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20.11.20 / Debattenkultur / Mutmacher für die Meinungsfreiheit / Die britische „Union für Redefreiheit“ kämpft gegen Einschränkungen der freien Rede durch die „Political Correctness“ – Interesse auch in den USA und Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47 vom 20. November 2020

Debattenkultur
Mutmacher für die Meinungsfreiheit
Die britische „Union für Redefreiheit“ kämpft gegen Einschränkungen der freien Rede durch die „Political Correctness“ – Interesse auch in den USA und Deutschland
Robert Mühlbauer

Ketzer landen auf dem Scheiterhaufen – heute wieder. Wer politisch korrekten Meinungsvorgaben widerspricht, der kann in Großbritannien seinen Arbeitsplatz verlieren, beklagt der bekannte englische Journalist Toby Young. Mehrere Fälle von Dozenten und Studenten sind dokumentiert, die aus ihrer Hochschule geschmissen wurden, etwa weil sie der Behauptung widersprochen hatten, dass ihre Uni oder die Polizei oder eine andere Institution „institutionell rassistisch“ sei.

Ausgerechnet in Großbritannien, dem Land, das eine lange und große Tradition der Redefreiheit hat, verengen sich die Spielräume zunehmend, beklagt Young, der als leitender Redakteur beim „Spectator“-Magazin arbeitet. Er kann eine ganze Liste von „Meinungsketzern“ aufzählen, die – im übertragenen Sinne – auf dem Scheiterhaufen der neuen „Cancel Culture“ verbrannt wurden. Im Frühjahr hat Young deshalb eine Organisation gegründet, die in Britannien einige Aufmerksamkeit erregt: die „Free Speech Union“ – eine Organisation für die Rede- und Meinungsfreiheit.

Die „Free Speech Union“ (FSU) soll all jenen helfen, die an der Ausübung ihres verfassungsmäßigen Rechts auf freie Meinungsäußerung gehindert werden, die „von digitalen Mobs“ angegriffen werden, deren Vorträge an einer Uni abgesagt wurden, die Sanktionen im Beruf erlitten oder sogar ihren Job verloren haben. Im Führungsgremium der FSU sitzen Hochschullehrer wie Nigel Biggar, Moraltheologe an der Universität Oxford, im Beirat sind Juristen, Politik- und Geschichtsprofessoren sowie einige prominente Journalisten vertreten. Es sind keineswegs nur „weiße alte Männer“, auch die schwarze Journalistin Inaya Folarin Iman oder die feministische Philosophin Kathleen Stock machen mit.

Meinung zu „Hass“ erklärt

Sie alle eint die Sorge, dass die Meinungsfreiheit zu einem hohlen Prinzip verkommt, wenn die praktische Ausübung an immer engere Grenzen stößt. „Die Bedrohungen der Redefreiheit sind keine Einbildung“, schrieb Biggar zur Gründung der FSU. „Eine (Bedrohung) ist die Verwechselung von Kritik mit Hass.“ Auch in Deutschland hört man immer häufiger die Parole „Hass ist keine Meinung“ – und folglich dürfe man diese oder jene Ansicht gar nicht mehr äußern.

Die FSU hat schon nach einem halben Jahr 5600 Mitglieder gewonnen, bald sollen es 10.000 sein, sagt Young. Sie zahlen eine monatliche Gebühr und erhalten im Gegenzug publizistischen oder juristischen Beistand versprochen für den Fall, dass sie Opfer von Kampagnen werden oder berufliche Nachteile erleiden. „Während der ,Black Lives Matter‘-Kampagne ist die Situation schlimmer geworden, die Aktivisten meinen, sie hätten die Lizenz, Andersdenkende rauszukicken“, sagt Young. Er zählt einige Fälle auf, in denen die FSU tätig wurde und Erfolg hatte. 

Beispielsweise hat sie einen Radiomoderator namens Stuart „Stu“ Peters verteidigt, der entlassen werden sollte, weil er „All Lives Matter“ (Alle Leben zählen, nicht nur „Black Lives“) geschrieben hatte. Die FSU setzte sich für ihn ein, und er wurde von einer Kommission freigesprochen. Erfolgreich war auch eine Online-Petition für den Chef eines Wohltätigkeitsvereins, der wegen milder Kritik an der „Black Lives Matter“-Kampagne vor die Tür gesetzt werden sollte. Die FSU schrieb auch eine Beschwerde an das Exeter College der Uni Oxford, nachdem die feministische Professorin Selina Todd kurz vor ihrem Vortrag ausgeladen worden war, weil sie sich kritisch zu manchen Aspekten der Transgender-Bewegung äußert. Inzwischen komme jede Woche eine Handvoll Fälle und Anfragen dazu, erzählt der FSU-Gründer.

Gewisse Hoffnung setzt Young in die Regierung von Boris Johnson. Die konservative Tory Party hat im Wahlprogramm 2019 versprochen, dass sie sich für die Redefreiheit an Universitäten einsetzen werde. Es könnte ein neues Gesetz verabschiedet werden, das die Hochschulen nochmals verpflichtet, die Meinungsfreiheit zu achten. 

Doch was helfen Gesetze, wenn sie in der Praxis ignoriert werden? „Es gibt schon jede Menge Gesetze, die theoretisch die Meinungsfreiheit garantieren, aber sie werden oft nicht angewandt“, klagt Young. In Streitfällen argumentieren Universitäten häufig, dass eine kontroverse Äußerung, etwa pointierte Kritik an der „Black Lives Matter“-Bewegung, gegen die Diversitäts- oder Inklusionsgrundsätze verstoße. Wer den angeblich allgegenwärtigen Rassismus leugnet, wird bestraft.

Nach Einschätzung von Young ist die Meinungsfreiheit im angelsächsischen Raum inzwischen stärker eingeschränkt als in anderen Ländern Europas. Das habe vielleicht mit einer protestantischen Bußkultur zu tun, meint er, die es in katholischen Ländern so nicht gebe.

Gegen die sich in den USA immer stärker ausbreitende „Cancel Culture“ (wie die Absage oder den Boykott unliebsamer Veranstaltungen, Hetzjagd auf Abweichler) haben vor einigen Monaten in einem aufsehenerregenden offenen Brief im „Harper’s Magazine“ 153 Intellektuelle protestiert. In Deutschland veröffentlichte die „Zeit“ den Brief. Bei den Unterzeichnern findet man so weltberühmte Namen wie den linken Linguisten Noam Chomsky, die Schriftstellerin Margaret Atwood und Harry-Potter-Erfinderin J.K. Rowling, die wegen ihrer Kritik an bestimmten Transgender-Behauptungen von Gender-Extremisten angegriffen wurde. 

Der Bannfluch kann alle treffen

„Der freie Austausch von Informationen und Ideen, der Lebensnerv einer liberalen Gesellschaft, wird von Tag zu Tag mehr eingeengt“, beklagten die Autoren und führten Beispiele an: „Redakteure werden entlassen, weil sie umstrittene Beiträge gebracht haben; Bücher werden wegen angeblicher mangelnder Authentizität zurückgezogen; Journalisten dürfen über bestimmte Themen nicht schreiben; gegen Professoren wird ermittelt, weil sie im Unterricht gewisse literarische Werke zitiert haben ...“

In Schottland will die regierende linke Scottish National Party ein „Anti-Hassrede-Gesetz“ verabschieden, nach dem sogar Gespräche in der Familie und in privaten Räumen der Polizei gemeldet werden müssten, wenn sie angeblich „Hassrede“ seien. So will es Justizminister Humza Yousaf, der als erster Muslim in der schottischen Politik eine steile Karriere gemacht hat. Theatermacher und Journalisten sollen strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie „Vorurteile“ verstärken.

FSU-Gründer Young sieht eine neue Ära der Unterdrückung, der massiven Gefährdung der Redefreiheit aufziehen. Dagegen will er kämpfen. Schon Anfang nächsten Jahres werde die „Free Speech Union“ in den USA eine Schwesterorganisation gründen, kündigt er an. Auch aus Deutschland, sagt er, gab es Interessenten, die einen deutschen Ableger der „Union für Meinungsfreiheit“ wünschten. Nötig wäre es auch hier.