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27.11.20 / Care / Die Pakete der US-Hilfsorganisation erlangten in Deutschland Berühmtheit / Vor 75 Jahren wurde die „Cooperative for American Remittances to Europe“ gegründet. Corned Beef, Aprikosenkonserven und andere Liebesgaben sollten politische Früchte tragen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48 vom 27. November 2020

Care
Die Pakete der US-Hilfsorganisation erlangten in Deutschland Berühmtheit
Vor 75 Jahren wurde die „Cooperative for American Remittances to Europe“ gegründet. Corned Beef, Aprikosenkonserven und andere Liebesgaben sollten politische Früchte tragen
Klaus J. Groth

Die CARE-Pakete waren für die hungernden Menschen in der Nachkriegszeit wie ein Geschenk des Himmels. Am 27. November 1945 gründeten 22 US-amerikanische Wohlfahrtsverbände, darunter die Heilsarmee und Kirchen wie die Quäker, die Mennoniten oder die Church of the Brethren, die „Coopera­tive for American Remittances to Europe“ (Vereinigung für amerikanische Hilfssendungen nach Europa). Die Abkürzung lautete „CARE“, was auf Deutsch so viel wie „Fürsorge“ heißt. Rund zehn Millionen der gespendeten Lebensmittelsendungen schickte die Organisation nach Westdeutschland.

Der Frachter „American Ranger“, der im Juli 1946 in Bremerhaven eintraf, war voll beladen mit Paketen mit der Aufschrift „CARE“. Erst zögernd, dann immer freudiger packten Familien sie aus und buchstabierten: „Braised Beef in Gravy“, „Liver Loaf“, „Cane Sugar“. Alle diese Herrlichkeiten in Dosen oder „vacuum packed“ hatten die Menschen in den zerstörten Städten noch niemals oder seit Langem nicht mehr geschmeckt. Hauptsächlich Brot, Kartoffeln und Steckrüben kamen auf den Tisch. Vor allem Kinder und Alte litten an Unterernährung, viele verhungerten. Ein CARE-Paket lieferte 40.000 Kalorien und sollte einen Monat lang für einen vierköpfigen Haushalt reichen.

„Von Mensch zu Mensch“

Die Gründung von CARE ging auf die Initiative von zwei Männern zurück, Arthur C. Ringland und Lincoln Clark, beides leitende Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Ihre Idee: US-amerikanische Bürger sollten Pakete mit Lebensmitteln spenden, eine persönliche Liebesgabe „von Mensch zu Mensch“. Noch war jede private Hilfe für Deutschland verboten. Nur die Regierung durfte Nahrungsmittel verteilen lassen. Deren Rationen waren völlig unzureichend. Im Februar 1946 schwenkte US-Präsident Harry S. Truman um. Die Besatzungspolitik sollte statt auf strafende auf „rehabilitierende“ Maßnahmen ausgerichtet werden. Das hatte nicht nur humanitäre Gründe. Im beginnenden Kalten Krieg wollten die US-Amerikaner die Deutschen nicht in die Arme der Kommunisten treiben. Das besiegte Land sollte sich schnell erholen, um zu einem loyalen Partner des westlichen Bündnisses zu werden. In einem Bericht an die Regierung über die verzweifelte Situation in den Besatzungszonen hieß es: „Demokratische Lehren werden kaum in den Köpfen der Deutschen verankert werden, wenn ihre Mägen dauerhaft leer sind. Freundlichkeit, Verständnis und ernsthafte Hilfsbereitschaft sind nicht nur Sentimentalitäten und ein Gespött für ,Realisten‘, sie sind Realitäten, die bei der Gestaltung eines neuen Deutschlands zählen.“

Die erste Generation der CARE-Pakete stammte aus dem Bestand des US-Heeres. In dessen Lagerhallen lagen 2,8 Millionen Pakete mit Fleisch, Obst, Getränkepulver, Zigaretten und Kaugummi, fertig verpackt zum Verschiffen. CARE erhielt die Erlaubnis, die Vorräte aufzukaufen. Die Tagesverpflegungen für jeweils zehn Soldaten waren für den Einmarsch von US-Truppen in Japan bestimmt gewesen. Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hatte Japan kapituliert. 

CARE stieß zunächst bei US-Bürgern mit europäischen Wurzeln auf ein großes Echo. Viele wollten in den Herkunftsländern ihrer Eltern und Großeltern helfen. Eine Welle der Wohltätigkeit rollte an, die sich bald auf Westdeutschland konzentrierte. Fotos von abgemagerten Kindern und Frauen in den Ruinen der Städte erschienen auf den ersten Seiten der US-Zeitungen. Die Berichte und eine emotionale Werbekampagne bewirkten einen Umschwung der öffentlichen Meinung. Die US-Amerikaner sahen die ehemaligen Feinde nicht mehr als „Nazis“, sondern als hilfsbedürftige Mitmenschen. Prominente wie Marlene Dietrich, Ingrid Bergman, Gregory Peck und der Boxer Joe Louis warben um Spenden: „Please care.“ 

1947 waren die Bestände der Armee aufgebraucht. Der Inhalt der Pakete zum Preis von 15 US-Dollar wurde nunmehr auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten. Die robusten Kartons enthielten Corned Beef, Leber, Speck, Schmalz, Aprikosen-Konserven, Honig, Schokolade, Zucker, Ei- und Milchpulver sowie Kaffee. Die Spender konnten die Namen von Verwandten angeben oder Patenschaften für Unbekannte übernehmen. Unterstützt von deutschen Wohlfahrtsverbänden kümmerte sich CARE um die Ermittlung von Adressen und den Transport. Eine schwierige logistische Aufgabe in einem Land, in dem Millionen Flüchtlinge herumirrten und die Infrastruktur zerstört war.

100 Millionen Pakete nach Europa

Wer ein Paket erhielt, musste den Empfang auf einer Quittung bestätigen. So sollte verhindert werden, dass der kostbare Inhalt auf dem Schwarzmarkt landete. Über die Ankunft der ersten Geschenkpakete in Berlin berichtete der Berliner „Telegraf“ am 11. August 1946: „In zwei Waggons trafen gestern die ersten Liebesgabenpakete aus Amerika auf dem Güterbahnhof Steglitz ein …“ Die Waggons enthielten 1480 CARE-Pakete und kamen aus Bremerhaven. 150 Pakete seien direkt an Berliner Familien adressiert gewesen. Als „glücklichen Empfänger Nr. 1“ nannte die Zeitung W. Starick in Charlottenburg, Dahlmannstraße 5. 

Das Sortiment wurde ständig erweitert. Spender konnten zwischen verschiedenen Pakettypen wählen: Saatgut, Werkzeug, Babynahrung und Medikamente, sogar ganze Truthähne, konserviert in Schmalz, wanderten zu Weihnachten über den Ozean. 

Am 24. Juni 1948 begann die Blockade von West-Berlin durch die Sowjets. CARE charterte Flugzeuge, um sich an der Luftbrücke zu beteiligen. Nun kamen die Pakete buchstäblich vom Himmel. Drei Millionen waren es, gefüllt auch mit Wolldecken, Kleidung und Schuhen. Die Popularität von CARE stellte die Arbeit anderer Helfer in den Schatten. Die Nichtregierungsorganisation „Council of Relief Agencies Licensed to Operate in Germany“ (Rat der zur Arbeit in Deutschland zugelassenen Hilfsorganisationen) mit dem sperrigen Kürzel „CRALOG“, die wesentlich mehr Spenden für Lebensmittelpakete und Gebrauchsgüter einsammelte, blieb weitgehend unbekannt.

In den 50er Jahren begann sich das Leben in Europa zu normalisieren. Die Bundesrepublik erlebte ein Wirtschaftswunder. 1960 stellte CARE die Sendungen ein. Insgesamt 100 Millionen Pakete wurden nach Europa geschickt. 

Ab 1946 bildeten sich außerhalb der USA nationale Ableger der US-amerikanischen Organisation. Kanada machte den Anfang. Es folgten die Bundesrepublik und Norwegen 1980, Frankreich 1983, Großbritannien 1985, Österreich 1986, Australien und Japan 1987, Dänemark 1988, die Niederlande 2001, Thailand 2003, Indien 2011 und schließlich Peru 2015. 1982 schlossen sich die unabhängig voneinander arbeitenden nationalen CARE-Organisationen unter der Bezeichnung „CARE International“ zu einem Netzwerk zusammen. Die internationale Koordination übernimmt ein Generalsekretariat in Genf. CARE Deutschland sitzt in Bonn.