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27.11.20 / Corona-folgen / Die Armut kehrt nach Russland zurück / Sanktionen und die Pandemie haben zu einem Wirtschaftsabschwung geführt. Kritik an der Regierung wegen fehlenden Krisenmanagements

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48 vom 27. November 2020

Corona-folgen
Die Armut kehrt nach Russland zurück
Sanktionen und die Pandemie haben zu einem Wirtschaftsabschwung geführt. Kritik an der Regierung wegen fehlenden Krisenmanagements
Manuela Rosenthal-Kappi

Der November ist der schlimmste Monat der Corona-Krise für Russland: Die Zahl der Neuinfektionen liegt seit Wochen über 20.000 täglich, die Zahl der Todesfälle erreichte knapp 35.000. Die russische Zen-tralbank meldet für dieses Jahr einen Wirtschaftsabschwung von vier bis fünf Prozent. Der Wirtschaftsrat unter Leitung des Finanzexperten Alexej Kudrin befürchtet, dass entgegen der positiven Prognosen der Regierung nur ein jährliches Durchschnittswachstum von rund zwei Prozent in den Jahren 2021 bis 2023 erreicht werde. Ohne die von ihm seit Jahren geforderten Reformen könne das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar nur bei 1,5 bis zwei Prozent liegen. Kudrin hält die derzeitige Krise für schlimmer als die von 1998 und 2009.

Schlimmer als 1998 und 2009

Ein ähnlich düsteres Bild malt Andrej Belousow, Vizeministerpräsident und zuvor Wirtschaftsberater des Präsidenten. Er hält die geringe Produktivität russischer Arbeitskräfte für eines der großen Probleme. Sie liege zwei- bis zweieinhalbfach unter dem Niveau höher entwickelter Länder. Grund dafür sei, dass die Betriebe aus sozialen Gründen Beschäftigte in schlecht bezahlten Positionen hielten, die eigentlich überflüssig seien. Würden diese entlassen, könnten 16 bis 36 Millionen Menschen arbeitslos werden. Um diese aufzufangen, sei ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm nötig. Darüber hinaus müssten Anreize zur Mobilität geschaffen werden sowie kleine und mittlere Betriebe gefördert werden. Ebenso wie Kudrin mahnt Belousow strukturelle Reformen an: „Der Kampf gegen die Armut erfordert enorme Investitionen in fast alle Wirtschaftssektoren.“

Die Kosten der von der Regierung angekündigten Anti-Krisen-Maßnahmen werden auf umgerechnet 71 Milliarden Euro geschätzt. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung sowie Infrastrukturmaßnahmen im Straßenbau sollen vorangetrieben werden. Zusätzlich sollen gezielte Einzelsubventionen helfen, ein Wachstum des BIP von drei Prozent zu erzielen.

Nicht erst seit der Corona-Pandemie steht die russische Wirtschaft unter Druck. Jahrelang wurde die Diversifizierung der Wirtschaft vernachlässigt. Zu lange hat sich der Staat auf den Gewinnen des Öl- und Gasexports ausgeruht. Erst die Sanktionen des Westens infolge der Ukrainekrise hatten zu einer Förderung anderer Branchen wie der Landwirtschaft geführt. Mit Erfolg: Im vergangenen Jahr war Russland der weltweit größte Weizenexporteur.

Große Hoffnungen liegen derzeit auf dem russischen Corona-Impfstoff Sputnik V. Russland wirbt seit Monaten mit seinen Vakzinen und hat mit EpiVacCorona einen zweiten Impfstoff auf den Markt gebracht. Auf die angekündigte Massenimpfung warten die Russen dennoch vergeblich. Das hat verheerende Folgen: Schon Ende September waren laut Gesundheitsministerium die 130.000 Intensivbetten zu 90 Prozent belegt. In einzelnen Regionen stehen so wenig Betten zur Verfügung, dass nicht Ausgeheilte entlassen werden, um Platz zu machen. Nicht viel besser sieht es in Moskau aus, wo wegen überfüllter Kliniken im Krylatskie Eispalast ein Ausweichhospital eingerichtet wurde.

Grund für die Verzögerung beim Impfstart ist, dass Russland geeignete Fabriken zur Massenproduktion schlichtweg fehlen. Zirka 70 Millionen Impfdosen wären nötig, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, doch bislang werden Impfstoffe nur in Forschungsinstituten in kleinen Mengen hergestellt. Wladimir Putin wirbt indessen im Ausland für Sputnik V.  Länder, die bereits Interesse bekundet haben wie zuletzt Ungarn, werden diesen in Lizenz in eigenen Werken herstellen.

Fabriken für Impfstoff fehlen

Die Bevölkerung bekommt die Folgen der Corona-Krise immer deutlicher zu spüren. Viele verloren bereits während des Lockdowns im Frühjahr ihre Arbeit, andere müssen dazuverdienen, um bei gestiegenen Preisen ihren Lebensstandard halten zu können. In einer Umfrage gaben 48 Prozent der Befragten an, dass sie einen Zweitjob suchen. Beliebt sind Stellen im Lager oder in der Verwaltung. Auch Fahrer, Babysitter, Kassierer oder Kellner sind gern ausgeübte Tätigkeiten. Zu 30 Prozent sind es junge Leute im Alter von 18 bis 25 Jahren, die dazuverdienen müssen. Ein Drittel gab die Verschlechterung ihrer materiellen Lage als Grund an. 

Putin gerät angesichts des Fehlens eines erkennbaren Krisenmanagements unter Druck. Es gab Gerüchte, er werde im Januar zurücktreten und wolle seine Tochter Katerina Tichonowa zu seiner Nachfolgerin machen. Mal heißt es, er habe Parkinson, mal, er sei an Krebs erkrankt. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow dementierte alle Gerüchte. 

Russlands Anteil an der Weltwirtschaft sinkt, der Lebensstandard bleibt trotz der Erfolge der vergangenen 20 Jahre auf niedrigem Niveau. Die Zahl der Armen liegt bei 20 Millionen. Offiziell gibt es 4,8 Millionen Arbeitslose. Durch die Pandemie sind weitere 1,25 Millionen als arbeitssuchend gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte sogar bei acht Millionen liegen. Von Armut sind vor allem Kleingewerbetreibende und Familien bedroht. Putins Ziel, Russland zu einer der fünf weltweit führenden Volkswirtschaften zu entwickeln, hat er verfehlt. Seine Programme zur Verbesserung des Lebensstandards hat er auf das Jahr 2030 verschoben.