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27.11.20 / Liedkunst / Musik des Meeres / Ein Sylter war einziger Schüler von Brahms – Die Lieder von Gustav Jenner sind neu auf CD eingespielt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48 vom 27. November 2020

Liedkunst
Musik des Meeres
Ein Sylter war einziger Schüler von Brahms – Die Lieder von Gustav Jenner sind neu auf CD eingespielt
Andreas Guballa

Nur ein Musikschüler hatte die Ehre, von Johannes Brahms in dessen Wiener Zeit in Kompositionslehre unterrichtet zu werden: Gustav Jenner. Vielleicht lag es daran, dass er Norddeutscher war – wie Brahms selbst. Das verbindet. Brahms stammt aus Hamburg, und Jenner wurde am 3. Dezember 1865 auf Sylt geboren. 

Zu Lebzeiten machte sich Jenner einen Namen als Liedkomponist mit Vertonungen von Gedichten seiner schleswig- holsteinischen Landsleute Theodor Storm und Klaus Groth. Heute ist Jenner, der am 29. August 1920 im Alter von 

54 Jahren in Marburg starb, nahezu vergessen. Im Frühjahr sollte eigentlich ein Festival an den 100. Todestag des Komponisten auf dessen Geburtsinsel erinnern. Doch wegen der Corona-Krise mussten alle Veranstaltungen abgesagt werden. Dafür hat jetzt der Sänger Ulf Bästlein dessen Liedschaffen wiederentdeckt.

„Vielleicht waren die Nordseewellen die erste ,Musik‘, das erste arrangierte Stück, das der Komponist Gustav Jenner jemals hörte. Vielleicht waren der Wind, das Rauschen des Meeres und das Kreischen der Möwen das erste Zusammenspiel verschiedener Instrumente, die der kleine Gustav in seinem Geburtsort Keitum auf Sylt vernahm. Schließlich sollten später Kritiker und Liebhaber seiner Werke die Meinung vertreten, in all seinen Kompositionen höre man es: das Meer“, so der in Flensburg geborene und in Husum aufgewachsene Bassbariton Bästlein.

Schon lange beschäftigt sich der Gesangsprofessor an der Musikhochschule Graz mit Jenners Œuvre. So standen dessen Werke in den zurückliegenden Jahren häufig im Mittelpunkt der Konzertabende der Meisterkurse Liedkunst im Schloss vor Husum, die Bästlein leitet.

Schon früh hatte sich der Dithmarscher Heimatdichter Klaus Groth für den talentierten Jenner eingesetzt. Auch Theodor Storm, der den jungen Mann in seinem Alterswohnsitz empfing, hatte sich bereits 1884 beeindruckt über ihn geäußert. Jenner fühlte sich diesen beiden um eine Generation älteren Dichtern zeitlebens tief verbunden. „Der Kieler Salon Groths stellte einen Glücksfall der europäischen Kulturgeschichte dar“, sagt Bästlein, „von dort aus öffneten sich für den jungen Komponisten die Türen zur Welt.“ 

Groth arrangierte ein Treffen zwischen Jenner und Brahms und sammelte Geld, um seinem Schützling das Studium bei seinem als mürrisch geltenden Freund in Wien zu ermöglichen. „Kaum ist Jenner in Wien, schreibt er einen bewegenden Brief an Groth, in dem er detailliert berichtet, wie Brahms ihn unter seine Fittiche genommen hat, ihm bei der Quartierssuche genauso geholfen hat wie bei der Ausstattung der Wohnung und ihm den Weg in die Salons der Stadt ebnet“, erzählt Bästlein. 

Sieben Jahre hielt es der Nordfriese in Wien aus, auch wenn ihm der Umgang mit dessen Einwohnern schwerfiel. Die norddeutsche Zurückhaltung wurde ihm in Wien mal so, mal so ausgelegt. Besonders das Prinzip der „österreichischen Gemütlichkeit“ stellte für den gebürtigen Sylter zeitlebens eine Unart dar. 

Später wurde Jenner auf Empfehlung von Brahms und Groth zum Universitätsmusikdirektor in Marburg ernannt, wo bis zu seinem Tod zahlreiche Kompositionen entstanden, darunter über 150 Lieder, diverse Chorwerke sowie auch Instrumentalwerke.  

CD-Tipp Ulf Bästlein (Gesang) und Charles Spencer (Klavier), „Die Welt ist lauter Stille, nur mein Gedanke wacht – Lieder von Gustav Jenner“ (Naxos Verlag)