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27.11.20 / Kommentar / Titel-Entwertung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48 vom 27. November 2020

Kommentar
Titel-Entwertung
Erik Lommatzsch

Unlängst erzählte ein promovierter Pfarrer, er habe eine neue Gemeinde übernommen, in der tiefsten Provinz. Um freundliche, aber auch sehr einfache Menschen handle es sich dort. Seinen Doktor-Titel werde er wohl verschweigen müssen, denn einen Doktor gebe es im Dorf schon und Missverständnisse seien nicht auszuschließen, wenn es plötzlich heiße, der Herr Pfarrer sei nicht nur Pfarrer, sondern eben auch Doktor.  

Die sichtliche Kennzeichnung mit dem höchsten akademischen Grad, auf die der Pfarrer verzichtete, ist hierzulande zwar nur selten zwingende Voraussetzung für einen beruflichen Aufstieg, gilt aber noch immer als äußerst karriereförderlich. Doktor sei des Deutschen liebster Vorname, heißt es. 

Doch seit den Vorgängen um Verteidigungsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg (CSU) im Frühjahr 2011 ist der allgemein gute Ruf des Titels angekratzt. Durch Franziska Giffey (SPD), Familienministerin mit weiteren Ambitionen, ist die Diskussion wieder aktuell. Guttenberg musste wegen großflächiger Plagiate zurücktreten. Aus der Familie hieß es, ihm werde weniger die Abschreiberei an sich verübelt als die Tatsache, dass er nicht mit geradem Rücken zu seinem Fehler gestanden habe. Unterstützt von der Kanzlerin, war er zunächst bemüht sich herauszuwinden. Weitere Karrieren fielen seitdem akribischen Plagiatssuchern zum Opfer. Der Blick der Öffentlichkeit war dabei vor allem auf die Politik gerichtet. Mit Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) verlor Merkel 2013 ein weiteres Kabinettsmitglied wegen entsprechender Vorwürfe.

Jagd statt Aufklärung

Im Fokus steht die Plagiatssucherei, die nicht selten eher vom Bestreben geprägt ist, jemanden zu „erledigen“, als von der wirklichen Suche nach der Aneignung fremden geistigen Eigentums. Um das Festhalten an Positionen geht es, um Rücktrittsforderungen, erteilte Rügen mit mannigfachen Peinlichkeiten, aber auch Bleibechancen oder die Titelaberkennung mit Amts- beziehungsweise  Mandatsverlust. Aus dem Lager von Union und FDP wurde in der Vergangenheit der Vorwurf erhoben, die politisch linke Seite komme bei vergleichbaren Vorwürfen weitaus glimpflicher davon. 

Die Problematik der Politiker-Doktoren ist jedoch umfassender. In gekauften, das heißt von professionellen „Beratern“ angefertigten Dissertationen wird man kaum Plagiate finden. Titel, die auf diese Weise erworben wurden, werden nur in den seltensten Fällen als Betrug entlarvt. Der Gedanke, dass es bei der Anfertigung einer Dissertation nicht vorrangig um die Verlängerung der Visitenkartenaufschrift geht, sondern um das Erbringen einer Forschungsleistung, scheint inzwischen selbst in der inneruniversitären Wahrnehmung nur noch bedingt präsent zu sein. 

Bismarck hat nie einen regulären Doktor-Titel erworben, er hätte zu seiner Zeit wohl auch keine Verwendung dafür gehabt. Anders verhielt es sich später bei Konrad Adenauer (Zentrum, dann CDU), der ebenfalls lediglich Inhaber der ehrenhalber verliehenen Doktorwürde war. Hier wurde der Namenszusatz jedoch regelmäßig geführt. Auch für Helmut Kohl (CDU) war der – mit einer zwar nicht bahnbrechenden, aber soliden zeithistorischen Studie erlangte – Titel wichtig. Und für viele andere Politiker der Gegenwart ist er es auch. Auf der Strecke geblieben sind Wissenschaft und Charakter. 

Vom Doktor zum „Scharlatan“

Der amtierende sächsische Innenminister Roland Wöller (CDU), der sich für sein Werk in einer fremden Magisterarbeit bedient hatte, ist zwar weiterhin regulärer Doktor, sein Doktorvater bezeichnete ihn jedoch im Nachgang enttäuscht als „Scharlatan“. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hatte in Tschechien einen Titel mit einer Arbeit erworben, die nicht den Anforderungen an eine deutsche Dissertation entspricht, seinen Doktor durfte er – einer seltsamen Regelung zufolge – nur in Bayern und Berlin führen. Nach öffentlichen Beanstandungen verzichtete er auf den Zusatz vor dem Namen, weitere Folgen hatte das Ganze für ihn nicht. 

Mit einem derartigen Verzicht versucht gegenwärtig auch Franziska Giffey die Forderungen nach ihrem politischen Rückzug abzuwenden. Plagiatsvorwürfe und ein voreingenommenes, inzwischen für unwirksam erklärtes universitäres Prüfverfahren verdecken die Tatsache, dass es sich – unabhängig von der Eigenleistung Giffeys – um eine wissenschaftlich wertlose, ausschließlich zum Zweck des Titelerwerbs angefertigte Arbeit handelt. Der Vorwurf ist, wie in vielen anderen Fällen, jedoch auch an die Verantwortlichen an den Universitäten zu richten: an Professoren, die derartige Dissertationen überhaupt ermöglichen.