Milch (der Frühe)“, und selbst das Bild vom Tod, „der ein deutscher Meister war“, entstand schon 1944 in einem Gedicht von Celans Jugendfreund Immanuel Weissglas.

Beide stammten aus der deutschsprachigen jüdischen Gemeinde von Czernowitz, das einst zum östlichen Zipfel des Habsburgerreiches gehörte. Dort wurde Celan, ein Anagramm seines rumänisierten Namens Ancel – eigentlich hieß er Paul Antschel –, vor 100 Jahren, am 23. November 1920, geboren. Und vor 50 Jahren, im April 1970, starb er in Paris durch Suizid in der Seine. Daraus strickt man heute die Legende, dass er den Holocaust zwar physisch, aber nicht geistig überlebt habe. Immerhin wird seine „Todesfuge“ lange überleben, sein „Corona“ eher nicht.

b Neue Bücher Theo Buck, „Paul Celan. Die Biographie“, Böhlau, 254 Seiten, 35 Euro; Wolfgang Emmerich, „Nahe Fremde. Paul Celan und die Deutschen“, Wallstein, 400 Seiten, 26 Euro