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20.11.20 / Hinterpommern / Traditionelle Jagd gehörte zur Herbstzeit / Die Dorfbevölkerung wurde einbezogen – und so mancherlei Jägerlatein wurde zum Besten gegeben

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47 vom 20. November 2020

Hinterpommern
Traditionelle Jagd gehörte zur Herbstzeit
Die Dorfbevölkerung wurde einbezogen – und so mancherlei Jägerlatein wurde zum Besten gegeben
Karl-Heinz Engel

Herbstzeit ist Erntezeit in Landwirtschaft, Gartenbau und auch bei der Jägerei. Ab 3. November, dem Hubertustag, wird heutigentags zur Jagd vornehmlich auf Hirsch, Wildsau und Reh geblasen. Besonders mit Wildschweinen haben Jäger ihre liebe Müh’. Es gibt zu viele, und es werden immer mehr. Das war früher anders. Die Jäger, die hocharistokratischen ausgenommen, mussten mit Hasen, Kaninchen, Rebhühnern und Fasanen vorliebnehmen. Niederwild also. 

Dennoch sehnte man die Treibjagdsaison in den Guts- und Bauerndörfern, etwa im alten Pommern, nicht minder ungeduldig herbei. Schon Wochen vorher brachten die Jagdinhaber in Erfahrung, ob der Jahreslauf dem Gedeihen des Niederwilds zuträglich gewesen war. Meistens fiel das Urteil optimistisch aus. 

In den Landstädten Pommerns reihten sich mit Herbstbeginn Ein- und Zweispänner vor den Läden, die Jagdmunition anboten. Den Kutschpferden warf man eine Decke über, damit sie sich nicht verkühlten, denn so ein Schrotpatronenkauf war nicht mit ein paar Minuten getan. Die Sortenwahl fiel schwer. Diese oder jene? Taugten diverse Neuentwicklungen wirklich etwas? Es dauerte also. Am Patronenerwerb lag es aber nicht allein, dass der Aufenthalt in der Stadt sich ausdehnte. Nach Abschluss der Geschäfte traf man sich nämlich gern im Krug, um eine Stärkung einzunehmen. 

Für die Heimfahrt auf dem Kutschbock vorgewärmt zu sein, hatte schließlich noch niemandem geschadet. In vergnügter Laune besann man sich auf alte Geschichten, allesamt wahr, das versteht sich. Die vom fünfläufigen Hasen etwa, der vor Jahren bei einer Jagd auf dem Hospitalacker von Demmin erlegt worden sein sollte. Die Plaudereien bei Tabaksdunst und Grog wollten kein Ende nehmen. Die Munition sicher verwahrt und eine Zigarre in Brand, zuckelten die Jäger dann endlich ihren Dörfern zu. 

Veranstaltet wurden die Jagden in der Regel, wenn sich saubere Witterung ankündigte, das heißt, erste Fröste die Saatäcker hart machten und noch dazu Schnee fiel. Dann war Hasen- und Hühnerwetter. Das halbe Dorf war in die Vorbereitungen auf das Ereignis einbezogen. Gutsarbeiter, Dorfburschen und ältere Schuljungs verdingten sich als Treiber. Kutscher richteten Wildwagen her. Auf die Mamsells und ihren Küchenfrauen wartete Arbeit ohne Ende, denn die zu erwartende Strecke musste versorgt werden. 

20 bis 30 Flintenschützen wurde in der Regel die vierfache Zahl an Treibern zu geordnet. Allesamt stellten sich zu einem großen Kreis von einigen hundert Morgen Fläche auf. Dann ging es los. Unter „Hopp-Hopp“ und „Haas-Haas“ bewegten sich Treiber und Schützen dem Zentrum zu. Schon knallten die Flinten. Näherte sich die Jagdgesellschaft der Kesselmitte, durfte aus Sicherheitsgründen nur nach außen geschossen werden. Unfälle passierten mitunter trotzdem, weil einigen Schützen der Finger am Abzug gar zu locker saß. Aber es machte niemand viel Aufhebens davon. Wenn auch schmerzhaft, so galten ein paar Körner Hasen- und Hühnerschrot im Allerwertesten oder gar im Ohr als Zeichen unverwüstlicher Tapferkeit. Für die Treiber gab es viel zu tun. Sie mussten das erlegte Wild bergen. Und da konnte ordentlich was zusammenkommen, wie etwa im Dezember 1901 in Reitz, Kreis Stolp. 

Bei der auf 3000 Morgen des Rittergutsbesitzers Arnold anberaumten Treibjagd erlegten die 25 anwesenden Schützen sage und schreibe 430 Hasen. In Petershagen, im Randowkreis, blieben im Januar 1909 mehr als 381 Mümmelmänner auf der Strecke. Aus Quatzow bei Schlawe meldeten die Zeitungen, dass im Dezember 1908 anlässlich einer Gesellschaftsjagd auf der Begüterung des Reichstagsabgeordneten von Michaelis 218 Hasen erbeutet wurden. Auch wenn das wohl eher Spitzenwerte waren, der Durchschnitt auf den pommerschen Feldern lag immerhin bei 150 Hasen, dazu diverse Rebhühner, Fasanen und Kaninchen.

Laut einer amtlichen Statistik schossen die Jäger in Preußen während des Jagdjahres 1885/86 unter anderem 2,3 Millionen Hasen und 2,5 Millionen Rebhühner. Und jedes Jahr wuchs so viel nach, dass die Jägerei im nächsten Herbst wieder frohen Mutes zur Treibjagd blasen konnte, es sei denn, die Witterung hatte die Jungenaufzucht verdorben. 

Hieß es nach einem Jagdtag schließlich Hahn in Ruh’, wurde Strecke gelegt und der Jagdkönig gekürt. Danach lud der Jagdherr zum Schüsseltreiben. Meistens wurde deftige Erbsensuppe mit Schwarten und Lungwurst und dazu Grobbrot gereicht. Geistige Getränke fehlten ebenfalls nicht. Was gab es nicht alles zu erzählen, wenn die Buddel die Runde machte. Da war Sanitätsrat Lampe bei seinem zwanzigsten Schuss tatsächlich ein Flintenlauf geborsten, weil er mit seiner Waffe unsachgemäß umgegangen war. Schmutz hatte die Laufmündung verstopft. Was für ein Malheur. 

Auch schier Unglaubliches machte die Runde. Ein Jäger beteuerte im hinterpommerschen Platt, dass ein mächtiger Hasenrammler, der die Schützenkette mit viel List ungetroffen passieren konnte, sich an Dackel Rudibert wegen der Störung seiner Tagesruhe rächte. Er habe den Rüden kurzentschlossen übers Rückenfell gefasst, ausgehoben und durchgeschüttelt. Ganz armselig soll Rudibert im Hasenmaul gebaumelt haben. Konnte das wirklich gewesen sein? Egal, ein im Zeichnen geschickter Grünrock zog fix Stift und Notizblock aus seiner Brusttasche und hielt das Erzählte als Skizze fest. 

Kaputt von der Anstrengung des Tages, aber bester Stimmung, begaben sich Schützen und Treiber auf den Heimweg.  So oder ähnlich ging es früher zu bei den Treibjagden auf Has’ und Huhn im alten Pommern. Es waren Höhepunkte im Leben der Dorfbewohner, das sonst in dunkler Jahreszeit nur wenig Abwechslung bot.